Kleiderordnung in der Schule:Hilflos vor den Hotpants

Hot Pants

Für die einen Ausdruck der Persönlichkeit - für die anderen ein Affront: Hotpants an einer Berliner Schule.

(Foto: Ole Spata/dpa)

Schüler und Lehrer werden sich in Kleiderfragen nie einigen können. Trotzdem sollten sie über die Wirkung von Hotpants und Baggyjeans sprechen.

Kommentar von Violetta Simon

Die Hitze ist da - und mit ihr die hitzigen Debatten zum Thema Kleiderordnung an Schulen. Jedes Jahr aufs Neue wird darüber diskutiert, wie durchsichtig ein Shirt, wie kurz eine Hose und wie dünn die Träger eines Tops sein dürfen. Dabei stehen sich zwei Lager gegenüber: die Befürworter einer Kleiderordnung, die finden, dass knappe Kleidung an Schulen nichts verloren hat. Und die Vertreter des Textil-Liberalismus, die jegliche Reglementierung ablehnen, weil sie darin eine Vorverurteilung sehen - sowohl der Mädchen (Provokation!) als auch der Jungs (potenzielle Täter!).

Wie übertrieben hoch die Wellen der Aufregung mitunter schlagen, zeigt etwa ein Kommentar der taz. Es geht darin unter anderem um die Entscheidung einer Werkrealschule in Baden-Württemberg, "aufreizend" gekleideten Schülern ein großes T-Shirt überzuziehen. Die Autorin unterstellt der Schulleitung, die jungen Mädchen als Provokateurinnen darzustellen, die selbst schuld seien, wenn sie Opfer eines Übergriffs würden. Es fallen Begriffe wie "Rape Culture" und "Victim Blaming". In dem Artikel entrüstet sich die Autorin außerdem über den Schulleiter eines Berliner Gymnasiums, der seine Schülerinnen aufforderte, wegen in der Turnhalle untergebrachter Flüchtlinge keine Miniröcke oder kurzen Hosen zu tragen und den Asylbewerbern nicht direkt in die Augen zu schauen. Im taz-Artikel wird daraus ein Beweis für Sexismus und Rassismus.

Ein Akt der Hilflosigkeit

Zugegeben, die Argumentation des Direktors war fragwürdig, womöglich zeugt sie auch von Ignoranz oder gar Dummheit. Vor allem aber handelt es sich bei der Anweisung um einen Akt der Hilflosigkeit, wie sie bei der Debatte so häufig zu finden ist. Diese Hilflosigkeit ist immer dann zu spüren, wenn die Verantwortlichen nicht sagen können, wo das eigentliche Problem liegt: Sind es die Mädchen, die knappe Kleidung tragen, und die Jungs, die ihre Boxershorts aus den Baggypants hängen lassen - ohne sich über die Wirkung bewusst zu sein? Sind es jene, die sich davon angezogen oder kompromittiert fühlen? Geht es um persönliche Freiheit und möglicherweise überholte Vorschriften?

In jedem Fall - darin liegt die Verfasserin des taz-Artikels richtig - brauchen wir eine Schule, in der sich Mädchen sicher fühlen und weder Jungs noch Lehrer als potenzielle Täter abgestempelt werden. Denn wenn junge Mädchen und Frauen sich nur bedecken, damit sie später nicht selbst schuld sind, wenn sie angegrapscht werden, ist die Idee mit der Kleiderordnung das Geld für den Stoff nicht wert, der zur Verhüllung verwendet wird.

Kleidung strahlt eine Botschaft aus. Immer. Deshalb sollte man einem Lehrer durchaus zugestehen, zu fragen: Warum trägt das junge Mädchen, das da vor mir sitzt, ein durchsichtiges Top, wenn sie - mehr oder weniger freiwillig - hier ist, um Mathe zu lernen? Sie zieht sich ja bei einer Familienfeier auch anders an als im Club oder am Strand. Die Antwort findet man jedoch nicht, indem man über die vermeintliche Sexualisierung der Schülerinnen lamentiert.

Schule - Lebensraum und Arbeitsstelle

Um die Debatte voranzubringen, müssen die Verantwortlichen verstehen, dass der Begriff Schule für Schüler und Lehrer eine unterschiedliche Bedeutung hat: Für die Kinder ist es ein Lebensraum. Für die Erwachsenen eine Arbeitsstelle. Wo Menschen arbeiten, existiert in der Regel ein Dresscode. Wo sich Jugendliche begegnen auch - nur ein vollkommen anderer.

Im Gegensatz zum Büro oder zur Disko befinden sich an einer Schule Menschen mit gegensätzlichen Motiven unter einem Dach: Die Lehrer machen ihren Job, sie fokussieren sich dabei auf die Kinder. Die Schüler hingegen verbringen hier viel Zeit mit Gleichaltrigen, Lehrer werden - vor allem in der Pubertät - eher als Störfaktor empfunden.

Der feine Unterschied

Sollte die Kleiderwahl der Schüler deshalb einfach unkommentiert bleiben? Sollen sie einfach tun und lassen, was sie wollen? Keinesfalls. Kleidung hat eine Außenwirkung - und Lehrer sollten diese thematisieren. In den meisten Fällen haben Kinder durchaus ein Bewusstsein dafür, ob ihr Verhalten angemessen oder deplaziert ist. Sie müssen nur die Möglichkeit bekommen, zu verstehen, warum sie andere durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung irritieren. Hier sind die Lehrer gefragt, die ihren Schülern gegenüber mehr denn je einen Erziehungsauftrag haben.

Wenn wir wollen, dass die Schule auf das echte Leben vorbereitet, sollten Lehrer ihren Schülern klarmachen dürfen, dass ultrakurze Hotpants, bauchfreie Tops und Baggypants, deren Bund dreißig Zentimeter zu tief hängt, im Club, am Strand oder auf der Party einer Freundin völlig okay sind. Dass aber anders auftreten sollte, wer ernst genommen werden will - ob später im Uniseminar, in der Sprechstunde des Dozenten, bei der Ausbildung, im Bewerbungsgespräch oder im Job.

Die Schule muss Kindern und Jugendlichen ermöglichen, ein Gefühl für diesen Unterschied zu entwickeln. Statt Rocklängen zu messen und T-Shirts zu verteilen, sollten Lehrer lieber mit ihren Schülern über Kleidung und deren Außenwirkung diskutieren. Denn am Ende geht es um Erkenntnis und Selbstverantwortung - und nicht um Verbote, die in solchen Zusammenhängen ohnehin selten zum Erfolg führen.

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