Deutsch-Südwestafrika:Wie Deutschland langsam seine Kolonialgeschichte aufarbeitet

Deutsch-Südwestafrika: Ausgezehrt, aber am Leben: Herero nach der Flucht durch die Wüste 1907

Ausgezehrt, aber am Leben: Herero nach der Flucht durch die Wüste 1907

(Foto: oh)
  • 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft über das heutige Namibia bezeichnet Bundestagspräsident Norbert Lammert die damaligen Verbrechen an Herero und Nama als "Völkermord".
  • Auch Gebeine, die einst nach Deutschland geschafft wurden, sollen zurückgebracht werden.
  • Zwischen 1904 und 1908 töteten deutsche Truppen im heutigen Namibia etwa 90 000 Angehörige der Herero und Nama.

Von Oliver Das Gupta und Paul Munzinger

Am 6. Juli, fast auf den Tag 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft über das heutige Namibia, erschien eine besondere Gruppe vor dem Berliner Bundespräsidialamt beim Schloss Bellevue. Eine Delegation aus Windhoek übergab ein Dokument, das mehr als 150 Nichtregierungsorganisationen und Persönlichkeiten unterzeichnet hatten.

Auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, die grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und SPD-Politiker unterstützen die Petition, die ein heikles Thema der deutschen Kolonialgeschichte betrifft: sie fordert den Bundespräsidenten auf, die Verbrechen an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, als Völkermord anzuerkennen.

Als die Herero 1904 einen Aufstand begannen und mehr als hundert Deutsche getötet wurden, ordnete General Lothar von Trotha die Vernichtung des Stammes an. Die Herero-Bevölkerung vor dem Massaker wurde auf 50 000 bis 80 000 geschätzt, es überlebten nur etwa 15 000 Menschen.

Lammert schreibt von einem "Rassekrieg"

Der Bundespräsident hat sich nicht blicken lassen, die Delegation wurde nicht empfangen - "trotz Voranmeldung", wie die Veranstalter beklagen. Einen Erfolg kann die Initiative dennoch verbuchen: Bundestagspräsident Norbert Lammert, nicht erster, aber immerhin zweiter Mann im Staat, hat die Gräuel als Völkermord bezeichnet.

Wer vom Genozid an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich spreche, der müsse auch die Verbrechen des deutschen Militärs gegen die einheimische Bevölkerung in Deutsch-Südwestafrika so bezeichnen, schreibt Lammert in einem Beitrag für die Zeit. Der Krieg der Deutschen gegen die Herero sei ein "Rassekrieg" gewesen.

Auch eine zweite Forderung der Initiative "Völkermord ist Völkermord" könnte bald zumindest in Teilen erfüllt werden: die "Identifizierung und Rückgabe aller nach Deutschland verschleppten Gebeine von Menschen aus Namibia und anderen ehemaligen Kolonien".

Wissenschaftliche Mitbringsel im Kaiserreich

Die Menschenknochen waren von den Deutschen als wissenschaftliche Mitbringsel einst ins Kaiserreich gebracht worden. Kleinere Bestände sind in der Vergangenheit bereits an die Herkunftsländer zurückgegeben worden, doch viele der Relikte lagern bei der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die vor einiger Zeit eine umfangreiche Schädelsammlung von der Charité übernommen hat.

"Selbstverständlich sind wir dazu bereit, die unrechtmäßig erworbene Gebeine zurückzugeben", sagt Stiftungs-Präsident Hermann Parzinger zur SZ. Grundvoraussetzung sei, dass geklärt ist, "wer die rechtmäßigen Empfänger sind".

Zunächst müssen die Knochen zugeordnet werden, und das ist kompliziert: Mehr als 5000 Inventarnummern hat die Stiftung erhalten, und nicht alle haben einen kolonialen Kontext. Unter den Relikten sind auch Stücke, die aus prähistorischen Gräberfeldern stammen, sagt Parzinger.

Ob das Gebein nun aus Afrika, Australien oder einem europäischen Grab stammt, ist oft nur umständlich zu klären. Das hat nicht nur damit zu tun, dass vor mehr als 100 Jahren bei der Erfassung und Kennzeichnung geschludert wurde. Parzinger spricht von "unsachgemäßer Lagerung", die dazu geführt habe, dass die menschlichen Überreste von Schimmel befallen wurden. "Wir werden die Gebeine in einen würdigen Zustand versetzen," sagte Parzinger, "es ist viel Arbeit". Die personellen Ressourcen seien beschränkt, darum dauere die Sichtung, Konservierung und Zuordnung wohl mehrere Jahre.

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