Bildungspolitik:Schulleiter schwärzen streikende Lehrer an

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  • Etwa 200 Lehrer legten laut GEW im März ihre Arbeit nieder, um gegen befristete Verträge, geringe Bezahlung und unsichere Zukunftsaussichten zu protestieren.
  • An einigen Schulen sollen die Schulleiter sie unter Druck gesetzt und ihnen mit beruflichen Konsequenzen gedroht haben.
  • Im Kultusministerium weiß man von nichts.

Von Anna Günther, München

An etwa einem Dutzend Schulen in Bayern sollen Schulleiter streikende angestellte Lehrer unter Druck gesetzt und ihnen mit beruflichen Konsequenzen gedroht haben. Etwa 200 Lehrer legten laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an zwei Tagen im März ihre Arbeit nieder, um gegen befristete Verträge, geringe Bezahlung und unsichere Zukunftsaussichten zu protestieren. Im Kultusministerium zählte man 31.

Kurz nach den Streiks meldeten sich erste Lehrer bei der GEW, um über offene oder beiläufige Drohungen seines Vorgesetzten zu klagen. Seither gehen immer neue Berichte ein. Vor allem Pädagogen an Real-, Fach- und Berufsoberschulen streikten. Dort ist die Zahl der befristet angestellten Lehrer am höchsten. Entsprechend groß ist die Angst.

"Der Chef hat wegen des angekündigten Streiks den Angestellten gesagt, dass sie einen entsprechenden Vermerk in ihre Personalakte bekommen, sollten sie morgen ihre Arbeit niederlegen" schreibt ein Lehrer per E-Mail. Sein Chef habe auch darauf hingewiesen, dass es "mit so einem Vermerk in Zukunft ungleich schwerer sein dürfte, beim Freistaat noch eine Anstellung zu bekommen". Sogar Schulleiter berichten von Ratschlägen ihrer Vorgesetzten, bloß nicht den Eindruck zu machen, "sie hätten ihren Laden nicht im Griff". Auch von der Erwähnung des Streiks im Arbeitszeugnis ist die Rede. Ein Realschulrektor verbot seinen Lehrern die Niederlegung der Arbeit. Ein anderer Schulleiter sagte seinem Angestellten, "tun Sie das, aber wir müssen den Namen dann ans Ministerium melden. Und da Sie auf eine Verlängerung hoffen. . ."

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Einschüchterungsversuche und Androhung von Konsequenzen verstoßen gegen das Grundrecht aller Angestellten auf Streik und gegen das im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte Maßregelungsverbot. Dass die Streikenden den Finanzbehörden gemeldet werden, weil die nicht gehaltenen Stunden vom Lohn abgezogen werden, ist klar. Knackpunkt ist aber der Umgang mit den Personaldaten. Sollte es im Kultusministerium eine schwarze Liste über Streiklehrer geben, wäre das auch ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz.

An diesem Dienstag befasst sich der Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes mit einem entsprechenden Antrag der Grünen, die eine Stellungnahme der Staatsregierung zum Umgang der Behörden mit den Personaldaten der streikenden Lehrer fordern. Noch vor den Streiks verschickte das Kultusministerium die Arbeitskampfrichtlinie des Finanzministeriums an alle Schulen sowie Bezirksregierungen und wies darauf hin, dass beide Ministerien noch am Streiktag über den Arbeitskampf, Auswirkungen und Gegenmaßnahmen zu informieren sind. Die Schulleiter sollten den Arbeitskampf genau dokumentieren: Neben Gesprächsprotokollen aus der Zeit vor dem Streik, Vermerken über Arbeitnehmer, Verhandlungen mit dem Betriebsrat und Zeugenaussagen sind auch "Beweismittel" wie Fotos vom Streik oder Zeitungsausschnitte zu sammeln.

Laut Finanzministerium gelten diese Richtlinien länderübergreifend. Sie werden von der Tarifgemeinschaft der Länder festgelegt. Ob die Schulleiter in vorauseilendem Gehorsam agierten oder Druck ausgeübt wurde, bleibt offen. Im Kultusministerium weiß man jedenfalls von nichts: "Für ein solches rechtswidriges Vorgehen hat das Ministerium auch nach einer eigens durchgeführten Abfrage bei den Regierungen keinen Hinweis." Die Streikdaten seien wichtig, weil das Ministerium "Zahl und Auswirkungen an das Finanzministerium zu melden hat". Dort kommt laut einer Sprecherin nur die Abwesenheitszeit der Lehrer, nicht aber der Grund dafür an. Personenbezogene Daten werden laut Kultusministerium nicht erhoben, und es sei selbstverständlich, dass sich der Staat an die Rechtslage halte.

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Die Angst der Lehrer vor einer schwarzen Liste bleibt. Mehrere Pädagogen hätten die GEW um einen Streikaufruf für ihre Schule gebeten und sich dann nicht getraut, sagt Baudler. Auch Thomas Gehring, Bildungsexperte der Grünen, wurden Hinweise auf Einschüchterungsversuche zugespielt, allerdings anonym. "Daran sieht man, wie groß die Angst vor Konsequenzen ist. Das ist krass; einschüchtern und drohen geht einfach nicht", sagt Gehring.

Ein Problem ist für ihn auch die fehlende Streikkultur bei Lehrern. Schulleiter und Behörden könnten nicht damit umgehen, weil Beamte nicht streiken dürfen und die meisten Lehrer in Bayern nun einmal verbeamtet sind. Auch in den Nachrichten an die GEW ist mehrmals von "Sorge vor Flächenbrand" und "schrillenden Alarmglocken" im Kultusministerium die Rede. 86 000 Pädagogen bezahlt der Staat. Sieben Prozent sind Angestellte, die Hälfte davon befristet. Das statistische Bundesamt jedoch zählt doppelt so viele Angestellte. Dabei haben diese laut Gehring Grund zu streiken: Sie erfahren oft erst kurz vor dem ersten Schultag, ob sie wieder einen Job haben, bekommen weniger Geld als Beamte und fallen aus dem System, wenn ihr Vertrag nach zwei Jahren nicht mehr ohne Angabe von Gründen verlängert werden darf.

© SZ vom 07.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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