Anne Will zu Griechenland: "Reden wir doch mal ernsthaft!"

Anne Will

Anne Wills Gäste (von links): Daniel Cohn-Bendit (B90/Die Grünen), Jens Spahn (CDU), Sonja Puntscher Riekmann (Politikwissenschaftlerin), Rainer Hank (Journalist)

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Bei Anne Will sollte es eigentlich um die deutsche Dominanz in Europa gehen. Die Gäste ergingen sich lieber in Spekulationen - über das, was Wolfgang Schäuble wollen könnte.

Von Thorsten Denkler

Nach 20 Minuten schnelle Schalte nach Athen. Das griechische Parlament debattiert über die Sparauflagen der Euro-Länder für frische und überlebensnotwendige Kredite. Da geht es um Kürzungen der Renten, höhere Mehrwertsteuern und Ähnliches. Zeitgleich talkt Anne Will in der ARD am späten Mittwochabend zur Frage "Solidarität nur nach deutschen Regeln - Ist die große Idee Europa gescheitert?".

Gottlob ist es nicht der Gottlieb, der da vom Bayerischen Rundfunk vor die Akropolis entsendet wurde und die angebliche Reformunfähigkeit der Griechen beschreit. Sondern ein Mike Lingenfelser. Der steht erkennbar nicht im Parlament. Soll aber die Frage beantworten, ob die Parlamentarier es denn noch bis Fristende um Mitternacht schaffen, alle Beschlüsse zu fassen.

Im Will-Studio tobt daraufhin Daniel Cohn-Bendit, fuchtelt mit dem Armen, kriegt sich gar nicht wieder ein. Lingenfelser beantwortet die nicht zu beantwortende Frage so: Es sei vom Parlament beschlossen, die von der Euro-Gruppe gesetzte Frist einzuhalten. Aber das Parlament habe sich ja schon mehrfach nicht an Beschlüsse gehalten. Ergo: Nichts Genaues weiß man nicht.

Schalte beendet, zurück ins Studio. Cohn-Bendit darf seinen Ausfall erklären: "Das ist ja unglaublich, diese Art der Fragerei!", schimpft er auf Will. Als wenn irgendwer die Beschlüsse der Griechen in Frage stellen würde, weil die ein paar Stunden länger brauchen, als es die Euro-Gruppe bestimmt habe. "Reden wir doch mal ernsthaft!", fordert er.

Das wäre in dieser Sendung tatsächlich mal an der Zeit. Da ist ein frischgebackener Finanzstaatssekretär Jens Spahn, der - gerade noch oberster Gesundheitspolitiker seiner Fraktion - jetzt vor allem seinen neuen Chef Finanzminister Wolfgang Schäuble erklären soll. Da ist die österreichische Politikwissenschaftlerin Sonja Puntscher Riekmann, bei der nach der Sendung nicht ganz klar ist, was sie eigentlich wollte/will. Da ist Rainer Hank, Journalist, der sich vom Literatur-, Philosophie-, Theologie-Studium irgendwie zum Wirtschaftschef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hochgearbeitet hat - und als solcher nichts lieber sähe, als einen Austritt der Griechen aus dem Euro.

Und natürlich Cohn-Bendit, der grüne Europäer in der Runde, der den Griechen helfen will. Mit Auflagen, aber nicht ganz so harten Auflagen, wie die Euro-Gruppe am Wochenende beschlossen hat. Schuldenschnitt, das wäre sein Weg.

Für Grexit, gegen Grexit, für Schäuble, gegen Schäuble

Es geht munter hin und her. Für Grexit, gegen Grexit, für Schäuble, gegen Schäuble, für Schuldenschnitt, gegen Schuldenschnitt. Nur die Frage der Sendung, das Thema, weswegen die Gäste hier versammelt wurden, das spielt leider so gut wie gar keine Rolle. "Solidarität nur nach deutschen Regeln - ist die große Idee Europa gescheitert?" Eine große Frage. Eine, die es Wert gewesen wäre, sie ernsthaft zu debattieren. Die große Idee Europa, wo sie herkommt, wo sie hingeht.

Nur Cohn-Bendit macht hin und wieder darauf aufmerksam, dass Europa eben nicht eine allein ökonomische Gemeinschaft ist. Und dass der Euro unter der Bedingung eingeführt worden sei, dass die politische Union auf dem Fuße folge. Worauf die Europäer aber bis heute warten.

Eine Grundsatzdebatte, findet Schäubles neuer Lehrling Jens Spahn - und er meint das nicht nett -, kann irgendwann mal geführt werden. Aber nicht jetzt. Jetzt braucht Griechenland Geld. Dafür müsse es eine Lösung geben.

