Nach Anschlag auf Gasfabrik nahe Lyon:Frankreich fühlt sich im Krieg

Nach Anschlag auf Gasfabrik nahe Lyon: Ein Sondereinsatzkommando durchsucht das Wohnhaus des mutmaßlichen Attentäters in Saint-Pries nahe Lyon.

Ein Sondereinsatzkommando durchsucht das Wohnhaus des mutmaßlichen Attentäters in Saint-Pries nahe Lyon.

(Foto: AFP)
  • Frankreichs Präsident Hollande kündigt nach der Bluttat bei Lyon ein hartes Vorgehen gegen Terroristen an.
  • Der 35-jährige Yassin Salhi soll seinen Chef, einen Logistik-Unternehmer, enthauptet und an einer Industriegasfabrik Explosionen ausgelöst haben.
  • Schon nach den Anschlägen in Paris Anfang des Jahres hat Frankreich massiv aufgerüstet. Erst am Mittwoch wurde ein verschärftes Überwachungsgesetz verabschiedet.

Von Leo Klimm und Christian Wernicke, Paris

Zorn steht im Gesicht des Präsidenten, seine Augen blicken finster. Und die Stimme von François Hollande klingt härter - härter und kälter als noch im Januar, in den Stunden nach den blutigen Terror-Attentaten von Paris. In Brüssel, am Rande des EU-Gipfels, ist der Präsident zwei Stunden nach der Bluttat vom Freitag vor die Kameras getreten, um ein Versprechen abzulegen. Er werde, "die Arbeit tun, die die Franzosen von uns erwarten: sie schützen, und zugleich jene Gruppen oder Individuen auslöschen, die verantwortlich sind für solche Taten". Der Mann sagt das ohne mit der Wimper zu zucken: "éradiquer".

So sorgsam wie grausam exekutiert der mutmaßliche Täter seine Attacke

Wieder hat der Terror Frankreich getroffen. Wieder hat ein islamistischer Gotteskrieger zugeschlagen, wieder will sich die Republik wehrhaft zeigen: In Paris tagt das Krisenkabinett, am Tatort klettern martialische Anti-Terror-Einheiten aus Kleinbussen. Überall im Land verschärfen Polizei, Gendarmerie und Armee ihre Patrouillen, mit dem Gewehr im Anschlag.

Am Freitag um kurz vor 10 Uhr hat der Feind erneut bewiesen, wie entschlossen er ist. Yassin Salhi, der mutmaßliche Täter, will daran offenkundig keine Zweifel lassen. Am Rande von Saint Quentin-Fallavier, einem Ort südöstlich von Lyon, exekutiert er so sorgsam wie grausam seine Attacke auf einen Hersteller von Industriegasen: Salhi löst auf dem Gelände der Firma mehrere Explosionen aus, kurz drauf wird an einem Zaun in der Nähe der abgetrennte Kopf seines Opfers aufgefunden. Der Kopf ist mit arabischen Schriftzeichen verunstaltet. Einige Dutzend Meter entfernt liegt der enthauptete Körper. Und auf dem Firmenhof, wo Salhi Sauerstoffflaschen zum Explodieren gebracht hat, hinterlässt er auf Arabisch beschriftete Fahnen.

Kein Zufall, dass ein Chemiebetrieb Ziel eines Anschlags wurde

Der Tochterbetrieb des US-Konzerns Air Products beschäftigt etwa 40 Menschen. Die Gegend um Lyon ist stark industrialisiert, und die Ermittler sind sich früh sicher, dass es kein Zufall ist, wenn einer der vielen Chemiebetriebe hier jetzt Ziel eines Anschlags geworden ist. Der Mann, den Salhi nach dem Vorbild des "Islamischen Staats" enthauptet hat, ist Geschäftsführer einer Logistikfirma. Er soll laut der Nachrichtenagentur AFP der Chef Salhis gewesen sein. Beide waren wohl auf einer Auslieferungsfahrt, der Attentäter fuhr dann offensichtlich mit seinem Wagen weiter aufs Firmengelände.

