Griechenland:"Griechen verstehen nicht, wie gefährlich die Situation ist"

Greece referendum - preparations

Menschen warten vor einem Bankautomaten

(Foto: dpa)

Sie haben striktes Redeverbot: Banker müssen in diesen Tagen in Athen schweigen. Wir treffen dann doch eine, die erzählt, was ein "Nein" bei der Volksabstimmung für ihr Land bedeuten würde.

Von Hans von der Hagen, Athen

Banken in Athen erkennt man dieser Tage von weitem: Dort, wo sich der Automat befindet, reiht sich eine Schlange. Die Leute müssen eben irgendwie an ihr Geld kommen, die Institute sind weiterhin geschlossen. Als am Mittwoch die Banken vorübergehend öffneten, durften nur Rentner hinein, die keine Bankkarte besitzen. Die Eingänge waren meist von zwei Leuten bewacht, damit auch wirklich nur Befugte die Bank betraten. Fragen? Nicht erlaubt. Keiner darf etwas sagen.

Wir treffen eine Bankerin, die uns dann doch erzählt, was in den Gebäuden passiert. Ihr Name soll allerdings genauso wenig genannt werden wie der des Institutes, für das sie arbeitet. Sie setzt ihren Job aufs Spiel.

Drei wichtige Buchstaben

Vielleicht, weil sie so wütend ist: Die Griechen, sagt sie, hätten nicht mal ansatzweise verstanden, wie gefährlich die Situation sei. Sollte die Drachme zurückkommen, wären nicht mehr 30 Prozent der Leute arm, wie jetzt, sondern 80 Prozent. Geld ist ja auch kaum mehr vorhanden: Mitte der Woche standen ihren Aussagen zufolge den Banken zusammengenommen noch 800 Millionen Euro Bargeld zur Verfügung.

Darum sei derzeit in den Instituten nichts so wichtig wie die drei Buchstaben ELA. Das sind die Notkredite der Europäischen Zentralbank, mit denen die Banken gerade so eben noch liquide gehalten werden. Alle zwei Wochen bangten die Mitarbeiter bei der Ratssitzung der EZB: Was wird Draghi sagen? Wird ELA verlängert?

In den Banken haben alle verstanden: Verlängert EZB-Chef Mario Draghi diese Hilfen nicht mehr, ist es vorbei, "als wenn man den Stecker ziehen würde". Im Grunde seien eh nur noch die vier großen Banken des Landes lebensfähig, die kleineren Institute nennt sie "klinisch tot".

Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen sei unvermeidlich gewesen. Hat sie damit gerechnet? Sie sagt: Viele hätten geahnt, dass das wohl so kommen würde - spätestens, seit Tsipras im Februar die Verlängerung der Hilfskredite unterzeichnet habe. Aber irgendwie habe jeder noch gehofft, dass die Kontrollen im letzten Moment abgewendet werden könnten. Andererseits konnte es nicht mehr so weitergehen: Massenweise hätten die Kunden in den letzten Monaten Geld abgehoben, vieles davon sei in den Schließfächern gelandet. Darum hätten die Banken nun kein Geld mehr für Kredite.

Ein Nein wäre ein Albtraum

Manches erscheint ihr im Nachhinein in anderem Licht: Warum gab es vor rund sechs Monaten die Zielvorgabe, dass alle, wirklich alle Kunden Bankkarten bekommen sollten? Etwa wegen drohender Kapitalverkehrskontrollen? Sie weiß es nicht.

Der Grund dafür dürfte allerdings ein anderer sein: Schon lange wird in Griechenland diskutiert, dass selbst kleine Summen mit Bankkarten bezahlt werden sollen, um der Hinterziehung der Mehrwertsteuer Herr zu werden. Genauso wie mittlerweile in Bars und Restaurants die Regel gilt: Kommt mit der Bestellung kein Kassenbeleg mit auf den Tisch, darf man gehen, ohne zu bezahlen. Macht natürlich keiner.

Wie auch immer: All jene Kunden, die in den letzten Monaten partout keine Bankkarte haben wollten, bekamen in dieser Woche die Quittung dafür. Es gab kein Geld mehr. Denn die Bank ist derzeit nur noch: der Automat. Überweisungen ins Ausland? Praktisch unmöglich. Im Land selbst können zwar Überweisungen ausgeführt werden, doch im Moment hält jeder sein Geld zusammen. Ausgaben beschränken sich auf das Notwendigste.

Tag für Tag werden nun die Automaten mit 40 000 bis 50 000 Euro befüllt. Darum ist die Chance, an sein Geld zu kommen, morgens am größten. Zuletzt durfte jeder Grieche noch 60 Euro abheben, was am Montag sein wird, weiß keiner. Zahlungen werden am liebsten nur noch in Bar angenommen - wer weiß, was das Geld auf den Konten in der kommenden Woche noch wert ist.

Die junge Bankerin will an diesem Sonntag beim Referendum mit Ja stimmen. Die Konseqenzen eines Neins wären unvorstellbar. Und sie versteht auch nicht, wie Politiker behaupten könnten, dass die Einlagen sicher seien. Das sei eine Lüge.

Längst hat sich die Bankerin in der Bar so in Rage geredet, dass die Leute an den Nachbartischen aufmerksam werden und anfangen, mitzudiskutieren. Es wird laut. Man könnte fast denken, dass die Gäste gleich aufeinander einprügeln, so aggressiv ist der Ton. Aber nein: Der Eindruck täuscht. Hier sind sich alle einig. Ein Nein beim Referendum wäre ein Albtraum.

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