Lateinamerika:Den Armen so nah

Bei seiner Tour durch drei der elendsten Staaten des Kontinents bewegt Papst Franziskus sich stets zwischen Nähe und Distanz zu ihren Präsidenten.

Von Sebastian Schoepp

Der Airport von El Alto bei La Paz ist der höchstgelegene Verkehrsflughafen der Welt. Auf mehr als 4000 Metern über dem Meer torkeln die meisten Fluggäste durch die dünne Luft über die Gangway, im kleinen Terminal wartet ein Raum mit Sauerstoffflaschen auf jene, die die Höhe gar nicht vertragen. Papst Franziskus, der seit einer schweren Krankheit mit einem verkleinerten Lungenflügel lebt, musste die Höhe besonders fürchten, als er in dieser Woche bei seinem Besuch an Boliviens Parlamentssitz das Flugzeug verließ. Doch er wappnete sich mit einem Mittel, das die andinen Völker seit Jahrtausenden benutzen. Im Flugzeug trank er Tee aus Kokablättern, die die Blutgefäße weiten und deshalb die Symptome von soroche, wie die Ureinwohner die Höhenkrankheit nennen, lindern.

Das war mehr als eine gesundheitliche Vorsorgemaßnahme. Die katholische Kirche hatte Koka in der Missionszeit geächtet, weshalb es etwa in Ecuador, woher der Papst gerade kam, bis heute nicht angebaut wird. Das Bekenntnis zur heilenden Wirkung des Blattes, das ja erst durch einen langen chemischen Prozess zu Kokain wird, war sozusagen eine kleine symbolische Einleitung für die Worte, die der Papst später, in der bolivianischen Stadt Santa Cruz, fand. Dort bat er um Vergebung für die von der Kirche in der Kolonialzeit begangenen Verbrechen, insbesondere die Verfolgung der Ureinwohner. "Ich sage Ihnen mit Bedauern: Im Namen Gottes sind viele schwere Sünden gegen die Ureinwohner Amerikas begangen worden", so der 78-Jährige. Damit ging Franziskus auf Distanz zu seinem Vorgänger Benedikt, der ja der Meinung Ausdruck verliehen hatte, dass die Ureinwohner gewissermaßen auf die Missionierung gewartet hätten - was seinerzeit einen Proteststurm unter den linken Regierungen des Halbkontinents entfacht hatte.

"Im Namen Gottes sind viele schwere Sünden gegen die Ureinwohner begangen worden"

Bei einer von ihnen war der Papst in Bolivien zu Gast. Präsident Evo Morales hat das Land verändert, der frühere Kokabauer ist selbst Indigener und hat der Lebensweise der Nachkommen der Ureinwohner Verfassungsrang verliehen. Außerdem sicherte er dem Land einen größeren Anteil an den Rohstoffreserven, in dem er Öl- und Gasquellen verstaatlichte und damit ein bescheidenes Sozialsystem finanziert.

Morales hatte für seinen Gast eine zum Anden-Sozialismus passende Überraschung parat: Ein Kruzifix in Form von Hammer und Sichel, das er dem verdatterten Papst in La Paz überreichte. Bei den anwesenden einheimischen katholischen Würdenträgern rief das Entrüstung hervor, der Papst wirkte peinlich berührt, was Morales durch die Erklärung überbrückte, dass der Jesuitenpater Luis Espinal diese Skulptur besonders geschätzt habe. Espinal war ein Arbeiterpriester, der 1980 in La Paz gefoltert und erschossen wurde. Der Papst hatte Espinal als einen "unbequemen" Verkünder des Evangeliums gewürdigt und öffentlich für ihn gebetet.

Mit dem eigenwilligen Geschenk im Gepäck reiste der Papst weiter nach Santa Cruz im tropischen Tiefland, eine klimatische und kulturelle Achterbahnfahrt, die das Kirchenoberhaupt zu einer unerwarteten Improvisationsleistung zwang. Auf dem Weg zur Messe brauchte er einen Platz zum Umziehen und wählte hemdsärmlig ein Burger-King-Schnellrestaurant. Das Management war selig vor Begeisterung, man danke dem Papst dafür, das Imbisslokal als seine "Sakristei" ausgewählt zu haben, hieß es aus dem Konzern.

