Lady Gaga auf dem Tennisplatz:Immer ran ans Netz

Offensiv und spontan - auf dem Platz wie im Leben: Bethanie Mattek-Sands brilliert gegen Ana Ivanovic - und allgemein als unangepasste Persönlichkeit.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

20.10 Uhr, wie angekündigt geht es los in "Room 2", einem dieser Räume, die sich in einem Labyrinth unterhalb des Spielerrestaurants befinden. Reporter nehmen Platz, zwei Mitarbeiter der Turnierorganisation bleiben vorne zur Aufsicht stehen, dann biegt die Hauptperson um die Ecke, in ihrem gelben Top sieht sie wie eine Leuchtboje aus. Als Letzter folgt ein Hüne. Breit wie ein Schrank, Kappe, Shorts. Das ist der Mann, der später sagen wird, er liebe diese Frau "bedingungslos", man habe sich nach drei Dates verlobt und ruckzuck am Strand von Naples geheiratet, sie in Schwarz gekleidet, und es würde "Tage, Wochen, Monate dauern, um diese unglaubliche Person zu beschreiben in all ihren Stärken". Dass Justin Sands und Bethanie Mattek-Sands auch sieben Jahre nach ihrer Hochzeit glücklich sind, muss er nicht hinzufügen. "Wir sind fast jeden Tag zusammen", sagt er ja und himmelt Bethanie regelrecht an.

Sie trat auch schon mit blauem Haarschopf an - in Wimbledon trägt sie lila Strähnen

Privat also ist alles auch in bester Ordnung für die "Lady Gaga" des Frauentennis, wie sie heißt. Kein Wunder, dass sie sagt: "Ich genieße einfach den Moment."

Mattek-Sands, Nummer 158 der Weltrangliste, ist ein Profi "mit tausend Seiten", wie Gatte Justin, ein früherer Footballspieler und nun Versicherungsmakler, schwärmt. Im Doppel ist sie zu einer Größe aufgestiegen, mit der Tschechin Lucie Safarova gewann sie 2015 die Titel der Australian und French Open, nun rockt sie wortwörtlich Wimbledon, mit einem Stil, spielerisch und optisch, der unverwechselbar ist. Wobei noch nicht klar ist, was die distinguierten Herren des All England Lawn Tennis and Croquet Club von ihr so denken. Die 30-Jährige aus Rochester, Minnesota, die nach drei Qualifikationssiegen und Erfolgen gegen die Topspielerinnen Alison van Uytvanck aus Belgien und Ana Ivanovic aus Serbien überraschend in Runde drei steht, hat ihre eigene Sicht, sie traut sich sogar zu betonen: "Es ist etwas zu exzessiv geworden." Sie meint die Anwendung der Regel, dass nur weiße Kleidung bei diesen berühmten Championships erlaubt sind. Zuletzt musste der Kroate Ivo Karlovic eine Stelle an den Schuhen weiß malen, die Kanadierin Eugenie Bouchard wurde für einen dunklen BH abgestraft.

Es gehört Courage dazu, den Traditionsbewahrern des ältesten Tennisturnieres der Welt die Meinung zu geigen, der einzige, der das ähnlich deutlich wagte, war der siebenmalige Champion Roger Federer, der manches "lächerlich streng" fand. Aber Federer, die Ikone, darf alles sagen, er ist der Unantastbare. "Ich stimme Roger zu, ich springe mit ihm in ein Boot", sagt Mattek-Sands, und dass sie nicht nur Lippenbekenntnisse von sich gibt, sondern auch aktive Vorkämpferin ist, beweist ihr jüngstes Video. Es dauert nur Minuten, sie persifliert auf köstliche Weise die Sittenwächter auf dem Platz. Dass sie sich in den Matches nun mit lila Haarsträhnen zeigt, ist natürlich eine typische Mattek-Sands-Nummer, die mal mit komplett blauer Mähne antrat in ihrem 15-jährigen Profi-Dasein, in dem sie 2011 ihr bestes Jahr hatte als 30. im Ranking. Eine kokette Provokateurin, mit diesem Image spielt sie beizeiten, und es bereitet ihr eine Höllenfreude. Als sie sagt, sie müsse aufpassen, ihre weiße Kleidung nicht zu oft zu waschen, "weil das Weiß dann illegal verfärbt", lacht sie anrüchig auf - sie findet diesen Gag ziemlich gut, und das war er. Selbst der Herr vom Turnier an der Tür schmunzelt, wenn auch leicht verschämt.

Mattek-Sands mit ihrem Modefetisch, ihren Tattoos und ihrer Extrovertiertheit mag manch einer für eine durchgeknallte Nudel halten und auch ihren Mann, der das gemeinsame Haus in Phoenix/Arizona eingerichtet hat. Zig Tier-Torsi hängen dort an den Wänden, darunter ein Büffel, den er schoss. Kinder wollen sie später, vorerst ist Ruger, eine Dogge aus Südafrika, ihr engstes Mitglied. Eine solche Familie gibt es auf der Frauentour kein zweites Mal. Aber Menschen, die ihren Beruf anders als die Masse ausüben, sind eben auch keine Otto-Normalverbraucher.

"Ihr Spiel spiegelt schon ihre Persönlichkeit wider", sagt Justin Sands. Und tatsächlich, das sieht jeder, der ihr zusieht: Ihr Spiel ist aufsehenerregend.

Sie ist keine Einzelgängerin - vier Jahre lang war sie im Players Council aktiv

Ihre Strategie ist das listige Überrumpeln, der Stopp, wenn andere den langen Schlag wagen, Volleys ohne Ende, nicht viele Frauen spielen ihn derart knackig. Bei langen Ballwechseln kriegt sie Ausschlag. Die Grundlinie ist nicht ihr Terrain. 38 Mal - so oft stürmte Mattek-Sands gegen Ivanovic ans Netz, ja, sie stürmt, über diesen Drang staunte sicher auch Bastian Schweinsteiger, der das Aus der Freundin verfolgte. Einen solch hohen Wert verbuchte keine Akteurin. "Ich spiele auf jedem Belag so", sagt sie dazu in einem Ton, als rede sie über die Hitze hier. Wie ungemütlich dieses Angreifen aus jeder Lage ist, erklärte Ivanovic prägnant: "Es gab überhaupt keinen Rhythmus." Gegen die Schweizerin Belinda Bencic, 18, die gerade ihr erstes WTA-Turnier gewann, dürfte Mattek-Sands wieder Chancen haben, alles hänge bei ihr von der Fitness ab, sagt sie, jahrelang hatte sie mit der Hüfte Probleme, Operationen waren nötig. Dass sie mehr zum Doppel abdriftete, das weniger laufintensiv ist, aber lebhaft in der Spielweise wie sie als Person, war eine logische Folge. Mit Safarova, der French-Open-Finalistin, tritt sie erneut an, den Teamgedanken lebt sie glaubhaft vor. Sie war vier Jahre im Players Council aktiv.

Natürlich ist sie für die Werbung attraktiv, sie hatte Einsätze als Model für Fotostrecken, sie wurde als eine der Ersten ausgewählt, um die Google-Glass-Brille zu testen, sie machte mit, weil sie die Aktion gut fand. Wenn sie etwas nicht gut findet, sagt sie es sofort. Warum sie jetzt so stark sei, wurde Mattek-Sands gefragt, da sagte sie: "Wenn du in Roehampton spielen kannst" - auf der Londoner Anlage findet stets das Qualifikationsturnier statt -, kannst du überall spielen. Wie der Ball dort abspringt, ist schockierend." Nein, Furcht vor den Traditionalisten in Wimbledon hat diese Frau nicht.

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