Hank von der FAS ist das alles Wumpe. Europa-Begeisterung kann er nicht mehr erkennen. Und wo keine Begeisterung ist, da hat anscheinend auch Griechenland keinen Platz. Interessant, wie geschmeidig er seine Grexit-These verkauft: Die Sparauflagen? Das sei doch Euro-Kolonialismus. Das nationale Parlament werde zutiefst gedemütigt. So weit, so Sahra Wagenknecht. Die Linken-Frontfrau redet ähnlich.

Befreit von Schulden, alleingelassen mit der Drachme

Nur die Schlussfolgerung von Hank ist eine komplett andere: Der Grexit sei eine Art "humanitäres Angebot" an die Griechen. Eines, das ihnen ihre Würde und Souveränität zurückgeben soll. Befreit von Schulden. Aber alleingelassen mit der Drachme. Schöne Aussichten wären das.

Aber wollte Schäuble nicht auch den Grexit? War das nicht sein Plan, mit dem er nach Brüssel gefahren ist am Wochenende? Will fragt Spahn. Der will lieber "etwas herleiten", als die Frage konkret zu beantworten. Dabei hat Schäuble selbst gesagt, dass er den Grexit für die bessere Lösung gehalten hätte. Also: "Will Schäuble den Grexit?", hakt Will nach. Cohn-Bendit beugt sich zu seinem Sitznachbarn Spahn herüber und assistiert: "Ja oder nein?"

Jetzt ist Spahn nicht Schäuble. Woher soll er es dann wissen? Also sagt er, dass die Regierung auf alles habe vorbereitet sein müssen. Und jeder habe doch annehmen müssen, dass das vergangene Wochenende auch in einem Grexit hätte enden können.

Hätte, hätte, Fahrradkette, würde jetzt ein gewisser Peer Steinbrück einwenden. Der ist aber nicht in der Runde. Spahn findet, jetzt ist doch alles gut, es ist ja nicht zum Grexit gekommen.

Aber will Schäuble ihn nicht vielleicht immer noch, den Grexit? Um diese hypothetische Frage dreht es sich gefühlt drei Viertel der Sendung.

Schäuble hat schon immer den Kerneuropa-Gedanken in sich getragen

Die Politikwissenschaftlerin Puntscher Riekmann, die einst für die Grünen im Nationalrat von Österreich saß, unterstellt Schäuble Kalkül. Der habe schon immer den Kerneuropa-Gedanken in sich getragen. Die Vorstellung, dass nur eine homogene Gruppe von Staaten eine Gemeinschaft bilden könne. Und darum wolle er Griechenland auch nicht mehr im Euro haben.

Nach der Logik müsste Schäuble die Euro-Länder im Süden gleich alle mit hinausexpedieren. Cohn-Bendit weist darauf hin, dass ja sogar Frankreich aus deutscher Sicht ein Südland sei. Schäuble ist ja viel zuzutrauen. Aber das dann doch nicht.

Puntscher Riekmann argumentiert noch zutreffend, dass rechtlich gesehen ein Grexit ohnehin nur möglich wäre, wenn Griechenland (freiwillig!) die EU gleich mit verlässt. Einfach nur den Euro verlassen, das geht gar nicht. Aber die anderen Euro-Länder könnten die Griechen natürlich auch "so an die Wand stellen", dass die gerne aus der EU austreten wollen.

Theologe Hank irritiert das nicht. Juristen können ihn nicht aufhalten, wenn der Grexit politisch gewollt ist.

Hach, die Regeln. Spahn findet ja, dass es Regeln geben und Griechenland sich daran halten müsse. Puntscher Riekmann erinnert ihn kurz daran, dass Deutschland und Frankreich die ersten Länder waren, die die Euro-Stabilitätskriterien gebrochen haben. Spahn winkt ab.

Cohn-Bendit hält die Geschichte des Euro ohnehin nur für eine Geschichte der Regelbrüche. Der Euro sei schon falsch konstruiert gewesen. Es müsste mindestens eine gemeinsame Haushaltspolitik geben. Sonst kann die gemeinsame Währung nicht atmen.

Jetzt kommt's: Hank stimmt ihm "ausnahmsweise" mal zu.

"Ja, Amen!", ruft Cohn-Bendit, als sei ein Wunder geschehen.

Mehr Wunder geschehen in dieser Sendung nicht. Als um ein Uhr in der Nacht die Eilmeldungen über die ersten Beschlüsse des griechischen Parlamentes eintreffen, ist Wills Sendung längst vorbei. Damit haben die Griechen tatsächlich die gesetzte Frist knapp überschritten. Kratzt das jemanden? Nein, natürlich nicht. An dem Punkt zumindest hat Cohn-Bendit recht behalten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: