Asylbewerber in Hamburg:Villenviertel kämpft um seinen Ruf

Ehemaliges Kreiswehrersatzamt an den Sophienterrassen

In einem "besonders geschützten Wohngebiet" Hamburgs liegt das ehemalige Kreiswehrersatzamt, in dem Flüchtlinge untergebracht werden sollen.

(Foto: Bodo Marks/dpa)

Im Hamburger Villenviertel Harvestehude erwirkten Anwohner einen Baustopp gegen ein Flüchtlingsheim. Nun ändert die Stadt den Bebauungsplan, um das Heim doch zu eröffnen - und bekommt viel Applaus.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

Irgendwann fängt die Frau in der ersten Reihe an zu brüllen: "Was können Bürger denn tun, die ein Flüchtlingsheim verhindern wollen?" "Gar nichts!", schallt es ihr entgegen, in der Aula des Wilhelm-Gymnasiums im Hamburger Villenviertel Harvestehude. Gar nichts - und das ist auch gut so. Das finden die meisten Leute, die am Dienstagabend zur öffentlichen Plandiskussion gekommen sind für das Heim, das in einem ehemaligen Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse entstehen soll.

Das Flüchtlingsheim im Villenviertel hätte eigentlich längst eröffnen sollen. Nachbarn des Grundstücks waren jedoch gegen die Heimpläne vor Gericht gezogen. Das Hamburger Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht gaben ihrem Eilantrag vor einigen Monaten statt, verfügten einen Baustopp. Laut Bebauungsplan, der noch aus den 50er-Jahren stammt, liege das Gebäude in einem "besonders geschützten Wohngebiet", in dem keine soziale Einrichtung wie ein Flüchtlingsheim stehen dürfe. Nun muss der Bezirk den Bebauungsplan ändern, damit das Heim doch kommen kann. Mindestens ein Jahr wird das dauern.

Von der Verantwortung freikaufen?

Für die Menschen in Harvestehude geht es dabei längst um mehr als die 220 Flüchtlinge, die in der Sophienterrasse einziehen sollen. Es geht um ihren Ruf. Der Eilantrag der Anwohner und die Entscheidung des Gerichts hatten in der ganzen Stadt für große Empörung gesorgt. Der Tenor: Die Reichen von Hamburg drücken sich vor der Verantwortung, wollen Flüchtlinge in arme Stadtteile abschieben. Und sie bezahlen teure Anwälte, um ihren Willen zu bekommen. Diesem Eindruck wollen die meisten Harvestehuder entgegentreten, weswegen es in der Plandiskussion sehr wenig um den vorgestellten Plan geht, und sehr viel um Politik und Moral.

Einer nach dem anderen stehen elegante Damen und Herren, Studenten und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer auf, tragen wohlformulierte Plädoyers vor. "Das kalte Herz der Menschen sollte endlich weich werden", findet etwa eine Frau mit langen, kastanienbraunen Haaren und heller Bluse. "Was ist das für eine kleine humanistische Handreichung im Vergleich zu dem, was diese Menschen erleiden mussten?" Ein ebenso gut gekleideter, grauhaariger Herr berichtet, dass er erst Bedenken gehabt hatte, als er von den Plänen erfuhr, sich dann aber in der Nachbarschaft anderer Heime umgehört habe: "Da gab es keine nennenswerten Probleme." Und Hendrikje Blandow-Schlegel, SPD-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft und Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Harvestehude, sagt: "Wir als wohlsituierter Stadtteil haben eine besondere Verantwortung."

Nur wenige argumentieren gegen das Heim, ausfällig wird allein die Frau in der ersten Reihe. Die wohnt allerdings überhaupt nicht in Harvestehude, sondern ist extra aus St. Pauli angereist, um Krawall zu machen. Bedenken gibt es aber auch unter den Nachbarn. "Was mir auffällt ist, dass hier immer nur das Menschliche im Vordergrund steht und die Kosten nicht beachtet werden", sagt etwa ein älterer Herr. Er hat schon recht, die Lage ist teuer. Weswegen viele fragen: Könnte man anderswo die Menschen nicht billiger unterbringen? Der Gedanke sorgt für Empörung in der Schulaula. "Ich finde es schlimm, dass hier immer von Kosten und Zahlen die Rede ist, es geht doch um Menschen", sagt eine junge Frau aus dem Publikum. Tatsächlich ist die Frage nach einem günstigeren Platz gar nicht mehr so entscheidend. Denn die Stadt Hamburg kann auf der Suche nach Standorten für Flüchtlingsheime längst keine Alternativen mehr gegeneinander abwägen, sondern muss jede verfügbare Fläche nutzen.

