Tony Martin bei der Tour de France:Triumph auf heikler Strecke

Tour de France 2015 - 4th stage

Bei seinem fulminanten Antritt gut drei Kilometer vor Etappenende hält Tony Martin die Verfolger auf Distanz ...

(Foto: dpa)
  • Zum Abschluss der ungewöhnlichen Starttage der Tour de France fährt Tony Martin zum ersten Mal in seiner Karriere ins Gelbe Trikot.
  • 19 Kilometer vor dem Ziel muss er wegen eines Platten sein Rad tauschen - ein heikles Manöver.
  • Mit den Bergen und Pflastersteinen werden die Etappen der Tour immer mehr zum Spektakel, damit steigt auch das Verletzungsrisiko.

Von Johannes Aumüller, Cambrai/Huy

Drei Kilometer vor dem Ziel trat Tony Martin an, und irgendwie hatte es den Anschein, als hätte sich das Feld in einer Art kollektiver Sympathiebekundung auch rasch damit abgefunden. Dieser Tony Martin war ja einerseits einer der größten Protagonisten und andererseits einer der größten Pechvögel der ersten Tage der Tour de France gewesen. Zum Auftakt hatte er das Gelbe Trikot um fünf Sekunden verpasst, danach um drei Sekunden, danach um eine Sekunde.

Und jetzt attackierte er also am Ende dieses schweren Kopfsteinpflaster-Abschnittes, niemand folgte ihm richtig, und ein paar Minuten später war Martins großer Traum perfekt: Er gewann die Etappe und setzte sich an die Spitze der Gesamtwertung. Aus deutscher Sicht wurde es dann sogar ein Doppelsieg: Das Sprintduell, das drei Sekunden später in Martins Rücken ausgetragen wurde, gewann der Geraer Paris-Roubaix-Sieger John Degenkolb. "Das ganze Pech der letzten Tage hat sich heute in Glück gewandelt", sagte Martin - nach einer Etappe, in der es zunächst so ausgesehen hatte, als setze sich das Pech noch einmal fort.

Tony Martin bei der Tour de France: ... und streift als 14. Deutscher das Gelbe Trikot über.

... und streift als 14. Deutscher das Gelbe Trikot über.

(Foto: Eric Gaillard/Reuters)

Martin musste das Rad wechseln

Denn just als das Rennen in seine entscheidende Phase ging, hatte sein Rad einen Platten - 19 Kilometer vor dem Ziel übernahm er kurzerhand das Velo seines Etixx-Teamkollegen Matteo Trentin. Das Manöver kostete ihn zwar kaum Zeit, erforderte aber großes technisches Können. Denn die Brems-Hebel an Trentins Lenker waren andersherum montiert. Bei einer Verwechslung drohte ein Sturz über den Lenker. "Ich musste höllisch aufpassen", sagte Martin.

Zum ersten Mal in seiner Karriere fuhr er dann ins Gelbe Trikot, als insgesamt 15. Deutscher in der Geschichte der Tour de France. Und Tony Martin, 30, darf sich durchaus als ein Profiteur davon fühlen, dass die Verantwortlichen der Amaury Sport Organisation (Aso) die Auftakttage diesmal so ungewöhnlich und für manche Protagonisten auch unnötig anspruchsvoll gestaltet haben.

Am Sonntag hatten sie den Streckenverlauf an der niederländischen Nordseeküste so konzipiert, dass es dort zwangsläufig zu einem Windkantenrennen kommen musste, in dem das Feld die Deiche entlang jagte und in mehrere Teile zerfiel. Dann bauten sie am Montag eine Fahrt durch die Ardennen mit der teils mehr als 19 Prozent steilen Passage hinauf zur Mauer von Huy als großem Finale ein. Am Dienstag zwangen sie die Fahrer auch noch über das gefürchtete Kopfsteinpflaster: Mehr als 13 Kilometer Pavés standen auf der Fahrt von Seraing nach Cambrai an, wo das Peloton auch ein irres Tempo anschlug.

Mehr Spannung, mehr Spektakel

Früher einmal dienten bei der Tour die Tage bis zu den Bergen auch ein Stück weit zum Einrollen. Doch diese Zeiten sind vorbei: Die Aso will von Anfang an "mehr Pep", wie Streckenchef Thierry Gouvenou einräumt, mehr Spannung, mehr Spektakel, mehr Abwechslung - und auch die Favoriten auf die Gesamtwertung schon früh fordern.

Fürs Publikum ist das schön anzusehen, und ein paar Pflastersteine dürften auch höhere Einschaltquoten im Fernsehen bringen als Flachetappen, die nach dem traditionellen Muster verlaufen: frühe Ausreißergruppe, hinterherfahrendes Feld, Massensprint. Bis es zu Beginn der nächsten Woche ins Hochgebirge geht, kommen nun noch weitere Etappen, die Spektakel versprechen, etwa die Mûr de Bretagne, an der wieder so ein Bergsprint ansteht wie an der Mauer von Huy.

Das Sturz- und Verletzungsrisiko steigt

Es gibt auch gute inhaltliche Gründe, solche Schwierigkeiten vermehrt einzubauen. Der Verlauf der Rundfahrt ist nicht so vorhersehbar, sondern bietet mehr Optionen und taktische Varianten. Zudem sollte ein guter Rennfahrer eben mehr können als aerodynamisch ein Einzelzeitfahren und wieselflink die mythischen Kehren von Alpe d'Huez zu absolvieren.

Dennoch ist es fraglich, ob eine Rundfahrt wie die Tour solche Verschärfungen und den Einbau kleiner Klassiker an normalen Tagen braucht. Die Schwierigkeiten sind doch ohnehin groß genug, wenn es während der drei Wochen über die zahlreichen steilen Anstiege der Pyrenäen und der Alpen geht. Mit dem stets beteuerten Kampf um eine sauberere Radsportsache passt es auch nicht richtig zusammen, wenn die Pedaleure nun nahezu jeden Tag voll fahren müssen und mit erhöhtem Kraftverbrauch ins Hochgebirge kommen.

Auch das Sturz- und Verletzungsrisiko steigt auf solchen Routen, vor allem auf dem Kopfsteinpflaster. Am Dienstag hatten die Organisatoren Glück, dass es nur auf ersten Pavés kurz nieselte und dann wieder die Sonne schien. So kamen die Favoriten auf die Gesamtwertung zwar teils etwas wackelig, aber im Großen und Ganzen gut über die Pflaster. Der Brite Christopher Froome (Sky) ist nach der peppigen Auftakt-Trilogie nun am besten platziert, der Kolumbianer Nairo Quintana (Movistar) mit fast zwei Minuten Rückstand am schwächsten.

Im Fahrerfeld hatte es schon im vergangenen Jahr leichten Unmut erzeugt, dass die Aso unbedingt Kopfsteinpflaster im Programm haben wollte. Damals ging es sogar durch den gefürchteten Wald von Arenberg. Der Amerikaner Tejay van Garderen bat die Rennleitung, solche Etappen doch zu überdenken. Und selbst der Pflaster-Liebhaber Fabian Cancellara, der nach der Etappe nach Huy wegen eines Lendenwirbelbruchs aussteigen musste, war der Meinung, dass eine solche Strecke "bei der Tour nichts zu suchen" habe. Genutzt hat dieser Appell nichts, solche scharfen Elemente dürften auch in den nächsten Jahren zum Programm der Rundfahrt gehören. Tony Martin wird sich freuen. Für ihn gehören Kopfsteinpflaster "zur Tour einfach dazu".

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