Angesichts der vielen gefährlichen Stoffe, die auf dem Gelände lagern, wirkt die Opferbilanz von einem Toten und zwei Verletzten so, als hätte es noch schlimmer kommen können. Und sollen. Das Fahrzeug, mit dem der Attentäter auf den Hof von Air Products rast, ist speziell für das Firmengelände zugelassen. Auch das ein klares Indiz, dass es sich um eine genau geplante Tat handelt. Salhi steuert den Wagen gezielt in Sauerstoffflaschen.

Es folgt ein Knall, den Zeugen kilometerweit hören. Den Brand, der daraufhin ausbricht, bekommt die herbeigeeilte Feuerwehr rasch unter Kontrolle. Ein Feuerwehrmann ist es auch, der Salhi überwältigt. Der Attentäter ist selbst leicht am Kopf verletzt.

Über Reisen zu Terror-Camps ist nichts bekannt

Nach Angaben von Innenminister Bernard Cazeneuve wurde der Mann schon 2006 observiert, 2008 allerdings wurde diese Beobachtung wieder aufgehoben. "Es gab keine Erkenntnisse, dass er mit terroristischen Akteuren in Verbindung stand", so Cazeneuve. Über mögliche Reisen Salhis zu Terror-Trainingscamps in Syrien oder im Irak wissen die Behörden nichts.

Auch ein Teil der Terroristen, die im Januar die Satirezeitung Charlie Hebdo angegriffen haben, stand zuvor unter Beobachtung. Anders als sie ist Salhi, ein 35 Jahre alter dreifacher Familienvater aus einer Vorstadt von Lyon, jedoch nicht vorbestraft. Am Freitagmittag nimmt die Polizei einen möglichen Komplizen fest. Es handelt sich um einen Mann, der am Morgen in einem Ford vor dem Firmengelände auf- und abgefahren ist. Auch Salhis Ehefrau und seine Schwester werden festgenommen. Alle Industriestandorte der Region Lyon, auf denen gefährliche Substanzen zum Einsatz kommen, lässt die Regierung nun scharf überwachen.

Ein Land im Krieg

Überhaupt hat Frankreich enorm aufgerüstet seit Januar. Seit dem Horror, der erst Charlie Hebdo, die Satirezeitschrift, und dann Hyper Cacher, den jüdischen Supermarkt, traf. Nur wenige Tage nach den Attentaten mit 17 Toten verkündete Premierminister Manuel Valls, Polizei und Justiz würden aufgestockt: Insgesamt 2680 zusätzliche Beamte würden zur Terrorbekämpfung eingestellt, davon allein 1100 zur Verstärkung dreier im Inland tätiger Geheimdienste.

Zudem sollen die Staatsschützer schneller und schrankenloser denn je überwachen dürfen. Das neue Geheimdienstgesetz, am Mittwoch dieser Woche verabschiedet, erlaubt die Rasterfahndung im Internet ebenso wie Lauschangriffe auf jeden Verdächtigen und sein Umfeld.

Valls gab preis, die Geheimdienste hätten ungefähr 3000 Personen im Visier. Im Mittelpunkt aller Ermittlungen stehen jene ungefähr 1400 Franzosen, die sich in dschihadistischen Netzwerken verstrickt haben: Mindestens 457 Landsleute (unter ihnen 137 Frauen sowie 80 Kinder) sind nach Syrien und in den Irak gezogen, um sich einzureihen in die Milizen des Islamischen Staats oder anderen Terrorgruppen. 105 Franzosen starben im Wüstenkrieg, 213 Franzosen sind zurück in der Heimat - und als potenzielle Attentäter von den Behörden besonders gefürchtet.

Frankreich fühlt sich im Krieg. Das bekundet in Umfragen eine knappe Mehrheit der Franzosen (53 Prozent). Und das signalisiert die Politik, mit Taten: 3000 französische Soldaten sind momentan in der Sahelzone stationiert, um muslimische Terroristen aufzuspüren - aber mehr als doppelt so viele Uniformierte patrouillieren täglich an der Heimatfront: 7000 Soldaten bewachen touristische Ziele wie Eiffelturm oder Notre-Dame ebenso wie Synagogen und Moscheen. Diese "Operation Sentinelle" verschlingt eine Million Euro. Jeden Tag.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: