Ende der Reise:Die Pillendreher der Berge

Warum eigentlich diese Eile in den Bergen? Laut einer Studie verfügt der durchschnittliche Deutsche über 20 Stunden Freizeit in der Woche. Wochenende nicht mitgerechnet. Diese Zeit ließe sich doch besser nutzen.

Von Dominik Prantl

Das Leben ist ein einziger großer Terminplan. Er steckt seinerseits mit der Zeitoptimierung unter einer Decke, jener hinterfotzigen Rivalin des gepflegten Müßiggangs. Daran wurden wir wieder einmal beim letzten Zeitmanagement-Seminar erinnert; wissen können wir das aber eigentlich schon, seit Saint-Exupéry den Kleinen Prinzen auf einen Händler treffen ließ. Der rechnet dem Kleinen Prinzen vor, dass man sich mit neuen, durststillenden Pillen pro Woche exakt 53 Minuten spare, worauf der Kleine Prinz sinngemäß entgegnet, dass ihm der Händler mit seinen Zeitoptimierungs-Pillen den Buckel runterrutschen kann. Gut, wortwörtlich sagt er das viel schöner, nämlich so: "Wenn ich 53 Minuten Zeit übrig hätte, würde ich ganz gemütlich zu einem Brunnen laufen."

Ganz sicher hat der Kleine Prinz als philosophisch veranlagter Weltenbummler schon damals erkannt, dass auch die Reiseindustrie zu einer Domäne der Pillendreher verkommt. Dabei werden natürlich keine kleine Kugeln gegen den profanen Durst kreiert, sondern große Spaßeinrichtungen gegen den unersättlichen Erlebnishunger. Besonders gut lässt sich das in den Alpen verfolgen. Dort setzen manche Händler aus der Tourismusbranche nur zu gerne auf den schnellen Konsum mittels Seilbahnen, Hängebrücken und Achterbahnen. Die Händler nennen sich selbst dann Visionäre und ihre Bauwerke folgerichtig Visionen. Die Naturschutzorganisation Mountain Wilderness nennt diese Spaßeinrichtungen "Geschmacksverstärker". Das passt insofern ganz gut, da der Techno-Tourismus stark an das Fast-Food-Modell erinnert: So besonders gesund ist der Konsum zwar nicht, aber zumindest stillt er für kurze Zeit den Appetit auf die Berge - und ist nicht selten ein höchst lukratives Geschäft.

Nur: Warum eigentlich diese Eile in den Bergen, dieser Heimat der Langsamkeit? Laut einer neuen Studie des Marktforschungsinstituts GfK verfügt der Durchschnittsdeutsche pro Werktag über fast vier Stunden Freizeit. Das macht 20 Stunden in der Woche. Ohne Wochenende! Diese Zeit ließe sich freilich nutzen, um den Terminkalender zwecks Zeitoptimierung zu pflegen oder neue Hängebrücken in die Alpen zu bauen. Wahrscheinlich bliebe sogar noch genügend Zeit, um mit den Kindern per Expresslift über den Berg zum nächsten McDonald's zu gondeln. Genauso gut könnte man aber auch mit Freunden und mit der Familie ganz langsam zu einer Almhütte wandern und dort die Welt bei einem Backhendl im Sauseschritt vorbeiziehen lassen.

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