Bad Tölz:Vergnügen in den höchsten Tönen

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Die Tölzer Johanneskantorei ist ein Gemeindechor, der jedem offen steht. Wie schafft es ein solch heterogenes Ensemble, vierstimmige Bach-Kantaten konzertreif vorzutragen? Besuch einer Chorprobe

Von Stephanie Schwaderer, Bad Tölz

Der Teufel steckt im Detail, auch in der Bach-Kantate 93. "Lasst uns doch Gott probeweise auf ein Achtel verkürzen und eine kleine Pause machen, so dass man das Komma hört", schlägt Andreas Pehl gegen 20.30 Uhr vor. Der Lenggrieser Countertenor ist an diesem Abend ins evangelische Gemeindehaus nach Tölz gekommen, um der Johanneskantorei vor dem anstehenden Konzert den letzten Schliff zu geben. Die knapp 40 Chorsänger, die meisten von ihnen Frauen, sind mit Begeisterung bei der Sache. Also noch einmal Takt 51, auch wenn der Sopran furchtbar hoch und unangenehm zu singen ist: "Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut."

Den Einsatz gibt Elisabeth Göbel am Flügel. Im Januar 2013 hat die 30-jährige Kirchenmusikerin die Nachfolge von Friedrich Sauler angetreten - kein leichtes Erbe. Sauler hat in Tölz große Fußstapfen hinterlassen und einen Chor, der nicht einfach zu handhaben ist. Denn auf der einen Seite ist die Kantorei ein kirchlicher Gemeindechor, in dem jeder mitsingen darf, der Lust dazu hat. Auf der anderen zieht das Ensemble geschulte Sänger aus der ganzen Umgebung an, die große Konzerte singen wollen.

Den Einsatz gibt Elisabeth Göbel am Flügel. Im Januar 2013 hat die 30-jährige Kirchenmusikerin die Nachfolge von Friedrich Sauler angetreten. (Foto: Manfred Neubauer)

"Es ist immer ein Spagat", hat Göbel ein paar Tage vor der Probe gesagt - und mit einer Handbewegung diese Worte gleich wieder weggewischt. Nach eineinhalb Jahren im Amt wirkt sie im Gespräch noch immer ein bisschen schüchtern, spricht schnell und leise, als sei das, was sie zu sagen hat, nicht wichtig.

An diesem Abend erlebt man sie von einer ganz anderen Seite: Mit rechts greift sie in die Tasten und lässt Bach perlen, mit links gibt sie die Einsätze, schnippt und dirigiert: präzise, klar, mitreißend. Kleine Fehler und Unsauberkeiten in den einzelnen Stimmen korrigiert sie schnörkellos. Geht eine Passage ganz daneben, was selten der Fall ist, lacht sie herzlich. Und manchmal wirkt sie fast übermütig, etwa wenn sie vor einer besonders anspruchsvollen Koloratur das Kommando in die Runde wirft: "Augen zu und rauf!"

"Sie ist eine ausgezeichnete Chorleiterin", sagt Marina Reiser-Kaschek, "kompetent und liebevoll." Seit sechs Jahren singt die einstige Sportlehrerin im Chor, der ihr ein Stück Heimat geworden ist: "Wir Evangolen sind hier ja Diaspora." Unter Göbels Anleitung hat sie erstmals Mendelssohn gesungen, Rossini und Rheinberger. Und jetzt wieder Bach: "Das ist für mich der direkte Draht zum lieben Gott."

Ganz ähnlich äußern sich viele Mitglieder. Klaus Schmalhofer, pensionierter Schulleiter, ist seit 20 Jahren dabei. Im Urlaub hat er jüngst jeden Tag so viel geübt, dass sich seine Stimmbänder entzündet haben. Warum er im Chor singe? "Weil es so schön ist!" Oder Ulrich Fritschi, ebenfalls einstiger Schulleiter und Mitglied seit 1994. Die Probe sei für ihn "jede Woche ein freudiges Ereignis", sagt er. Neben dem Musizieren liege ihm die gewachsene Gemeinschaft am Herzen, die den Kantoren-Wechsel gut überstanden habe. "Ein paar sind gegangen, viele sind geblieben." Und Göbel, lobt er, "macht ihre Sache super".

Die Tölzer Kantorin Elisabeth Göbel arbeitet mit großem Spaß am Feinschliff für das anstehende Bach-Konzert der Johanneskantorei. (Foto: Manfred Neubauer)

Dass es an diesem Abend im Gemeindehaus zugleich hoch konzentriert und beschwingt zugeht, liegt auch an Andreas Pehl, der nicht nur bei seinen Silvester-Konzerten im Kloster Benediktbeuern beweist, dass sich Gesangskunst und Humor gut vertragen. Er hat ein Gespür für den richtigen Ton - als Sänger wie als Pädagoge. Der Johanneskantorei ist er seit langem verbunden. Ende der 90er Jahre saß er selbst in der Reihe der Tenöre, dort hat er auch seine Frau kennengelernt.

Entsprechend vertraut ist der Umgangston, die Vorgehensweise routiniert: Passage für Passage lauscht Pehl zunächst mit geschlossenen Augen, was Göbel und die Sänger erarbeitet haben. Dann gibt er Tipps: Da muss ein A stärker durch die Schneidezähne gesungen, dort die Spannung über den Text besser gehalten werden. Pehl bietet Bilder an, korrigiert die Körperhaltung oder die Kieferstellung, lässt einzelne Stimmgruppen immer wieder aufstehen und singt, wenn es erforderlich ist, auch die Sopran-Passagen vor. Nach zwei Stunden harter Arbeit wirken alle gelöst. Stephan Krone, Chormitglied seit 22 Jahren, tritt den Heimweg singend an. "Das ist Sport und Therapie", sagt der Arzt. "Wenn man den ganzen Tag beruflich auf andere Menschen einwirkt, lechzt man danach, selbst einmal geführt zu werden."

Der Countertenor Andreas Pehl ist der Tölzer Kantorei seit vielen Jahren verbunden. Vor großen Konzerten unterstützt er mit Gespür und Humor Elisabeth Göbel beim Feinschliff. (Foto: Manfred Neubauer)

Pehl wird bis zum Konzert noch ein paar Mal zur Probe kommen. Den Vorschlag mit der verkürzten Viertelnote in Takt 51 hat er an diesem Abend - nach dem ersten Versuch und einem amüsierten Blickwechsel mit Göbel - sofort wieder zurückgenommen. "War eine Idee", sagt er verschmitzt. "Aber wir bleiben bei Bach."

Bach-Kantaten, Konzert der Johanneskantorei am Samstag, 11. Juli, 19 Uhr, Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt, mit Stephanie Krug (Sopran), Andreas Pehl (Altus), Victor Schiering (Tenor), Ludwig Mittelhammer (Bass) und dem Kammerorchester der Johanneskirche Tölz, Leitung: Elisabeth Göbel, Karten zu 8, 12, 17 und 22 Euro in der Buchhandlung Winzerer und bei Schreibwaren Zauner

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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