Telematik-Tarife bei Kfz-Versicherungen:Der Spion kommt ins Auto

Dummy bei einem ADAC-Crashtest

Crash-Test-Dummy im Auftrag des ADAC: Wie sicher ihre Kunden fahren, wollen nun auch die Autoversicherer genauer wissen.

(Foto: Michael Dalder/Reuters)

Mit der HUK-Coburg bietet Deutschlands größter Kfz-Versicherer ab 2016 günstige Tarife für Autofahrer an, die ihre Fahrweise überwachen lassen. Andere Versicherer werden folgen - weil sie fürchten, sonst aus dem Geschäft gedrängt zu werden.

Von Herbert Fromme, Köln

113 Mitarbeiter des Versicherungskonzerns HUK-Coburg proben die Zukunft. Seit Wochen fahren sie mit einer kleinen Zusatzbox im Auto. Diese funkt permanent Daten über Route, Geschwindigkeit und Fahrverhalten. 113 Autos - angesichts der zehn Millionen Fahrzeuge, die von den Coburgern versichert werden, ist das eine verschwindend geringe Zahl. Aber es ist der Anfang von mehr. Die Tester können entscheidend sein für die Zukunft der HUK-Coburg und den ganzen Versicherungsmarkt.

Von 2016 an will der Konzern, der so viele Autos versichert wie kein deutscher Konkurrent, einen sogenannten Telematik-Tarif einführen. Dann werden nicht nur Kilometer und Fahrstil elektronisch gemessen: Die Ergebnisse schlagen sich im Beitrag nieder. Der große Rivale Allianz folgt im selben Jahr, die Hannoveraner VHV startet schon in wenigen Wochen.

In Italien, Großbritannien und anderen Ländern sind Telematik-Tarife seit Jahren erfolgreich. Die deutschen Versicherer blieben skeptisch. Ein paar Experimente, mehr war bisher nicht drin. Die R+V beschloss im Oktober 2014 nach einem Test, keinen Tarif aufzulegen. Die Technik sei nicht ausgereift. S-Direkt und Signal Iduna dagegen melden positive Erfahrungen. Aber erst mit der großen HUK-Coburg kommt die Telematik in Fahrt.

Sicherheitssystem eCall als Datensammler

Dafür gibt es mehrere Gründe. Natürlich will niemand auf der Strecke bleiben, wenn die Marktführer solche Systeme einführen. Vor allem aber machen sich die Versicherer Sorgen, ob sie demnächst überhaupt noch eine Rolle bei der Risikoabsicherung im Straßenverkehr spielen - und was dann vom Umsatz in Höhe von 24 Milliarden Euro in der Autoversicherung bleibt.

Von 2018 an müssen alle in der EU zugelassenen Neuwagen mit dem eCall ausgestattet sein. Das System soll Leben retten. Es erkennt einen Aufprall und meldet ihn mit einer eingebauten Mobiltelefonkarte an eine Notrufzentrale. Retter können so schnell vor Ort sein. Aber einmal eingebaut, kann der eCall noch viel mehr. Er sammelt permanent und ausführlich Daten über den Zustand des Fahrzeugs, Route, Fahrverhalten und -zeiten. Die Versicherer wollen erreichen, dass auch sie diese Daten nutzen können, führen Verhandlungen auf höchster Ebene mit Politikern und der Autoindustrie. Bislang stehen die Hersteller auf dem Standpunkt, dass nur ihnen die Daten gehören.

Für die Versicherer ist ganz klar: Erhalten sie keinen Zugang zu den eCall-Daten, können sie ihr Geschäftsmodell in der Autoversicherung mittelfristig beerdigen. Schon heute bieten die meisten Autohersteller selbst Policen an, bislang noch in Zusammenarbeit mit Versicherern. Kontrollieren die Hersteller auch die Fahrdaten, wird ihre Stellung noch stärker, die Versicherer werden reine Zulieferer oder völlig überflüssig. Das erklärt die hektischen Bemühungen der Versicherer, bei der Telematik aufzuholen. Denn spätestens in drei Jahren sind die Daten da - wer sie dann nicht nutzen kann, hat auf jeden Fall verloren.

