Recht auf Vergessenwerden:Was Google alles löschen muss - und was nicht

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Rund 280 000 Löschanträge sind bisher bei Google eingegangen. Nur knapp jeder zweite davon ist erfolgreich.

(Foto: Andrew Gombert/dpa)

Versteckte Daten in einem Transparenzbericht enthüllen erstmals, wie Google mit Löschanträgen umgeht: Das Recht auf Vergessenwerden wird ganz anders genutzt, als bislang vermutet.

Von Simon Hurtz

"Wenn man etwas nicht mal bei Google findet, dann existiert es wahrscheinlich nicht." Für viele Menschen dürfte diese Aussage des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales zutreffen: Wer etwas sucht, der googelt, und wenn das gewünschte Ergebnis nicht auf der ersten Seite zu finden ist, dann vergisst man die Anfrage wieder.

Genau hier setzt das sogenannte Recht auf Vergessenwerden an. Vor gut einem Jahr hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Suchmaschinen wie Google Links zu Inhalten aus ihren Ergebnislisten entfernen müssen, wenn ein Nutzer in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt ist. So sollen etwa falsche, irrelevante oder inaktuelle Informationen verborgen werden können, damit Menschen nicht ihr Leben lang von ihnen verfolgt werden.

Mehr als eine Million Links sollten entfernt werden

In den vergangenen 14 Monaten wurden bei Google rund 280 000 Anträge gestellt, um insgesamt mehr als eine Million Links zu löschen; in 41 Prozent der Fälle ist Google dem Ersuchen nachgekommen. Diese Zahlen nennt Google im eigenen Transparenzbericht, zusammen mit 22 exemplarischen Löschanfragen. Darunter sind viele drastische Fälle, die den Eindruck entstehen lassen, dass vor allem Kriminelle oder zwielichtige Politiker das Recht auf Vergessenwerden nutzen, um ihr öffentliches Image aufzupolieren.

Die Realität sieht offenbar etwas anders aus. Das deutsche Recherchebüro Correctiv und der britische Guardian haben in früheren Versionen des Transparenzreports versteckte Daten entdeckt, die Rückschlüsse auf die Art der Löschanfragen und Googles Umgang damit zulassen. Google selbst teilt mit, man habe "immer versucht, bei unseren Entscheidungen in Bezug auf das Recht auf Vergessen so transparent wie möglich zu sein". Die Daten seien Teil eines Versuches gewesen, um herauszufinden, wie sich die Anfragen kategorisieren lassen. Die Zuteilung sei aber nicht verlässlich genug gewesen, um sie zu veröffentlichen. Deshalb habe Google den Test im März abgebrochen. Derzeit arbeite man daran, den Transparenzbericht zu verbessern.

Große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern

Den Daten zufolge stammen mehr als 95 Prozent der Anträge von normalen Nutzern, die Links zu Inhalten mit privaten Informationen gelöscht haben wollen. Besonders interessant: Je nach Kategorie der Anfrage geht Google anders damit um. Während knapp die Hälfte der "privaten oder persönlichen Informationen" gelöscht wird, lehnt Google rund zwei Drittel der Löschanfragen aus den Kategorien "politisch", "Persönlichkeit des öffentlichen Lebens" und "schwere Verbrechen" ab. Griechen und Bulgaren stellen nur rund 100 Anträge pro eine Million Einwohner, in Estland und Liechtenstein sind es zehnmal so viele. Deutschland liegt mit 458 Löschanfragen im Mittelfeld.

In Italien sollten besonders häufig Links im Zusammenhang mit schweren Verbrechen entfernt werden (zwölf Prozent aller Anfragen), Rumänien führt die Liste bei den politischen Löschanträgen an (sieben Prozent), und in Ungarn wollten viele Prominente ihre Informationen bei Google entfernen lassen (acht Prozent). In Deutschland machen diese Kategorien jeweils weniger als ein Prozent der Gesuche aus, 98 Prozent stehen im Zusammenhang mit privaten oder persönlichen Informationen. (Die Datenjournalistin Sylvia Tippmann hat die Informationen auf ihrer Homepage interaktiv aufbereitet.)

Im Mai forderten 80 Wissenschaftler in einem offenen Brief an Google mehr Transparenz beim Umgang mit Löschanfragen. Am Mittwoch schloss sich die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, an, die auch als Beraterin im "Löschbeirat" von Google sitzt. Bisher habe Google entgegen der Empfehlung des Beirats keinen Bericht über die Maßstäbe beim Entfernen von Links vorgelegt, kritisierte sie.

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