Patrik Kühnen in Wimbledon:Filmriss im fünften Satz

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Patrik Kühnen, der Mann im Schatten von Becker und Stich, im Wimbledon. (Foto: imago)

Er war der "weiße Riese", eine deutsche Wimbledon-Sensation: Patrik Kühnen erzählt von seinem Triumph 1988 gegen den großen Jimmy Connors auf dem "Friedhof der Champions". Von der entscheidenden Phase weiß er fast nichts mehr.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Patrik Kühnen könnte St. Mary's Walk runterlaufen, den South Concourse weitergehen, er könnte zwischen den eng beieinander liegenden Plätzen 4 bis 11 herumspionieren. Er würde nirgendwo fündig werden. Denn es gibt ihn ja gar nicht mehr, jenen einst so mysteriösen Platz Nummer zwei, der mal einen herrlichen Titel trug: "Der war als Friedhof der Champions bekannt", sagt Patrik Kühnen und lacht dieses frische Kühnen-Lachen, das an einen Club-Animateur auf den Malediven erinnert.

Kühnen hat selbst mal einen Star zerlegt. Auf Court No.2, wo Größen wie Ilie Nastase, John McEnroe, Boris Becker, Andre Agassi, Serena Williams und Maria Scharapowa bittere Niederlagen kassierten. Und seine Erinnerung wird ihm für immer bleiben, auch wenn Court No. 2 der Anlage des All England Clubs im Jahr 2009 abgerissen und durch einen neuen ersetzt wurde. In seinem Kopf aber bleibt die Erinnerung lebendig - zumindest in Teilen.

27. Juni 1988, Kühnen tritt gegen den großen Jimmy Connors an. Ein Cowboy, ein Rüpel beizeiten, einer, der sich hochgearbeitet hat und Killerinstinkt besitzt. 109 Turniere hat Connors seinerzeit gewonnen, ein Rekord, der immer noch Bestand hat. Achtmal triumphierte der Amerikaner bei Grand Slams, 268 Wochen lang war er die Nummer eins der Weltrangliste. Kühnen war auch ein sehr guter Profi, 43. der Weltrangliste mal, aber im mächtigen Schatten von Becker und Stich war bei ihm das Auffallendste, dass man seinen Vornamen Patrik ohne CK am Ende schreibt. Das war eigentlich immer ungerecht.

5:7, der erste Satz ist knapp, der Amerikaner, schon 35, ganz cool, "aber ich spürte da schon: Da geht was", sagt Kühnen. Und während er ansetzt, das folgende Drama zu beschreiben, kommt plötzlich, jetzt im Jahre 2015, Toni Kroos um die Ecke. Im Schlepptau von Oliver Pocher. Ein Handschlag, ein Servus, so ist das in Wimbledon. Und das Ulkigste: Promis wie der Fußballer von Real Madrid laufen hier unter: ferner liefen.

Zweiter Satz also, Kühnen, ein guter Aufschläger, einhändige Rückhand, gerade Schläge, kontert, 7:6, den Tie-Break gewinnt er mit 9:7. Der nächste Tie-Break, 6:6. Und eine spektakuläre Szene. "Wir stehen da, ich sehe Jimmy noch an der Grundlinie stehen, mit dieser wippenden Bewegung", rattert es aus Kühnen, er imitiert Connors, er macht das perfekt, "plötzlich gibt es eine Dusche, und ich seh' nur, wie der Schiedsrichter rückwärts zurückgefahren und die Plane über den Rasen gerissen wird." Regen, Spielunterbrechung. Die Nacht wird schlimm für Kühnen, Pam Shriver, die Doppelkönigin, guckt die halbe Nacht fernsehen, sie wohnt nebenan. Kühnen ist angespannt, beschließt, sich gleich morgens hart einzuspielen, angeschwitzt auf den Platz zu gehen.

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"Dann sah ich Connors, staubtrocken kam er aus der Kabine, da hab ich gleich innerlich die Faust geballt", weiß er noch heute. 7:2, ratzfatz war der Tie-Break gewonnen. Sie halten ihre Aufschlagspiele, 6:5, 40:15, zwei Matchbälle Kühnen, wie aus dem Nichts. "Und mit einem Schlag trifft mich der Moment", sagt er, "mein Arm wurde bleischwer, ich hab ihn kaum hochgekriegt." Connors wehrt ab, gewinnt den Satz im Tie-Break 7:4. Eine typische Connors-Wende. Oder?

Diesmal, und das ist das Erstaunlichste, knickte sein Außenseiter-Gegner nicht ein. Und das mindestens ebenso Erstaunliche: Kühnen weiß vom Sieg praktisch nichts mehr. Im Kopf ist diese Erinnerung jedenfalls nicht mehr, und auch nie gewesen. "Ab dem 3:3 weiß ich nichts mehr, absoluter Filmriss. Erst den Matchball weiß ich noch", versichert Kühnen. Aber nur, "weil ich ihn im Fernsehen öfter gesehen habe". Er setzt einen Vorhandvolley cross zum 6:3 ins Feld. 4:40 Stunden dauerte die Schlacht über zwei Tage, und sie liest sich als Gesamtergebnis auch so: 5:7, 7:6, 7:6, 6:7, 6:3.

Im Viertelfinale hat Kühnen dann in vier Sätzen gegen den Schweden Stefan Edberg verloren. Aber der nunmehr 49-Jährige, immer noch topfit, Turnierdirektor der BMW Open heute und Versicherungsrepräsentant in Dubai, er hat wahrlich Geschichte geschrieben, beim berühmtesten Tennisturnier weltweit. "Die britische Presse taufte mich daraufhin den weißen Riesen", sagt er schmunzelnd, denn Kühnen war ja nicht komplett in Weiß angetreten, weil die Regeln das vorschreiben, bis heute. Er hatte einfach keinen einzigen Sponsor damals.

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