Durch das selbstfahrende Auto wird es weniger Schäden geben

"Die Autos sammeln schon heute sehr viele Daten und künftig noch mehr", sagt HUK-Coburg-Vorstand Klaus-Jürgen Heitmann. "Jetzt stellt sich für die Versicherer die große Frage, ob sie mit der Nutzung dieser Daten die Risiken noch besser einschätzen können." Ähnlich argumentiert sein Konkurrent Alexander Vollert, Vorstand bei der Allianz. "Der eCall wird 2018 europaweit eingeführt, dafür wird viel Technologie im Auto verbaut", sagt Vollert. Die könne man nutzen. "Damit satteln die Telematiktarife auf dem eCall auf, also auf dem Sicherheitsaspekt."

Noch ein anderer Trend lässt die Autoversicherer unruhig werden: die Automatisierung der Autos. "Es wird eine Weile dauern bis zum vollautomatischen Auto", sagt Christian Mumenthaler, Vorstand beim Rückversicherer Swiss Re, dessen Experten sich intensiv mit dem Thema befassen. "Möglicherweise kommt es 2030", erwartet er. "Aber in der Zeit bis dahin wird es einzelne Automatisierungsschritte geben, wie das autonome Fahren auf der Autobahn", sagt Mumenthaler. "Der Autopilot kommt."

Die Daten zeigen, ob der Fahrer oder das Auto verantwortlich ist

Die Folge: Der Schadenaufwand geht zurück, Swiss Re erwartet bis 2035 einen Rückgang der Unfallzahlen um mehr als 70 Prozent. Entsprechend sinken die Prämien. "Gleichzeitig wird die Telematik eine gewaltige Bedeutung bekommen", sagt Mumenthaler. So wird nach einem Unfall mit Hilfe der Telematik-Daten entschieden, ob der Fahrer selbst oder sein halbautomatisches System für den Schaden verantwortlich ist - und damit auch, wer zahlen muss: Der Autoversicherer oder der Haftpflichtversicherer des Herstellers. Mancher Versicherer dürfte gar nicht in der Lage sein, diese Veränderungen mitzumachen. "Wir erwarten, dass es neue Anbieter geben wird", sagt Mumenthaler. "Sie werden 30 Prozent bis 50 Prozent unter den normalen Preisen liegen."

Im ersten Schritt heißt es jetzt, Erfahrungen zu sammeln. Da bieten sich die jungen Fahrer an. "Das Segment der Fahrer unter 25 Jahren ist sehr unfallträchtig", sagt Allianz-Manager Vollert. Junge Menschen seien eher bereit, gegen Rabatte Daten über ihr Fahrverhalten preiszugeben.

Das Thema Datenschutz wird immer unwichtiger

Ohnehin scheint der Datenschutz, bislang das wichtigste Gegenargument sowohl bei vielen Versicherern als auch bei Verbraucherschützern, an Bedeutung zu verlieren. "Wir sehen auch eine zunehmende Akzeptanz in der Bevölkerung generell, was das Thema Datenschutz angeht", sagt Vollert, und das heißt wohl: Es ist dem Kunden schnuppe. Immerhin kommt die Allianz dem Kunden entgegen, sie informiert nach eigener Aussage immer aktiv darüber, welche Daten sie wie nutzt.

Wie schnell der Markt dreht, darüber sind sich die Experten uneinig. Barbara Schick, Vorstand bei der Versicherungskammer Bayern, ist skeptisch: "Die Pilotprojekte sind noch nicht sehr überzeugend." Schick bezweifelt, dass Kunden solche Tarife heute schon in großem Umfang annehmen würden. "Aber letztendlich entscheidet der Kunde, und wenn der es will, sind wir jederzeit handlungsfähig."

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