NSA-Affäre und "Spiegel":Vieles ist auf einmal vorstellbar

NSA-Untersuchungsausschuss

Der für die Aufsicht über den BND zuständige Abteilungsleiter im Kanzleramt, Günter Heiß, vor NSA-Ausschuss.

(Foto: dpa)

Hörte der US-amerikanische Geheimdienst das Nachrichtenmagazin "Spiegel" ab? Und wenn ja: Wusste die Bundesregierung davon? Der NSA-Ausschuss tappt im Dunkeln.

Von Thorsten Denkler, Berlin und Claudia Tieschky

Günter Heiß könnte mit "Ja" antworten. Oder mit "Nein". Oder auch mit: "Daran kann ich mich nicht erinnern." Heiß aber, Chef der für die BND-Aufsicht zuständigen Abteilung sechs im Bundeskanzleramt, entscheidet sich, öffentlich gar nichts zu sagen. Allenfalls in nicht-öffentlicher Sitzung wäre er bereit dazu. Aber selbst das nur widerwillig.

Immer wieder versucht es Hans-Christian Ströbele, Grünen-Abgeordneter im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages am vorigen Donnerstag. Heiß sagt als Zeuge aus. Ströbeles offenbar so schwer zu beantwortende Frage lautet schlicht: "Hatten Sie im Jahr 2011 einen konkreten Verdacht, dass Ihr Mitarbeiter Vorbeck Informationen unerlaubt an Journalisten gegeben hat, insbesondere des Spiegel?"

Der Spiegel hat dem Fall in eigener Sache eine fünfseitige Geschichte gewidmet und titelt auf dem Cover: "Abgehört: Der Spiegel". Von einem "Anschlag auf die Pressefreiheit" ist die Rede. Tatsächlich sind die Fragen, die die Geschichte aufwirft, sehr grundsätzlich: Hören US-Geheimdienste deutsche Journalisten ab? Beobachten sie gezielt, welche Kontakte hohe Regierungsbeamte zu Medien haben? Ist der Spiegel, sind Medien allgemein ein Aufklärungsziel in der Strategie des engen Bündnispartners? Und schließlich: Hat die Bundesregierung diese Praxis gedeckt und dafür ein Bauernopfer aus den eigenen Reihen gebracht?

"Es lag kein hinreichend konkreter Verdacht vor"

Bis vor Kurzem schien all dies undenkbar zu sein. Aber vieles ist auf einmal vorstellbar, seit Edward Snowdens Enthüllungen über das Treiben der US-Geheimdienste und seit klar wird, in welchem Umfang die NSA auch in Deutschland abgehört hat.

Ströbele weiß all dies, als er Heiß befragt. Er sitzt vorgebeugt hinter seinem Mikrofon und besteht auf einer Antwort. Ausschusschef Patrick Sensburg (CDU) droht gar mit einer richterlichen Eilentscheidung, sollte Heiß weiter die Antwort verweigern. Die Frage wird zurückgestellt. Am Ende der fast sechsstündigen Vernehmung stellt Ströbele sie noch einmal. Endlich antwortet Heiß: "Es lag kein hinreichend konkreter Verdacht vor, an den wir konkrete Maßnahmen hätten anknüpfen können."

Die Vorbeck-Affäre

Trotzdem wurde Hans Josef Vorbeck, heute 64, damals stellvertretender Leiter der Abteilung sechs und in dieser Funktion ganz offiziell mit Pressekontakten betraut, im Jahr 2011 ohne Angabe von Gründen ins Archiv versetzt. Dass er Geheimnisse an Medien weitergegeben haben soll, bestreitet er mit Nachdruck. Die CIA habe Heiß 2011 vor Vorbeck gewarnt, berichtet der Spiegel und zieht den Schluss, dass die CIA ihre Erkenntnisse über eine angebliche Informantentätigkeit Vorbecks nicht von einem Maulwurf im Kanzleramt hatte, sondern von Spähaktionen der NSA.

