Griechenland-Schuldenkrise:"Varoufakis? Tsipras? Ach je"

Griechenland-Schuldenkrise: In Athen ist beinahe an jeder Hausfassade ein Graffiti zu sehen.

In Athen ist beinahe an jeder Hausfassade ein Graffiti zu sehen.

(Foto: AP)

Wer durch Athen fährt, sieht die Schuldenkrise. Viele Viertel sind heruntergekommen und Graffiti an beinahe jeder Wand. Dazu der Kommentar eines Taxifahrers, der in seinem Auto sogar übernachtet.

Von Hans von der Hagen, Athen

Am Ende verliert der Athener Taxifahrer Paschalis dann doch für einen kurzen Moment die Fassung. Ungläubig schaut er in die Nebenstraße, in der das Ziel der Fahrt vom Flughafen, ein schäbiges Hotel, liegt und fragt: "Wer hat das denn ausgesucht?" Sicher, der Reporter war ebenfalls stutzig geworden, als Paschalis in den Minuten zuvor penetrant die Sicherheit Athens beschworen hatte, ohne überhaupt danach gefragt worden zu sein. Die Gegend sah ja auch nicht gut aus. Zudem wurde plötzlich deutlich, warum gefühlte 90 Prozent aller nachrichtlichen Griechenlandbilder ein Graffito zeigen: Weil zumindest hier ebenso viele Wände mit Graffiti bedeckt sind.

Es dürfte nicht leicht gewesen sein, das Hotel ansprechend für das Internet zu fotografieren. Aber würde Paschalis glauben, dass am Abend zuvor in den einschlägigen Buchungsportalen die zentrumsnahen Hotels ganz unkrisenhaft ausgebucht waren - oder unfassbar teuer? Nie! Hatte er doch den ganzen Weg vom Flughafen in die Stadt erzählt, was alles gerade schiefläuft im Land.

Sechs, sieben Tage arbeiten, schlafen im Auto

Dabei sieht Paschalis nicht aus wie jemand, der sich leicht unterkriegen lässt. Kurzgeschorene Haare, recht viel Bart und noch mehr Tätowierungen. 40 Jahre alt. Vom Leben hat er in den vergangenen fünf, sechs Jahren nicht mehr viel gehabt. Sechs, oft auch sieben Tage pro Woche sitzt er hinter dem Steuer und fährt immer die gleiche Strecke: Vom Flughafen in die Stadt und zurück. Kostet 35 Euro, eine Flatrate ins Zentrum. Als wir halten, steht das Taxameter bei 31 Euro irgendwas. Egal.

Oft, sagt Paschalis, würde er auch gleich im Taxi schlafen. Fünf bis sechs Stunden, zwischendurch dann mal kurz nach Hause zum Duschen. Der Rest ist fahren. Sein Leben. Familie hat er nicht.

Was Deutschland in Aufruhr versetzt, interessiert ihn nicht

Und dass jetzt die Banken die ganze Woche geschlossen bleiben? Beschäftigt ihn das? Nein, sagt er. Die Leute hätten doch eh nichts auf dem Konto und er bekomme sein Geld in bar. Wozu die Aufregung?

Überhaupt interessiert ihn vieles nicht, was Deutschland derzeit in Aufruhr versetzt. Varoufakis? Tsipras? Ach je. Von denen bekommt er nicht viel mit, hat ja keine Zeit, Fernsehen zu schauen. Sicher, die Kollegen politisierten schon gerne, aber da höre er eigentlich nur zu.

Paschalis blickt auf die Straße vom Flughafen in die Stadt. Er muss sich konzentrieren, die Mautstation naht. Die Straßen sind am frühen Abend erstaunlich leer. So als sei auch der Berufsverkehr abgeschafft worden. Wahrscheinlich zu teuer, diese Autobahnen.

140 Euro für Strom

Wenn Paschalis etwas aufregt, dann sind es ja auch die niedrigen Gehälter. Wie soll man denn mit einem Einkommen von 500 Euro im Monat auskommen - wenn es überhaupt so viel ist? Eine günstige Wohnung kostet 250 Euro, für Strom zahle er 140 Euro. 140 Euro. Er bleibt bei dieser Summe, selbst als der Reporter ungläubig nachfragt. 140 Euro - inklusive Steuern.

Paschalis lässt keinen Zweifel daran, dass er dieses Leben satt hat. Alle würden nur noch jammern, "24 Stunden lang". Wer hält das aus? Nicht mal die Beziehungen, die unter der Last der Probleme derzeit so oft in die Brüche gingen.

Der Taxifahrer wünscht sich nur noch eines: Veränderung. Europa könnte doch einfach mal sagen, wie hoch die Schulden seien, die jeder Grieche habe. Dann würde man halt das Geld zurückzahlen. Vielleicht sagt er das aus Höflichkeit. Aber ob man nun aus der EU austrete oder nicht, die Drachme einführe oder nicht. Alles wurscht, bitte nur nicht so weiterleben müssen wie bisher.

Athen sei sicher, "aber abends bitte nicht in diese Richtung gehen"

Ob er ein Tipp habe, wie das Referendum am kommenden Wochenende ausgehe? Paschalis weiß es nicht, murmelt etwas von 50:50. Ist ja eh egal. Er will kein Referendum, sondern eine Lösung.

Außerdem nähert sich nun das merkwürdige Viertel, in dem das Hotel steht, dessen Namen er genauso wenig kannte wie die Straße. Auf den Bürgersteigen stehen ausgemergelte Menschen, die ihre Körper anbieten - oder einfach nur dahocken. Ist dieses Gebiet mit seinen leerstehenden, zerfallenden Häusern schon vor der Krise so kaputt gewesen?

Beim Abschied zeigt sich Paschalis plötzlich besorgt. Tagsüber sei es schon okay hier, "aber abends bitte nicht in diese Richtung gehen", sagt er und hebt bei dem Wort "diese" gleich beide Hände hoch, um die Richtung anzuzeigen. Da gebe es eh nichts zu sehen. Aber Athen, sagt er dann noch mal, sei sicher. Und wenn es doch mal ein Problem gebe - er reicht seine Visitenkarte. Einfach anrufen, sagt Paschalis.

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