Vorschlag-Hammer:Was heißt schon schön

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In Tel Aviv sieht man nicht wenige Balletttänzer, tätowiert bis zum Hals, mit der Statur von Preisboxern auf der Bühne. Prinz Siegfried mit Tattoo, der seine Schwanenkönigin stemmt wie eine 50-Kilo-Hantel

Von Eva-Elisabeth Fischer

In Tel Aviv sieht man nicht wenige Balletttänzer, tätowiert bis zum Hals, mit der Statur von Preisboxern auf der Bühne. Prinz Siegfried mit Tattoo, der seine Schwanenkönigin stemmt wie eine 50-Kilo-Hantel - bitte sehr. Die nun wiederum entspricht auch nicht unbedingt der gängigen Vorstellung einer ätherisch dahinschwebenden Spinnwebe im Tutu. Anderes Klima, andere Ästhetik. Knackige Körperbräune assoziiert in Ozonloch-samt-Hautkrebs-Zeiten hierzulande fast jeder mit prolligen Sonnenbänklern. Im Solarium zäh-ledern gegerbte Frauen besuchen gern auch jene Institute, wo abgefieselte Fingernägel dezent verschönert, gelegentlich aber in beängstigend bunt gemusterte Schaufelkrallen verwandelt werden.

Karo arbeitet zurzeit als Kassiererin beim Netto auf 450 Euro-Basis. Sie ist 19 und hat einen Kopf auf, in dem es gelegentlich denkt. Zum Beispiel, dass Frau etwas lernen sollte. Deshalb macht sie nächsten Monat in einem Fünf-Tage-Kursus, nein nicht ihr Jodel-, sondern ihr Nageldesign-Diplom. Warum man damit sein Brot verdienen kann, beschrieb Erich Kästner, der olle Chauvi, 1930 folgendermaßen: "Plötzlich färben sich die Klassefrauen,/ weil es Mode ist, die Nägel rot!/ Wenn es Mode wird, sie abzukauen,/ oder mit dem Hammer blau zu hauen,/ tun sie's auch und freuen sich halbtot."

Oder sie stopfen sich den Hintern aus und traktieren den Rumpf zum schlanken X. Solches hat sich vor nicht ganz 100 Jahren einer ausgedacht, allerdings nicht, um weibliche Körper der Männerfantasie gerecht zu deformieren, sondern um Männer wie Frauen in geometrische Bühnen-Skulpturen zu transformieren. 1922 wurde Das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer uraufgeführt, 1977 hat es Gerhard Bohner neu gefasst. Und diese Version wurde 2014 vom Bayerischen Staatsballett neu einstudiert.

Bohner übrigens, der vor 23 Jahren am 13. Juli mit 56 in Berlin starb, war ansonsten ein Tänzer-Choreograf, dessen Kunst sich in der Reduktion, ja in der Askese entfaltete, ein sparsam bewegter schlaksiger Körper von unglaublicher Eleganz, der abstrakte Skulpturen umschritt oder Formen von Schatten und Licht betanzte. Bohner wäre jetzt 79 und wohl immer noch einer der ganz Modernen. Er fehlt uns. Und es fehlt auch sein Wissen. Er hat noch bei Mary Wigman getanzt und hätte einiges zu sagen gehabt über das chorische Wogen zu Strawinskys Sacre, den Wigman 1957 in Berlin kreierte, wo Bohner tanzte. Und der, hervorragend von Patricia Stöckemann recherchiert und in Osnabrück rekonstruiert, nun endlich, nach einem halbgaren Start zu zwei Klavieren in der Reithalle vor einem Jahr, im Prinze in der Orchesterversion zu den Opernfestspielen aufgeführt wird - zusammen mit dem Triadischen Ballett. Die Vorstellungen am 10. und 12. Juli sind ausverkauft. Karten gibt es erst wieder - kein Witz - für den 12. und 14. April 2016.

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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