Pope Francis in Bolivia

Katholischer Andensozialismus: Boliviens Präsident Morales überreicht dem Papst als Gastgeschenk ein Kruzifix in Form von Hammer und Sichel.

(Foto: Osseravatore Romano/dpa)

Trotz der Kleiderwahl im Konsumententempel predigte der Papst anschließend wie gewohnt Konsumverzicht und versicherte, er stehe an der Seite der Volksbewegungen, die gegen jede neue Form von Kolonialismus kämpften - etwa die Reduzierung der Rohstoffländer auf die Rolle bloßer Lieferanten. Seine Worte vor Vertretern von Volksbewegungen, untermauerte Franziskus, indem er den Helm eines bolivianischen Bergarbeiters aufsetzte.

Präsident Morales durfte das als Unterstützung für seinen Politikansatz werten. Im Kern liegen linke Staatsoberhäupter wie Morales oder Rafael Correa in Ecuador auf einer Linie mit dem Kirchenoberhaupt aus Argentinien, der ja manchmal spricht wie ein Linksperonist. Der Papst lobte die Integrationspolitik der Regierung Morales gegenüber der indigenen Bevölkerung. Zugleich aber deutete er Kritik an dessen autoritärem Führungsstil an und forderte mehr "Transparenz". Integration erfordere immer auch "einen Geist öffentlicher Zusammenarbeit, des Dialogs und der Teilnahme der Einzelnen und der gesellschaftlichen Handlungsträger", sagte er. Kritiker werfen Morales vor, er schüchtere Gegner ein und habe die Pressefreiheit eingeschränkt. In der Tat legt Morales nach drei fulminanten Wahlsiegen und angesichts einer schwachen Opposition mitunter messianische Züge an den Tag.

Der Pontifex behält auch in der Oligarchenrepublik seine Linie bei

Ähnliches konstatieren Kritiker an dem Kollegen Rafael Correa in Ecuador. Der hat deshalb mit wachsendem Widerstand aus der Bevölkerung zu kämpfen, von dem er sich aber nicht beirren lässt. In Ecuador hatte der Papst allgemein das Streben nach Macht, Prestige, Vergnügen und Wachstum auf Kosten der Ärmsten kritisiert und für mehr Mitmenschlichkeit und gegenseitiges Verständnis geworben. Die regierungskritische Presse wertete das sogleich als Kritik an Correa. Weil Ecuadors Präsident sich selbst als Linkskatholik bezeichnet, konnte ihm auch eine noch so leise Mahnung des Papstes nicht egal sein - zumal Franziskus bei seiner Reise durch die ärmsten Länder Südamerikas frenetisch gefeiert wird, wo immer er auftaucht.

Das dürfte auch in Paraguay nicht anders sein, wohin der Papst am Freitag weiterflog. Dort allerdings hat er mit einem Gastgeber ganz anderen Zuschnitts zu tun. Präsident Horacio Cartes ist ein klarer Verfechter des Marktes, er ist selbst milliardenschwerer Unternehmer, der eher zur postkolonialen Elite gehört. Die hatte seinen Vorgänger aus dem Amt bugsiert, den linkskatholischen Ex-Bischof Fernando Lugo, der 2012 in einem umstrittenen Verfahren abgesetzt wurde. Lugo war durch sein nicht gerade zölibatäres Leben als katholischer Priester zwar untragbar, passte als Präsident von seinem politischen Programm her aber besser zur Linie des Papstes als die Kaste, die jetzt wieder regiert.

Dieser Linie wird Franziskus auch in der Oligarchenrepublik Paraguay treu bleiben. Am Sonntag wollte der Papst seine Südamerikareise mit einem Besuch in einer bescheidenen, kleinen Kirche und einer Messe in einem Armenviertel der Hauptstadt Asunción beenden.

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