Griechenland:"Und das soll eine linke Regierung sein?"

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Am Abend nach der schmerzhaften Einigung demonstrieren Kommunisten und Anarchisten in Athen gegen den Premier. Warum die Mehrheit der Griechen weiter auf Alexis Tsipras setzt.

Von Matthias Kolb, Athen

Aus voller Kehle singen drei Männer und zwei Frauen ein Arbeiterlied, während sie die weiß-blaue Landesfahne den Fotografen entgegenhalten. Sie stehen an der Wand direkt vor dem griechischen Parlament, wo sonst die Evzonen der Präsidentengarde hin- und hermarschieren. "Lasst uns nach oben und demonstrieren", ruft ein Mann im schwarzen Polohemd in Richtung der Polizisten, die mit Helmen und Schilden die Treppen bewachen.

"Und das soll eine linke Regierung sein?", spottet ein anderer Mann. Er ist wütend auf den "Verräter" Alexis Tsipras, dem er nicht nur mangelnde Standfestigkeit vorwirft. Er findet ihn auch scheinheilig. Bei der Abschlusskundgebung vor dem Referendum hätten die Griechen natürlich hoch auf die Treppen gedurft, um dem Linkspopulisten Tsipras zuzujubeln und für prachtvolle Bilder zu sorgen. Jetzt, wo Kritik kommt, sei dies plötzlich verboten, schimpft der Mann.

Dass der griechische Premier Alexis Tsipras ein Meister der Inszenierung ist, weiß mittlerweile jeder Grieche, wissen viele Europäer. Doch keine Inszenierung der Welt könnte diesen Athener Abend, nach der für Griechenland so schmerzlichen Einigung in Brüssel, in eine eindrucksvolle Veranstaltung verwandeln. Während sich vor dem Referendum mehr als 30 000 Bürger zu "Ochi" bekannten, versammeln sich nur 500 bis 600 Demonstranten. Deren Appell an die Syriza-Abgeordneten, der Einigung nicht zuzustimmen, wird vor allem durch die Dutzenden Journalisten und Fotografen aus aller Welt verbreitet.

Es sind vor allem diverse Splittergruppen vom linken Rand, also Anarchisten und Kommunisten, die mit Gesängen und roten Fahnen protestieren. Die "Organisation der internationalen Kommunisten in Griechenland" ist ebenso vertreten wie die anarchistisch-syndikalistische Initiative "Rocinante". Ihr hat sich der junge Kyriakos angeschlossen und auf seinem Plakat steht: "Wer Armut sät, wird unseren Ärger ernten. Ein allgemeiner antikapitalistischer Streik wird unsere Antwort sein."

Kyriakos hofft darauf, dass viele Griechen enttäuscht sind

Kyriakos erklärt höflich, dass er und seine Mitstreiter neben der Marktwirtschaft auch die Nationalstaaten ablehnen und nur der "Klassenkampf" die Lage verändern könne. Er rechnet damit, dass die "Radikale Linke" innerhalb von Syriza dafür sorgen werde, dass die Koalition für die Mittwoch erwartete Abstimmung im Parlament ihre eigene Mehrheit verlieren werde. Doch auch er weiß, dass die Oppositionsparteien für ein komfortables "Ja" sorgen werden. Kyriakos hofft darauf, dass viele Griechen enttäuscht sind, dass Tsipras nach dem fulminanten Sieg beim Referendum nun so viele Zugeständnisse machte.

Allerdings denkt die große Mehrheit jener Griechen, die beim Referendum mit "Nein" gestimmt haben und Syriza gewählt haben, wohl anders. Sie sind zwar enttäuscht, dass nicht mehr erreicht werden konnte - doch sie vertrauen dem 40-jährigen Premier weiterhin ( mehr in dieser SZ-Reportage). Typisch ist die Meinung des Verkäufers John Avdelos: "Ich habe im Januar für ihn gestimmt und ich werde ihn wieder wählen." Viele Hellenen rechnen es Tsipras hoch an, dass er ihrer Ansicht nach als Erster versucht hat, sich der Austeritätspolitik der EU, des IWF und der Europäischen Zentralbank entgegenzustellen.

Und selbst jener Mann, der darüber klagt, dass nicht auf den Treppen oberhalb des Syntagma-Platzes demonstriert werden darf, findet einige gute Worte über den Syriza-Chef. Er sei zwar skeptisch gewesen, dass Tsipras seine vielen Versprechen werde durchsetzen können, sagt er. Aber eines muss er Tsipras zugestehen: "Er hat uns fünf Monate lang hoffen lassen und unsere Würde etwas wiederhergestellt."

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