Österreich:Du musst kurbeln!

Abenteuerspielplätze auf Almen sollen Kinder das Wandern schmackhaft machen. Das Areal "Hexenwasser" in Tirol treibt das Prinzip auf die Spitze. Ein Selbstversuch.

Von Stefan Fischer

Der Kleine geht durchaus gerne in die Berge. Das heißt, er lässt sich gerne durch die Berge befördern. Denn bevor er selbst läuft, setzt er sich eher noch in die Kraxe. Obwohl ihm das inzwischen eigentlich zu fad ist. Lieber sitzt er auf den Schultern seines Vaters. Und noch lieber fährt er mit einer Seilbahn. Denn das gibt es nicht alle Tage, anders als den Platz im väterlichen Hochsitz. Ginge es nach dem Dreijährigen, könnte eine Wanderung ausschließlich aus einer Reihe von Seilbahnfahrten bestehen. Unterbrochen nur von Aufenthalten auf Spielplätzen und in einem Restaurant. Tiere sind auch immer gut, vor allem, wenn sie Glocken um den Hals tragen. Und besser noch: Wenn sie sich streicheln lassen.

Ein paar Tage vor der Fahrt nach Söll im Wilden Kaiser zeigt unser Sohn am Frühstückstisch, einen Bissen Erdbeermarmeladebrot im Mund, keine Reaktion, als wir ihm erzählen, dass wir einen Ausflug in die Berge machen wollen. Erst als er hört, dass wir mit einer Seilbahn fahren werden, schmunzelt er. Wir haben seine Zustimmung. Er bereitet sich sogar akribisch vor auf den Ausflug nach Tirol: Auf die Frage, ob er für die Autofahrt ein paar Pixi-Bücher mitnehmen möchte, schleppt er vier großformatige Bilderbücher an - obenauf ein Sachbuch für Dreijährige über die Berge. Aber weder das Buch und schon gar nicht die Eltern können alle technischen Fragen beantworten, die der Kleine zu der Seilbahn hat, die zur Mittelstation der Hohen Salve führt. Und wo sie eine Erklärung haben, leuchtet sie ihm nicht ein: Es kann doch schließlich jeder sehen, dass einige der Sechserkabinen größer sind als andere. Aber anstatt ihm einen Grund dafür zu benennen, behaupten die Eltern, sie seien alle gleich und wirkten nur unterschiedlich groß, je nachdem, wie weit entfernt sie vor einem hergondelten.

Ein hölzerner Brunnen bringt ihn auf andere Gedanken. Die Gier eines Verdurstenden nach Wasser kann kaum größer sein als die unseres Sohnes nach einem Rinnsal, einer Pfütze, einem Springbrunnen oder derlei. Die Wasserspiele sind eröffnet. Ja, wir sind in den Bergen. Nein, wandern werden wir eher nicht.

Die Bergbahn Söll hat einen großen Abenteuer-Spielplatz angelegt in Hochsöll auf rund 1150 Meter Höhe. Der Eintritt ist frei. Man kann vom Tal aus hochsteigen. Aber das machen die wenigsten. "Hexenwasser", so heißt das Gelände in einer Senke, das Kinder auf vielfältige Weise zum Experimentieren einlädt, ist das Lockmittel, um die Bergbahn auch im Sommer gut auszulasten. Wir sind noch keine Viertelstunde hier, da fragt unser Sohn: "Wann fahren wir wieder her?"

Die nächste Stunde bewegen wir uns in einem Radius von höchstens einhundert Metern um die Mittelstation herum. In einem Bassin dümpeln zwei kleine Schiffe, die man mittels einer Windmaschine über das Wasser segeln lassen kann. Um deren Kurbel zu betätigen, reicht die Kraft des Kleinen nicht aus. "Du sollst kurbeln", sagt er. Er selbst schiebt die beiden Schiffchen jedesmal wieder zurück in die Startposition. Daneben ist ein größeres Bassin, durch das man sich auf einem Floß stehend an einem Seil hangeln kann. Obwohl er damit liebäugelt, möchte unser Sohn lieber nicht auf eines der Floße. Vielleicht, weil sie wild schaukeln, jedenfalls wenn größere Kinder sie entern. Ganz sicher aber, weil er barfuß auf das Floß müsste. Er ist jedoch ein entschiedener Gegner der Freikörperkultur, T-Shirts, kurze Hosen, Sandalen lehnt er kategorisch ab.

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Die Idee dieses Ausfluges ist es, dass die kleine Wanderung viele spielerische Elemente hat und unser Sohn deshalb gar nicht merkt, wie viel er selbst läuft. Das funktioniert erst einmal: überhaupt nicht. "Auf die Schulter", ruft er, wenn es weitergehen soll zu den tanzenden Bällen und zum Bienenhaus. Auf den kleinen Wassersäulen eines weiteren Springbrunnens rotieren Tischtennisbälle. Keine Berghexe kann so laut und schon gar nicht so herzlich lachen wie ein Dreijähriger, wenn er etwas urkomisch findet. Zum Beispiel die tanzenden Bälle.

