102. Tour de France:Gorilla mit Kapuzenpulli

André Greipel genießt nach seinem Etappensieg das Grüne Trikot. Doch für Sprinter ist die Tour 2015 nicht gemacht.

Von Johannes Aumüller, Antwerpen/Neeltje Jans

Selbst an die Halterung des Tachometers haben sie gedacht. Sie ist jetzt ebenso grün wie der Rahmen des Rennrades mit der Nummer 75, das an diesem Montagmorgen in Antwerpen nahe der Schelde im Schatten des Mannschaftsbusses auf seinen Besitzer wartet. Und als dieser Besitzer dann kommt, grünes Trikot, grüne Handschuhe, grüne Sonnenbrille, da hält er das Velo erst einmal stolz in alle Kameras, die sich dort postiert haben. Normalerweise sei er ja "nicht der Typ, der so auffallen will", sagt André Greipel, aber wenn er jetzt schon in Grün fährt und wenn er den Sponsoren etwas Aufmerksamkeit verschaffen kann, ja, dann macht er es halt mit.

Am Abend zuvor ist Greipel noch anders aufgefallen. Auf dem Deich von Neeltje Jans hatte er die zweite Etappe der Tour de France gewonnen und sich erstmals in seiner Karriere das Grüne Trikot gesichert, das der Führende der Punktewertung trägt. Für die Umlackierung seines Gefährts hat aber kein Betreuer seines belgischen Lotto-Teams eine Nachtschicht einlegen müssen; so ein grünes - und im Übrigen auch ein gelbes - Rad haben sie bei der Rundfahrt immer im Bus, berichtet Greipel. Für alle Fälle.

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Sieger gleich bei der ersten Gelegenheit: André Greipel (l.).

(Foto: Eric Feferberg/AFP)

Zumindest den Einsatz des grünen Modells haben die Verantwortlichen bei Lotto dabei durchaus erahnen können. Greipel, 32, gebürtig aus Rostock und inzwischen in der Schweiz wohnhaft, hat zwar vergleichsweise spät seine Karriere gestartet, aber er gehört längst zu den konstantesten Sprintern der Welt - dank seiner unglaublichen Muskeln, die er von seiner Mutter geerbt habe, wie er früher einmal berichtet hat. Seit 2008 verging kein Jahr ohne zumindest einen Etappenerfolg bei einer der drei großen Rundfahrten (Tour, Giro, Vuelta), 2012 triumphierte er auf Frankreichs Straßen gleich dreimal.

Zuletzt hatte er nur das Pech, dass er immer etwas im Schatten von Landsmann Marcel Kittel stand, der in den beiden Vorjahren jeweils viermal gewann. Aber Kittel fehlt in diesem Jahr, sein Giant-Team hat ihn wegen mangelnder Fitness nicht nominiert und statt Massensprints bei der Tour stehen gerade nur Trainingsfahrten durch Thüringen sowie Diskussionen über die Zukunft auf dem Programm. Und Greipel kann endlich wieder den Status als (Deutschlands) bester Sprinter genießen.

Greipel ist - wie Kittel - immer ein eher stiller Vertreter dieses an auffälligen Charakteren nicht gerade armen Sprinterkreises gewesen. Da gibt es Typen wie den flegelhaften Mark Cavendish, der stets für einen herablassenden Spruch über die Konkurrenz gut ist, mit dem Greipel zu gemeinsamen Zeiten beim Team High Road eine innige Rivalität pflegte. Oder Protagonisten wie der Slowake Peter Sagan, der sich Fantasy-Helden wie Wolverine auf den Rahmen sprayt und sich auf und neben der Strecke manche Clownerei erlaubt.

Aber dass sie ihn in Frankreich vor lauter Ehrfurcht vor seiner Statur irgendwann einmal zum "Gorilla" ernannt haben, das hat auch der zurückhaltende Familienmensch Greipel, der auf dem linken Unterarm die Namen seiner beiden Töchter eintätowiert hat, für ein bisschen Inszenierung nutzen wollen. Auf seinem Sattel prangt selbst an seinen grünen Tagen ein stilisierter Gorilla, den Mund gierig geöffnet. Und vor der Tour hat er sich mit einem rappenden Radsport-Aficionado zusammengetan, um als "Da Gorilla" einen kleinen spaßigen Videoclip aufzunehmen. Dort ist Greipel dann in ungewohnter Position und Umgebung zu sehen - dunkler Hintergrund, in der Hand ein Mikrofon, nicht im grünen Trikot, sondern im grauen Kapuzen-Pulli -, und er bietet so feinsinnige Reime an wie jenen, dass Sagan, Cavendish und "the others" sich vor der Tour mal lieber an ihre "mothers" wenden sollten. Denn die Nummer eins des Sprints, das ist halt dieser André Greipel.

Wie gut er tatsächlich in Form ist, muss sich erst noch weisen. Die Ankunft am Sonntag war eher untypisch, weil nach vielen scharfen Attacken gerade noch eine 26 Mann große Gruppe im Ziel angekommen war - viele Sprinter waren an der Küste abgehängt worden. Außerdem dürfte die Zahl der Massenankünfte begrenzt sein. 2012 waren es acht, 2013 ebenso, 2014 immerhin noch sieben. Aber diesmal haben die Organisatoren selbst in die formal flachen Abschnitte oder in die sogenannten Überführungsetappen zwischen den Gebirgen so viele Schwierigkeiten eingebaut, dass es niemanden wundern sollte, falls es nur noch drei oder vier Ankünfte mit einem richtigen Sprint gibt. Am Montagabend spielte Greipel erwartungsgemäß keine Rolle, als es im Finale die schwere Mauer von Huy hinaufging und Joaquim Rodriguez (Spanien/Katjuscha) vor dem neuen Gelb-Träger Christopher Froome (Großbritannien/Sky) gewann. Aber immerhin gelang es ihm, sein Grünes Trikot zu verteidigen. Dass er es auch am Ende der Tour überstreifen kann, ist eher unwahrscheinlich, dies dürfte bei diesem Parcours eher eine Sache für bergfestere Sprinter wie Sagan werden. Der rappende Gorilla hingegen will sich auf die Etappen konzentrieren. Vor allem auf die prestigeträchtige am Ende der Rundfahrt auf den Champs Élysées in Paris. Die hatte ihm zuletzt zwei Mal Landsmann Kittel weggeschnappt.

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