Fitschen-Prozess:Der Richter als Zeuge

Mit Guido Kotschy hat ein möglicherweise entscheidender Beobachter seinen Auftritt im Münchner Deutsche-Bank-Prozess.

Von Stephan Radomsky

Immer wieder fällt Guido Kotschy in alte Muster zurück. Kurz vor der Mittagspause wird er, der erfahrene Richter, zum ersten Mal laut, geradezu herrisch. Als ihn ein Anwalt attackiert, kanzelt Kotschy ihn brüsk ab. Dabei trägt Kotschy am Mittwoch gar keine Robe: Im Strafprozess wegen versuchten Prozessbetrugs gegen die Deutsche Bank und fünf ihrer Top-Manager ist er "nur" als Zeuge geladern. Aber vielleicht als der entscheidende Zeuge.

Auf der Anklagebank sitzt in diesem Verfahren so viel Wirtschaftsprominenz wie wohl noch nie in der deutschen Justiz-Geschichte: Neben dem früheren Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer auch dessen Nachfolger Josef Ackermann, Ex-Aufsichtsratschef Clemens Börsig, der ehemalige Vorstand Tessen von Heydebreck und auch Noch-Bank-Chef Jürgen Fitschen. Und das ausgerechnet an dem Tag, als zeitgleich in Frankfurt der neue starke Mann der Deutschen Bank, John Cryan, seinen Job antritt.

Die Umwälzungen auf der Vorstandsetage sind hier, in Saal B 273/II, allerdings weit weg. Fitschen, seine Mitangeklagten und vor allem alle Verteidiger sind sehr aufmerksam. Denn von Kotschys Aussage könnte mit abhängen, ob die fünf Deutschbanker verurteilt werden. Schließlich führte der als "Bankenschreck" bekannte 66-jährige Jurist als Vorsitzender Richter das heute strittige Zivilverfahren, in dem zunächst Leo Kirch und nach dessen Tod seine Erben Schadenersatz vom größten deutschen Kreditinstitut verlangten. Nach Jahren des Streits zahlte die Deutsche Bank am Ende auf Basis eines Vergleichs insgesamt 925 Millionen Euro.

Jetzt muss der 5. Strafsenat prüfen, ob die Bank und die fünf Banker zuvor versucht hatten, das Gericht unter Kotschys Vorsitz durch abgesprochene und falsche Aussagen zu täuschen. Das wirft ihnen die Staatsanwaltschaft vor - und die Angeklagten widersprechen.

So geht es im Kern des Strafprozesses erneut auch darum, ob die Deutsche Bank Anfang 2002 Kirch überhaupt mit einem TV-Interview Breuers über die Finanznöte des Medienunternehmens unter Druck setzen wollte. Hat das Institut also mit unlauteren Mitteln versucht, von Kirch den Auftrag zum Zerlegen seines Imperiums zu bekommen, um daran zu verdienen? Ja, so hatte Kotschys Senat entschieden.

Und so ringen am Mittwoch alle Beteiligten - Verteidiger und Angeklagte, die Staatsanwaltschaft, der Vorsitzende Richter Peter Noll und der Zeuge Kotschy - darum, wie diese Beurteilung zustande kam. Dabei hängt alles, so sieht es die Verteidigung, von den Details in den Aussagen der Angeklagten ab, gemacht im Zivilprozess vor mehr als vier Jahren ab. Dazu gibt es zwei Protokolle, die Unterschiede in Details aufweisen: eines im Wortlaut, von der Deutschen Bank in Auftrag gegeben, und ein offizielles, zusammenfassendes vom Gericht. Um diese nach Ansicht der Verteidiger entscheidenden Diskrepanzen zwischen den beiden Schriftstücken dreht sich nun der Streit.

"Nehmen Sie sich ein bisschen zusammen, bitte. Das ist doch keine Schulhofveranstaltung."

Kotschy ist vorbereitet. Lange genug hat er Erfahrung im Umgang mit Spitzenanwälten aus der Finanzbranche gesammelt. Er kennt ihre Taktiken - vor mehrmaligen Wutausbrüchen bewahrt ihn das allerdings nicht. Vor allem mit Breuer-Verteidiger Norbert Scharf trägt er immer wieder Wortgefechte aus.

Kotschy hat die Protokolle von damals studiert und trägt aus ihnen vor. Wenn es um seine eigene Einschätzung, seine Eindrücke und Gedanken aus dem Prozess geht, wird er allerdings schmallippig. Als Scharf ihm vorwirft, mit dem Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte richterliche Unabhängigkeit selektiv die Antwort auf Fragen zu verweigern, platzt Kotschy noch am Vormittag zum ersten Mal der Kragen: "Ich verbitte mir das Wort ,selektiv'", ruft er und verlangt Einblick in ein anderes Protokoll - was erneut Streit auslöst. "Nehmen Sie sich ein bisschen zusammen, bitte", keilt Noll, der Vorsitzende Richter, am Ende sogar dazwischen. "Das ist doch keine Schulhofveranstaltung hier!"

Beendet sind die Scharmützel mit dem Machtwort Nolls allerdings längst nicht, vor allem die zwischen Scharf und Kotschy. Immer wieder kreisen die Fragen um die Details der beiden rivalisierenden Protokolle. Und immer wieder stützt sich Kotschy auf die Gerichtsaufzeichnungen oder verweigert die Aussage, allerdings nicht ohne Hinweise auf verschiedene Rechtsnormen - was wiederum die Verteidiger gegen ihn aufbringt: "Jetzt hätte ich ganz gern, dass die Fragen einfach beantwortet und nicht immer mit einem präsidialen Vortrag garniert werden", ätzt Breuer-Anwalt Scharf.

Nach einigen Anläufen lässt er dennoch zugunsten eines Kollegen ab. Wirklich weiter kommen die allerdings auch nicht. Vielleicht trägt Kotschy ja bei der Fortsetzung der Befragung mehr zu Klärung bei - nach den Ferien.

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