Spurensuche:Riskante Sehnsucht

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Ein Kaffeeröster bietet gerade Inseln als Schnäppchen an und appelliert damit an den alten Wunsch nach Freiheit, Selbstbestimmung und Ruhe. Vorsicht: Der Regisseur Luis Buñuel meldete schon 1954 in einem Film Bedenken an.

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Derzeit stehen einige Inseln zum Verkauf - ein ganz alter Traum.

Die Sehnsucht nach dem eigenen kleinen Reich, durch ordentlich viel Wasser von allen Nachbarn getrennt, ist mindestens so alt wie die Seefahrt. Man kann derzeit ein paar Inseln günstig erwerben, auf der Website eines, wie es da immer heißt: Kaffeerösters. Die möglichen Aktivitäten werden dort angepriesen. Baden! Fischen! Wandern!

All das darf Robinson Crusoe bis zum Abwinken tun auf dem Eiland, auf dem er strandet nach einem Sturm. Daniel Defoes Roman ist 1719 erschienen, und er spielt auf der dunklen Seite dieses Traums. Der Kern dieser Idee ist es ja, autark zu sein, der eigene Herr, sich nicht mit den Wünschen und Angriffen seiner Mitmenschen herumschlagen zu müssen. Und "Robinson Crusoe" malt dann aus, was das heißt, und man kann es nirgends besser nachvollziehen als in Luis Buñuels Verfilmung von 1954. Er habe, lobte ihn die amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael, auf die tödliche Vorsicht verzichtet, mit der man gemeinhin Klassiker ermordet.

Buñuel galt damals schon als Meister, großer spanische Surrealist, als ganz großer Filmemacher. Er lebte im Exil in Mexiko, gedreht hat er den Film auf Englisch, in der Nähe von Acapulco, Dan O'Herlihy spielte seinen Crusoe - die Rolle mit Orson Welles zu besetzen, hatte Buñuel abgelehnt. Es ist Buñuels erster Farbfilm - und in diesen Farben schwelgt er im ersten Teil dieses Films. Wie sich Crusoe einrichtet auf der Insel, er hat einen Hund dabei, Rex, wie er auskundschaftet, was die Natur hergibt, was dort für Geschöpfe leben - das ist ein bisschen wie in den Naturfilmen James Algars, die zeitgleich entstanden. Anthony Collins' Musik macht manche Szenen zu einem Idyll. Wenn aber dann die Einsamkeit beginnt, Crusoe zu zerfressen - dann bricht die surreale Wildheit aus Buñuel heraus. Crusoe träumt, wie in einem Fieber, durstig; sein Vater erscheint ihm dabei, der ihn gewarnt hatte vor der Seefahrerei, planscht in einem imaginierten Teich, unscharf, wie ein Hologramm, trumpft auf und kichert diabolisch, bis der Sohn sich eine Axt holt, um das höhnische Trugbild zu zerschlagen. Er phantasiert sich also den Zank herbei, den es auf der Insel nicht gibt.

Bevor Crusoe Freitag findet, verliert er seinen Hund, seinen einzigen Gefährten in den ersten Jahren. Und am Ende, als er die Insel mit Freitag verlässt, dreht er noch einmal den Kopf - er meint, Rex bellen zu hören. Als ließe er seinen einzigen Freund zurück.

© SZ vom 04.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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