Eine Bestätigung, dass der Spiegel von den Amerikanern abgehört wurde, gibt es bislang nicht. Das Magazin teilt auf Anfrage mit, seine Recherchen seien mindestens zwei Mal bei Geheimgesprächen zwischen CIA-Leuten und Bundeskanzleramt zur Sprache gekommen. Dabei hätten die Amerikaner Informationen vorgelegt, die "nach Angaben von mehreren Quellen in Washington und Berlin aus abgehörter Kommunikation stammen". Mitgehört worden sei "eine größere Anzahl von Gesprächen über einen längeren Zeitraum", eine abschließende Aufklärung, wer wie lange abgehört wurde, müsse von amerikanischer Seite erfolgen. Man habe im Bundeskanzleramt um Aufklärung und Akteneinsicht gebeten.

Klar ist durch Heiß' Aussage aber auch: Im Bundeskanzleramt muss es schon weit vor den Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 Hinweise auf Spionage der Amerikaner in Deutschland gegeben haben.

Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages, das die Geheimdienste überwachen soll, fällt Abgeordneten die plötzliche Versetzung des wichtigen Beamten auf. Sie erhalten 2011 die lapidare Antwort, Vorbecks Fähigkeiten würden dringend für die Aufarbeitung der BND-Vergangenheit gebraucht. Auffallend viel Eifer dafür, dass die Aufarbeitung der BND-Vergangenheit bis dahin nicht im Zentrum des Interesses des Kanzleramtes gestanden hatte.

Die Regierung spähe keine ausländischen Journalisten aus, heißt es in den USA

Vier Jahre lang mag Vorbeck gerätselt haben, was man ihm zur Last legte. Dann, im April 2015, lieferte Bild am Sonntag erstmals eine andere Antwort, die vom Eingreifen der Amerikaner. Der damals ranghöchste CIA-Mann in Berlin soll einen leitenden Mitarbeiter der Geheimdienstabteilung sechs im Kanzleramt als mutmaßlichen Maulwurf benannt haben. Der steche "gute Storys" an Medien durch, schrieb BamS. Den Namen Vorbeck habe der Spion bei einem konspirativen Spaziergang im Sommer 2011 seinem Gesprächspartner, nämlich Günter Heiß, gleich mitgeliefert, schreibt der Spiegel heute. Die Warnung habe sich speziell auf das Magazin bezogen.

Wenn das stimmt und man eine CIA-Quelle im Kanzleramt oder beim Spiegel selbst ausschließt, deutet viel darauf hin, dass US-Dienste illegal die Telefonanschlüsse des Kanzleramtes oder des Spiegel angezapft hatten oder beide.

Der Spiegel hat in der Sache jetzt Strafanzeige wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gestellt. Die Redaktion glaubt, selbst im Visier der US-Geheimen zu stehen. Bild am Sonntag dagegen berichtet, nur Vorbeck sei das Ziel gewesen. Ein Sprecher des nationalen US-Sicherheitsrates erzählte vorigen Freitag in Washington laut New York Times: Die Regierung spähe keine ausländischen Journalisten aus. Und: "Die Vereinigten Staaten spähen keine einfachen Bürger aus, die keine Bedrohung für die Nationale Sicherheit sind."

Ist das noch glaubhaft? Wer die Bundesregierung nach dem Fall fragt, bekommt die immer gleiche Antwort: Zu einzelnen Personalfragen äußere sich die Regierung grundsätzlich nicht öffentlich. Und zu Geheimdienst-Angelegenheiten äußere sie sich nur gegenüber den zuständigen Gremien des Bundestages. So steht es auch in der schriftlichen Stellungnahme auf eine Anfrage der SZ. Die Fragen im Fall Vorbeck rühren an einen Kern einer demokratischen Gesellschaft, die Pressefreiheit, und die Regierung schweigt.

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