Männer-Tennis:Vom Campingbus auf den Centre Court

Day Four: The Championships - Wimbledon 2015

Ein Deutscher, den sie den "Bob Marley des Tennissports" nennen, schreit seine Freude raus: Dustin Brown nach dem Viersatzsieg gegen Rafael Nadal.

(Foto: Ian Walton/Getty Images)

Dustin Brown aus Winsen an der Aller bezwingt Rafael Nadal überraschend in der zweiten Wimbledon-Runde.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Roger Federer saß lässig auf der Mauer, die Sonne schien ihm ins Gesicht, der Schweizer sah entspannt aus, als er zum TV-Interview gebeten wurde. Das durfte er auch sein, er hatte seine Pflichtaufgabe ja erfüllt, mit einem Dreisatz-Sieg gegen den Amerikaner Sam Querrey. Zur selben Zeit, gute hundert Schritte entfernt, schlug ein Mann aus Winsen an der Aller einen Tennisball, und binnen Zehntelsekunden drang der Lärm aus dem größten Stadion im All England Lawn Tennis and Croquet Club über die Anlage. Auch zu Federer. Es war eine bemerkenswerte Konstellation in diesem Augenblick.

19.42 Uhr, 7:5, 3:6, 6:4, 6:4, diese Zahlen wird Dustin Brown, jener Mann aus Winsen, in seinem Leben nicht mehr vergessen. Der Außenseiter, der frühe Campingbus-Journeyman auf der Profitour, der aufgrund seiner Rasta-Mähne als Bob Marley des Tennissports betitelte 30-jährige Deutsche, hatte Rafael Nadal, Federers ewigen Widersacher, besiegt. In der zweiten Runde von Wimbledon. Diesen ersten Erfolg von ihm einer Grand-Slam-Runde als Sensation zu beschreiben, wäre etwas zu hoch gegriffen, Nadal hat ja auch eine erstaunlich negative Serie fortgesetzt. Aber eine zünftige Überraschung ist es allemal.

Das Angebot, den Centre Court vorher anzuschauen, lehnte er ab: "Ich wollte nicht ausflippen"

Der 29-jährige Spanier hat nämlich nun zum vierten Mal hintereinander in Wimbledon gegen einen Gegner außerhalb der Top 100 verloren (2012 Lukas Rosol, 2013 Steve Darcis, 2014 Nick Kyrgios). Auf welch unterschiedlicher Augenhöhe sich der 14-malige Grand-Slam-Champion und Brown begegneten, offenbarte der Sieger nach dem 2:33 Stunden langen Match: "Ich bin ja noch nie auf dem Centre Court hier gewesen, und sie haben mich gefragt, ob ich ihn vorher mal sehen will. Da habe ich gesagt, nein, ich wollte nicht ausflippen." Das ist er dann allerdings doch, aber eben nur einmal. Da zeigte die Uhr 19.42 an, und 15 000 Menschen im Centre Court erhoben sich für diesen speziellen Moment.

"Das Match meines Lebens", genau so hatte Brown schon mal einen Sieg von sich bezeichnet, 2014 in Halle, 6:4, 6:1 hatte er, in Celle geboren, der Vater Jamaikaner, die Mutter Deutsche, den müden Nadal überrollt. Der Spanier war damals schlapp von seinem French-Open-Sieg eingetroffen. Umso bedeutsamer ist jetzt Browns Triumph, Nadal hatte in Stuttgart das erstmals dort auf Rasen ausgespielte Turnier gewonnen und in der ersten Runde in Wimbledon gegen den Brasilianer Thomaz Bellucci keine Blöße gezeigt. Aber Halle 2014 hat Brown geholfen, um Nadal 2015 auf der größtmöglichen Bühne zu schlagen.

Brown, der sich mit drei glatten Siegen in der Qualifikation ins Hauptfeld gespielt hatte, der Weltranglisten-102., wusste seitdem: "Ich muss die Ballwechsel kurz halten." Den Rhythmus, der Nadal Stärke verleiht, galt es zu stören, mit zackigen Aufschlägen, Stopps, Attacken in Endlosschleife. Nadal sollte nicht atmen können. "Ich hatte ja nichts zu verlieren, für mich war es einfach", sagte Brown hinterher, der Schweiß perlte von der Stirn. Ihm war klar: "Verliere ich hier 6:1, 6:2, 6:3, sagen alle: Bravo, Rafa", und weiter geht's.

Anfangs war Brown dennoch nervös, er kassierte das erste Break, konterte, der Satz steuerte auf den Tie-Break zu, da glückten Brown Zauberschläge, der Satzgewinn. Nadal steigerte sich, er schien der alte zu sein, doch schon ab dem Moment, als Brown im dritten Satz Nadals Aufschlag zum 3:2 abnahm, spürten die Zuschauer, es könnte plötzlich der Mallorquiner sehr viel zu verlieren haben, als Favorit. Nadal wirkte verkrampft, nur acht Winner von der Grundlinie waren dürftig für ihn. Brown ballte oft die Faust, blickte aufgeladen zur Box, wo Coach Scott Wittenberg saß. Es war beeindruckend, wie er auch zwei ungenutzte Matchbälle bei 5:3 im vierten Satz verkraftete, er servierte zum Sieg genau so entschlossen wie zuvor.

Brown blieb erstaunlich cool, "ich hatte Glück, zweimal gegen ihn auf Rasen spielen zu können", sagte er, "es ist jener Belag, auf dem ich die größte Chance habe", das hatte er vorher gesagt. Jetzt wissen alle, wie er das meinte.

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