Euro-Krise:Ende der Eintracht

Die Front der Euro-Länder gegen Athen ist zerbrochen: Paris und Rom sind der Meinung, Griechenland habe genügend Zugeständnisse gemacht. Berlin sieht das anders.

Von D. Brössler und A. Mühlauer

Es kommt in diesen Tagen der großen Krise nicht oft vor, dass ein Finanzminister aus dem Norden den Griechen aus der Seele spricht. "Ich hoffe, dass es heute einen magischen Moment gibt", sagt der litauische Finanzminister Rimantas Šadžius am Morgen vor der ersten wichtigen Sitzung dieses langen Brüsseler Tages, jener der Euro-Finanzminister. Der Litauer formuliert die Hoffnung vieler, nicht nur der Griechen. Aber er sagt damit natürlich auch: Jetzt hilft nur noch ein Wunder.

Am Kampf um Verbleib oder Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone hätte der Spieltheoretiker Yanis Varoufakis wohl seine Freude. Solange er noch griechischer Finanzminister war, aber gab es sie so nicht. Denn gegen die griechische Linksregierung hielt eine Front praktisch aller 18 anderen in der Euro-Gruppe. Die Finanzminister waren sich einig, dass das so nichts wird. Alle hatten die Nase voll von den ewigen Vorträgen des Professors aus Athen. Mit der Wende von Regierungschef Alexis Tsipras, Varoufakis' Rücktritt und dem neuen Mann an der Spitze des Finanzressorts, Euklid Tsakalotos, ist zumindest eines wieder zurück: ein angenehmeres Gesprächsklima.

Luxemburgs Außenminister warnt vor einem harten Konflikt mit Frankreich

Doch nun, da es nicht mehr 18 gegen einen heißt, bilden sich auch Lager. Auf der einen Seite stehen die Franzosen und die Italiener, die genug haben von den Deutschen, die immer wieder das GrexitGespenst an die Wand malen. So wie am Samstagabend, als plötzlich ein Papier aus dem Hause von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auftauchte, das einen Grexit auf Zeit, eine Art Auszeit von der Währung, vorschlug. Die Idee steht, wenn auch in Klammern, als allerletzter Notfallplan im Beschlussentwurf der Finanzminister.

Und sie birgt Sprengstoff. Wie sehr, spricht der Außenminister des kleinen Luxemburg aus, das in diesem Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft innehat. "Es wäre fatal für den Ruf Deutschlands in der EU und der Welt, wenn Berlin jetzt nicht die Chance ergreift, die sich durch die griechischen Reformangebote ergibt. Der Grexit muss verhindert werden", sagt Jean Asselborn der Süddeutschen Zeitung. "Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tief greifenden Konflikt mit Frankreich. Das wäre eine Katastrophe für Europa", warnt der Sozialdemokrat. Eine Spaltung der EU in Nord und Süd müsse unbedingt verhindert werden. "Die Verantwortung Deutschlands ist riesig. Es geht jetzt darum, nicht die Gespenster der Vergangenheit heraufzubeschwören", mahnt er.

Italiens Premier Renzi hat eine knappe Botschaft für Berlin: Adesso basta! Genug ist genug

