Archäologie:Nachbarn der Vorfahren

Archäologie: Ausgrabungen in der Sibudu-Höhle im Jahr 2011. Hier wurden neben Werkzeugen und Waffen auch Spuren der ersten Betten gefunden.

Ausgrabungen in der Sibudu-Höhle im Jahr 2011. Hier wurden neben Werkzeugen und Waffen auch Spuren der ersten Betten gefunden.

(Foto: M. Will)

Die Sibudu-Höhle in Südafrika ist eine der wichtigsten Fundstätten zur Kultur der frühen Menschen. Jetzt will ein Baukonzern direkt davor eine Siedlung errichten.

Von Michael Balter

Die Sibudu-Höhle muss eine Art Traumhaus gewesen sein. Zehntausende Jahre haben hier immer wieder Frühmenschen gelebt; vom Vorplatz der Höhle fiel ihr Blick auf eine geschützte Ebene und einen Fluss. Sie haben hier die ältesten bisher gefundenen Spuren wichtiger Technologien hinterlassen, darunter Pfeil und Bogen, Fallen für Kleintiere und gepolsterte Nachtlager. Die Fundstücke liefern entscheidende Hinweise, wie sich die menschliche Kultur entwickelt hat. Aber jetzt möchten sich Menschen des 21. Jahrhundert in unmittelbarer Nähe niederlassen, und Archäologen sehen eine unbezahlbare Kulturstätte in Gefahr.

In Sichtweite der Höhle in Südafrikas Kwazulu-Natal-Provinz, 65 Kilometer nördlich von Durban, soll eine Siedlung entstehen: schwere und leichte Industrie sowie Häuser und Apartments; insgesamt 2700 Wohneinheiten. Eine 200 bis 300 Meter breite Pufferzone soll nach Vorstellung der Planer die Höhle von dem 621-Hektar-Areal abschirmen. Archäologen haben inzwischen zwei offizielle Proteste gegen die Entscheidung der Provinzbehörden eingereicht, den Komplex zu genehmigen.

Besonders die Nähe der Siedlung zu der bislang abgeschieden gelegenen Höhle macht den Forschern Sorgen. "In Wirklichkeit gäbe es doch überhaupt keine Pufferzone", sagt Lyn Wadley von der University of Witwatersrand in Johannesburg. Sie fürchtet, dass Anwohner beim Sammeln von Feuerholz im nahen Flusstal sowie Teenager, die nach einem Treffpunkt suchen, die fein geschichtete Erde am Boden und vor der Höhle zertrampeln. Dicke Ablagerungen von Sedimenten, die Artefakte umschließen, zeigen eine Nutzung vor 38 000 bis 77 000 Jahren, vielleicht reichen die Spuren sogar 100 000 Jahre in die Vergangenheit. Darum halten Altertumskundler die Sibudu-Höhle, wo Wadley 1998 die erste große Ausgrabung geleitet hat, für eine der wichtigsten Fundstätten der Welt. Die Unesco prüft die Aufnahme in das Weltkulturerbe; auch für den Schutz nach südafrikanischen Recht ist die Stelle nominiert worden.

Die Ausgrabungen haben hoch entwickelte Werkzeuge aus Stein oder Knochen zutage gefördert und symbolische Kunststücke wie Perlen aus den Schalen von Seemuscheln. Sie haben gezeigt, dass schon der frühe Mensch die kognitiven Fähigkeiten besaß, weit in die Zukunft zu planen. "Die Fundstätte hat noch ungeheures Potenzial, wenn sie geschützt wird", sagt Francesco d'Errico von der Universität Bordeaux. Mehr als hundert wissenschaftliche Veröffentlichungen sind bereits über die Funde erschienen, die jüngste in Plos One vergangene Woche; sie stammt vom derzeitigen Ausgrabungsdirektor Nicholas Conard von der Universität Tübingen. Dort berichtet sein Team von drei Veränderungen in der Herstellung von Steinwerkzeugen vor 58 000 Jahren und zeigt damit die kulturelle Flexibilität der damaligen Bewohner.

Die Archäologen kämpfen gegen die Bebauungspläne, seitdem sie im Jahre 2010 erstmals verkündet wurden - von der Firma KDC Projects and Development aus Ballito in der gleichen Provinz. Ihr gehört das Land vor der Höhle. Sie will 250 Hektar Zuckerrohrfelder nahe der Fundstätte in Siedlungsland verwandeln, 1800 Menschen sollen in dem neuen Ortsteil leben. Der Verkehr würde stark zunehmen.

Trotzdem hat das Projekt Anfang dieses Jahres eine Umweltverträglichkeits-Prüfung überstanden. Es wurde dann schnell von der Provinzbehörde genehmigt, die für wirtschaftliche Entwicklung sowie für Tourismus und Umweltfragen zuständig ist. "Ich konnte keinen von diesen Leuten überzeugen, dass Sibudu wichtig ist", klagt Lyn Wadley. Ein Behördenvertreter, der anonym bleiben wollte, erklärt: "Es ist sehr schwierig in diesem Land, die wirtschaftliche Entwicklung aufzuhalten."

Bislang lag die archäologisch wertvolle Stätte abseits der Zivilisation. Das ist vorbei

"Die Offiziellen haben den Archäologen offenbar keine Aufmerksamkeit geschenkt", sagt Charlotte Mbali, die in Durban ein Zentrum für Erwachsenenbildung leitet. Sie gehört der lokalen Organisation "Friends of Sibudu" an, die eine viel größere Schutzzone um die Höhle fordert und dafür einen 51 Hektar großen Touristenpark vorschlägt. Es soll ein Besucherzentrum und Wanderpfade geben. KDC müsste dafür einen Teil des Landes an eine Stiftung verkaufen, die Nicholas Conard und andere gegründet haben. Das lehnt die Firma indes ab. Patrick Conway, ein Miteigentümer von KDC, sagt: "Wir haben enormen Respekt vor der Höhle und ihrer Bedeutung." Aber die geplante Pufferzone reiche aus, um die Fundstätte zu beschützen. Die Gegner der Siedlung müssten selbst die Verantwortung übernehmen. "Die Höhle liegt nicht auf unserem Land. Sie sollten sie einzäunen. Bisher haben sie nichts getan, um sie zu schützen."

Bisher sei auch kein sonderlich großer Schutz nötig gewesen, erwidert Conar, zwei am Fluss lebende Wärter hätten gereicht. "Sibudu lag bislang abseits der üblichen Pfade. Die Anwohner und die Archäologen haben eine lange Beziehung, die auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt basiert." Wenn viele fremde Menschen in die Gegend ziehen, "die es nicht kümmert, dass Sibudu der Ort der Vorfahren ist, dann lässt sich das Verhältnis kaum aufrechterhalten".

Dieser Artikel erscheint heute im Original in Science, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Info.: www.sciencemag.org, www.aaas.org. Dt. Bearb.: cris

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