"Das hat doch überhaupt nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun"

Wie viele Großstädte hat Hamburg arge Not, die vielen Flüchtlinge, die in die Metropole kommen, unterzubringen. Im ersten Halbjahr 2015 haben sich 12 536 Personen in der Zentralen Erstaufnahme gemeldet und einen Asylantrag gestellt, erklärte Sozialsenator Detlef Scheele am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Für diese Menschen braucht die Stadt dringend neue Unterkünfte. Für die Hamburger bedeute das: "Wer in Hamburg aus seiner Haustür tritt und einen Kilometer nach links oder nach rechts geht, wird auf eine Flüchtlingsunterkunft treffen." Der Senat weiß natürlich, dass davon nicht alle Hamburger begeistert sind - und dass er gleichzeitig auf die Unterstützung der Bürger angewiesen ist. Scheele wird nicht müde, die vielen Ehrenamtlichen zu loben, die sich bereits für Flüchtlinge einsetzen, wie auch in Harvestehude, wo es das Heim noch nicht einmal gibt. Frühestens im August 2016 kann es fertig sein, heißt es auf der Planvorstellung.

Wenn nicht wieder jemand rechtlich dagegen vorgeht. Diejenigen, die das Heim vorerst verhindert haben, melden sich auf der öffentlichen Diskussionsveranstaltung nicht zu Wort, sie wollen anonym bleiben. Das einzige Medium, das bisher ein Interview mit einem der namenlosen Heimverhinderer bekam, ist die Zeit. "Das hat überhaupt nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun", steht groß über dem Artikel. Aber womit es dann etwas zu tun hat - das wird in dem Gespräch nicht ganz klar. Die Anwohner, so heißt es dort, würden einem kleineren Heim sofort zustimmen, mit 100 bis 120 statt 220 Flüchtlingen. In der geplanten Größe befürchten sie allerdings, die Atmosphäre im Viertel könne sich verändern, das sei "gebietsunverträglich". Sie präsentieren sich außerdem als Kämpfer für bessere Verhältnisse in Flüchtlingsunterkünften, von "Ghettoisierung" ist da die Rede. Die Änderung des Bebauungsplans empfinden die Verhinderer als "Racheplanung" des Bezirks, schreibt die Zeit.

Es geht auch ums Prinzip

Immerhin ihr Anwalt meldet sich auf der öffentlichen Plandiskussion zu Wort. Er beklagt, dass der Bezirk nicht auf die Kompromissvorschläge seiner Mandanten eingegangen ist. Wäre es nicht besser, jetzt schon 100 Flüchtlinge unterbringen zu können, als noch einmal ein Jahr zu warten, bis der neue Bebauungsplan durch ist? "Diese Chance vergibt man wegen Symbolpolitik", sagt er.

Tatsächlich dürfte es auch ums Prinzip gehen. Für den Hamburger Senat wäre es fatal, wenn der Eindruck entstünde, vermögende Bürger könnten sich von ihrer Verantwortung freikaufen oder diese auf ein für sie angenehmes Maß herunterverhandeln. So ausdrücklich sagt das auf der Plandiskussion keiner, da lassen die anwesenden Behördenvertreter lieber die Flüchtlingszahlen für sich sprechen.

Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke betont jedoch mehrmals: "Es geht um eine faire Verteilung der Standorte." Der Stadtteil Harvestehude habe, anders als viele andere, bisher keine Flüchtlingsunterkunft. Er wehrt sich auch gegen den Vorwurf, mit dem neuen Bebauungsplan die Entscheidung der Gerichte zu missachten. "Wir haben als Stadt die kommunale Planungshoheit", sagt er. Und damit eben das Recht, Bebauungspläne zu ändern. "Sofern es die politischen Mehrheiten dafür gibt, natürlich. Und die scheint es ja zu geben", sagt er ein wenig spitz. Lauter Applaus schallt da durch die Aula, ganz so, als wollten die Harvestehuder zeigen: Es gibt sie tatsächlich, diese Mehrheiten, sogar hier im Villenviertel.

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