Der italienische Premier Matteo Renzi ist es, der die Stimmung aus Rom und Paris auf den Punkt bringt: "Genug ist genug. Adesso basta", es reiche jetzt, sagt Renzi an die Adresse Berlins gerichtet, die Griechen hätten den Euro-Partnern alles geliefert, was sie gewollt hätten. Nun solle es auch mal gut sein. Bereits am Freitag hatte sich Frankreichs Staatschef François Hollande positiv über die Sparvorschläge aus Athen geäußert. Das sah man in Berlin gar nicht gern. Man wollte die Drohkulisse aufrechterhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht innenpolitisch unter Druck. Aber auch außenpolitisch. Verlangt sie noch weitere Sparvorschläge, noch härtere Reformen, riskiert sie die deutsch-französische Freundschaft. Jene Freundschaft, die seit jeher die Europäische Union zusammenhält. Schon wahr, Deutschland und Frankreich sind es, welche die große Linie in der Währungsunion vorgeben. Aber die Euro-Gruppe hat 19 Mitgliedsländer und jedes von ihnen hat eigene Vorstellungen, wie es mit Griechenland weitergehen soll. Da wären die Iren, die selbst die Bekanntschaft mit der in Athen verhassten Troika machen durften. Sie haben ihr Rettungsprogramm längst hinter sich und bestehen auf überprüfbaren Vereinbarungen. Auch wenn es jetzt nicht mehr 18 gegen einen steht, eines eint die 18 noch immer: die Frage, ob den Griechen nun zu trauen ist. "Die wichtigste Währung", sagt Merkel, sei verloren gegangen, "und das ist das Vertrauen." Doch was können die Griechen tun, um es wiederherzustellen? Ein vierseitiger Beschlussentwurf wird von den Finanzministern für den Gipfel vorbereitet. Enthalten sind viele detaillierte Maßnahmen, die von Griechenland umzusetzen sind, darunter auch eine "Normalisierung der Arbeitsbeziehungen mit den Institutionen". Die griechische Regierung soll den Vertretern der Gläubiger keine Hindernisse mehr in den Weg legen und sich letztlich ihrer Kontrolle unterwerfen. In Griechenland wird das Misstrauen so interpretiert: Die anderen Euro-Länder wollten eigentlich eine andere - keine linke - Regierung.

Der Mann, über dessen politisches Schicksal hier jedenfalls auch verhandelt wird, tritt als Werber und Mahner auf den roten Teppich vor dem Ratsgebäude. "Ich bin hier und bereit zu einem ehrlichen Kompromiss", sagt Alexis Tsipras. "Das schulden wir den Völkern Europas, die Europa vereint und nicht geteilt wollen. Wir können heute Nacht zu einer Einigung kommen, wenn alle Seiten es wollen", fügt er hinzu. Mag sein, aber wollen alle Seiten das? "Wir werden hier heute harte Gespräche haben, und es wird auch keine Einigung um jeden Preis geben", sagt Merkel. "Ich weiß, dass die Nerven angespannt sind, aber es muss sichergestellt sein, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen."

Das ist die Sollbruchstelle eines Gipfels, der, wie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagt, über nicht weniger als "die Zukunft Europas" entscheidet. Merkel widersetzt sich dieser Logik und der historischen Größe des Moments. Sie will Spielraum bis zum Schluss. François Hollande, der französische Präsident, indes will keinen offenen Ausgang. "Frankreich wird alles dafür tun, um zu einer Einigung zu gelangen, die Griechenland den Verbleib in der Euro-Zone ermöglicht", gelobt er vor dem Gipfeltreffen und einem Zweier-Gespräch mit Merkel. Das Planspiel von Bundesfinanzminister Schäuble zu einem vorübergehenden Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone verwirft er: "Es gibt keinen provisorischen Grexit."

Zuvor hatte sich schon SPD-Chef Sigmar Gabriel um Schadensbegrenzung bemüht. Beim Vorgipfeltreffen der Sozialdemokraten beruhigt er Hollande und die anderen linken Staats- und Regierungschefs, dass die Überlegungen für einen zeitweisen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro nur für den Fall diskutiert worden seien, dass Griechenland auf einem Schuldenschnitt bestehe. Die SPD wolle keinen Grexit, versichert Gabriel. Und Merkel wolle das auch nicht. Die Teilnehmer treffen mit dem Eindruck beim Euro-Gipfel ein, dass es Risse nicht nur in Europa gibt, sondern auch zwischen Merkel und Schäuble. Manchen von ihnen gibt das Hoffnung.

Merkel aber will Griechenland mit Schäuble und nicht gegen Schäuble im Euro halten. In Merkels Auftrag führt Schäuble während des Gipfels Parallelverhandlungen mit dem Griechen Tsakalotos und dem Franzosen Michel Sapin. Im Laufe des Abends dringen vorsichtig optimistische Töne aus den Verhandlungsräumen. Und EU-Ratspräsident Donald Tusk will verhandeln lassen, bis die 19 Staats- und Regierungschefs eine Lösung haben. Also bis zum Wunder.

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