Reform:Spielraum für mildere Strafen

In Mordfällen sollen Täter nicht mehr automatisch zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Das schlägt eine von Bundesjustizminister Heiko Maas eingesetzte Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte vor.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Im Grunde war es gar nicht so unpassend, dass Heiko Maas (SPD) anstelle von Sigmar Gabriel nach Israel gereist war. Anstatt, wie geplant, im heimischen Berlin den Abschlussbericht der Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte vorzustellen. Denn bis heute spricht der 1941 geschaffene Mordparagraf die Sprache der Nazis, indem er den "Mörder" mit lebenslanger Haft bedroht und nicht den Menschen, der einen Mord begangen hat. Diesen Nachhall der unseligen Tätertypenlehre zu beseitigen, die den Menschen gleichsetzt mit dem Verbrechen, das er begangen hat, war einer der Beweggründe, warum der Bundesjustizminister die Reform im Frühjahr 2014 zu einem seiner ersten Projekte gemacht hatte. Dass die NS-Terminologie gestrichen werden muss, darüber waren sich die Experten denn auch einig.

Aber das ist der am wenigsten problematische Teil der Reform. Im Kern geht es bei dem Vorhaben um den rigiden Automatismus, wonach auf Mord lebenslange Haft steht - zwingend und ohne Ausnahme, jedenfalls, wenn man den Paragrafen 211 beim Wort nimmt. Zwar hatte Maas bei seiner Abreise hinterlassen, dass das Prinzip Lebenslang beibehalten werden soll, weil darin der "vollumfängliche Schutz" zum Ausdruck komme, den das Recht dem menschlichen Leben beimesse. "Es geht nicht darum, künftig denjenigen, der einen anderen Menschen tötet, milder zu bestrafen", so ließ er sich zitieren.

Der Satz sollte vermutlich diejenigen beruhigen, die eine Streichung des Mordparagrafen und damit eine Relativierung des höchsten Rechtsgutes - des Lebensschutzes - befürchteten. Gemessen an den Vorschlägen der Expertengruppe, ist der Satz trotzdem nicht ganz zutreffend. Zwar votierte eine große Mehrheit der Fachleute aus Wissenschaft und Praxis dafür, die lebenslange Freiheitsstrafe für die "höchststrafwürdige Tötung" beizubehalten. Zugleich aber machten sie deutlich, dass eben nicht jeder Mord "höchststrafwürdig" sei. Die Lösungsmodelle variieren, aber im Kern laufen sie darauf hinaus, dass es auch bei der Sanktion für Mord eine gewisse Flexibilität geben muss - einen Spielraum für mildere Strafen, wenn das Unrecht weniger schwer wiegt.

Polizeiliche Spurensicherung nach einer Mordtat in München, 2014

Wann liegt ein Mordmerkmal vor? Ein Polizeibeamter bei der Spurensicherung an einem Tatort in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Damit will man in Gesetzesform gießen, was die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) längst vorweggenommen hat. Deutlich wird das am Beispiel der Haustyrannenfälle: Wenn eine Frau, jahrelang geschlagen und misshandelt, sich nicht anders zu helfen weiß, als den Mann heimlich zu vergiften, dann ist das "Heimtücke" - ein sogenanntes Mordmerkmal. Der BGH hat hier gleichwohl mildere Strafen zugelassen, gegen den Wortlaut des Gesetzes. An diese Praxis soll das Gesetz nun angepasst werden.

Diese Öffnung ist aber schon die markanteste Änderung, auf die sich die Experten verständigt haben. An der grundsätzlichen Unterteilung in Mord und Totschlag wollen sie nicht rütteln. Allerdings soll präzisiert werden, wann aus einer vorsätzlichen Tötung ein Mord wird - wann also ein "Mordmerkmal" vorliegt. Deshalb soll der schillernde Begriff der Heimtücke klarer gefasst werden, ebenso die "niedrigen Beweggründe". Nach bisheriger Rechtsprechung sind das Motive, die "auf sittlich niedrigster, verachtungswürdiger Stufe stehen". Ein Einfallstor für moralische Bewertungen, die dem Wandel des Zeitgeistes unterworfen sind, sagen Kritiker. Die Experten wollen gleichwohl daran festhalten, aber den Katalog der niederen Motive erweitern. Beispielsweise sollen Tötungen wegen des Geschlechts, der ethischen Herkunft, des Glaubens oder aus rassistischen Gründen als Mord eingestuft werden. Der Strafverteidiger Alexander Ignor, einer der Experten, hatte sich dafür stark gemacht, stattdessen auf sonstige "menschenverachtende Gründe" abzustellen - ein Vorschlag, der aber keine Mehrheit fand.

Allerdings bildete sich in einer wichtigen Verfahrensfrage ein Konsens. Dem Vorschlag zufolge soll die Vernehmung von Beschuldigten durch die Polizei audio-visuell dokumentiert werden, zudem soll die Einbeziehung eines Strafverteidigers schon in dieser frühen Phase der Ermittlungen ausgeweitet werden. Das entspricht einer alten Forderung der Anwälte - denn die Wurzeln fehlerhafter Verurteilungen finden sich häufig in tendenziösen Verhören am Beginn der Ermittlungen.

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