Hörspiel:Gedankenstrom

Der Autor W. G. Sebald hatte "Jetz und kömpt die Nacht herbey" einst als Drehbuch für einen Film über den Philosophen Immanuel Kant angelegt. Über 30 Jahre lang lag das Buch herum. Nun wird ein Hörspiel daraus.

Von Stefan Fischer

Ein Spielfilm über den Philosophen Immanuel Kant - da waren die Redakteure in den Fernsehsendern schon Anfang der 1980er-Jahre skeptisch: Der Schriftsteller W. G. Sebald ist von 1981 an erst mit einem Exposé, dann mit drei verschiedenen Fassungen eines Drehbuchs hausieren gegangen. Ohne Erfolg. Anfangs war der Sender Freies Berlin interessiert, aber dann ist dort umstrukturiert worden, und man wollte den Film doch nicht produzieren. Der damals noch weitgehend unbekannte Sebald - das Drehbuch war sein erster großer fiktionaler Text - hat viel versucht; auch hat er eine Filmförderung beantragt, um den Stoff ins Kino zu bringen, wenn schon das Fernsehen ihn nicht wollte. Und schließlich hat er sein Kant-Drehbuch sogar als Hörspiel angeboten. Auch dem WDR, der abgelehnt hat.

Insofern ist es kurios, dass Claudia Johanna Leist das Werk mit dem Namen Jetzund kömpt die Nacht herbey nun, mit mehr als dreißig Jahren Verspätung, doch noch als Hörspiel für den WDR inszeniert hat. Die Geschichte vom lange Zeit verkannten Genie Sebald lässt sich anhand dieses Vorfalls jedoch nicht erzählen: Es wäre ziemlich sicher ein schauderhafter Film geworden. Denn Sebald hat nicht ansatzweise optisch gedacht bei seinem Drehbuch, es ist purer Text, ein Gedankenstrom, der sich zu einer klugen, charmanten und auch ein wenig hinterlistigen Biografie Immanuel Kants fügt. Aber nichts davon wäre in Filmbildern erzählt worden.

Im Hörspiel hingegen ist Sprache mitunter alles; vieles kann in einem spannenden Schwebezustand gelassen werden, was im Film ein explizites, eindeutiges Bild erzwingt. Und so ist das Stück ein pointiertes, aufschlussreiches, mitunter frei erfundenes Stationen-Drama über das Leben, Denken und Sterben des Königsberger Philosophen. Im Kern dreht sich das von Martin Reinke als knarzigem Kant und Michael Schenk als jovialem Erzähler getragene Hörspiel um den Kampf Kants gegen die eigene Vergänglichkeit.

Wirklich verschollen war das Drehbuch nie, das einen wichtigen Schritt in Sebalds Entwicklung zum Autor markiert. Nach seinem Tod 2001 lag es im Marbacher Literaturarchiv. Der Literaturwissenschaftler Uwe Schütte hat es wieder ins Gespräch gebracht - und ihm ist geglückt, was W. G. Sebald verwehrt geblieben ist: Nun ist Jetzund kömpt die Nacht herbey inszeniert. Und man kann mit einiger Sicherheit sagen: im dafür angemessenen Medium, dem Radio.

Jetzund kömpt die Nacht herbey, WDR 3, Samstag, 15.05 Uhr (Wdh.: 23.05 Uhr).

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