Im Bienenhaus gleich oberhalb lebt keine Hexe, sondern die Bienenwächterin. Anna Ortner versucht, mit den jungen Besuchern ins Gespräch zu kommen. Ein mühsames Geschäft. "Wie heißt du denn?", möchte sie wissen. "Wie alt bist du?" Keine Antwort, nicht von den Drei- und nicht von den Achtjährigen. Aber sie steckt nicht auf, rät Alter und Namen der Kinder. Und kriegt sie damit. Man kann sich Anna Ortner sehr gut auf der Bühne eines Kindertheaters vorstellen. Letztlich ist das Bienenhaus auch nichts anderes, jedenfalls wenn die Tirolerin die Bienenwächterin gibt.

Das Bienenhaus ist ein großer Stadel, der umgebaut ist zu einem Schau-Bienenstock. Hinter Glas kann man die Tiere in ihren Waben werkeln sehen. "Da ist gerade eine geschlüpft", ruft ein Bub. Anna Ortner sieht hin, aber die Biene ist wohl nur mit dem Hinterteil voraus aus einer Wabe herausgekrabbelt. "Wenn sie schlüpfen, dann mit dem Kopf voran", erklärt Ortner, "das ist wie bei uns . . ." - sie bricht den Satz ab, wartet zwei, drei Sekunden, ob sie jetzt eine Wie-kommen-Kinder-auf-die-Welt-Diskussion vom Zaun gebrochen hat. Nein, Glück gehabt.

Das Tollste ist, dass man mit Anna Ortner aus einem Wachsplättchen eine Bienenwachskerze rollen kann. "Steht die jetzt?", fragt unser Sohn nach getaner Arbeit. Tatsächlich, sie steht. Am liebsten würde er sie sofort anzünden.

Ob er jetzt ein bisschen wandern möchte? Nein, lieber möchte er Kuchen. Bislang sind wir vielleicht einen halben Kilometer weit gekommen, davon ist unser Sohn mehr als die Hälfte auf meinen Schultern gesessen. Aber dann entdeckt er etwas: In den Schotterweg sind Scheiben von Baumstämmen eingelassen, die einen eigenen Pfad auf diesem Weg markieren. Das gefällt ihm, darüber will er selbst laufen - auch, weil ihm ein lohnendes Ziel in Aussicht gestellt worden ist: klingende Steine. Die muss er als passionierter Akkordeonspieler und Trompeter natürlich sehen. Später werden die Baumscheiben von flachen Steinen abgelöst und diese von einem kleinen Stamm. Und so kommt es tatsächlich, dass unser Sohn ein kleines Stück wandert; nicht weit, aber immerhin. Er könnte theoretisch neben diesem Weg auch durch einen Wasserlauf waten, der als Barfußweg angelegt ist. Aber diese Möglichkeit scheidet, wie erwähnt, aus.

Dann werden die klingenden Steine bearbeitet, der Kleine ist der Dirigent, er schafft an, wer mit wie vielen großen Kieseln auf welche mannsgroßen Findlinge klopfen soll. Er selbst klopft natürlich auch mit, am liebsten würde er die besonders großen Kiesel nehmen, die er kaum in die Höhe heben kann. Zusammen mit dem Gebimmel der Kuhglocken vom nächstliegenden Hang klingt das gar nicht übel.

Der weitere Weg ist ein Kompromiss, ein bisschen tragen, ein bisschen selbst laufen - vor allem, wenn er irgendwo drüber balancieren oder zwischen zwei aneinander gelehnten dicken Ästen hindurchwitschen kann, vergisst der Kleine schnell, dass er eigentlich nicht so gerne wandert. Aber wenn etwas ein Spiel ist und ihm Spaß macht, kann er sehr ausdauernd rennen.

Und der Weg zurück zur Seilbahn ist dann ohnehin ein großer Triumph. Die Bienenwärterin hat den Kindern erklärt, dass Bienen gute Wetterpropheten seien, da sie bei Regen nicht fliegen. Die Bienen sind geflogen, demnach hätte es trocken bleiben sollen. Wir geraten jedoch in einen Wolkenbruch, ein Gewitter grollt. Also den Kleinen auf die Schultern gesetzt und im Galopp zurück zur Mittelstation, mit einem letzten Stopp am Baumhaus. Außer dass er zu frieren beginnt, stört unseren Sohn der Regen nicht. Nass war er ohnehin längst schon durch die vielen Wasserspiele entlang des Wanderwegs. Das Areal heißt nicht ohne Grund "Hexenwasser".

Auf der Fahrt mit der Gondel hinunter ins Tal ziehen wir den Kleinen trocken an und zählen mit ihm zusammen auf, was wir alles gesehen und unternommen haben. Er ist glücklich.

Unten gehen wir noch auf die Toilette. Dort gibt es einen zugegebenermaßen sehr lauten Händetrockner. Die Scheu unseres Sohns vor solchen Geräten ist so groß wie die der CSU-Politiker vor neuen Stromtrassen. Er will hier nicht mehr her auf diesen Berg, erklärt er uns im Auto. Die selbstgerollte Bienenwachskerze hält er dabei stolz in der Hand.

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