Bei uns in Tokio:Stottern auf Englisch

Im Jahr 2013 haben Japaner allein für außerschulische Sprachkurse insgesamt 823 Milliarden Yen ausgegeben, das sind fast sechs Milliarden Euro. Dennoch spricht kein Volk schlechter Englisch als die Japaner.

Von Christoph Neidhart

Die Hoffnung stirbt zuletzt. In Europa hilft sie den Drogisten, Männern Mittelchen gegen Haarausfall und für die Potenz anzudrehen. Japaner bekommen aber kaum Glatzen. Und selbst unter jungen Männer hat mehr als ein Drittel gar kein Interesse an Sex, so eine Regierungsstudie. Bei den Männern über 40 ist der Anteil der "Grasfresser", wie man Sexabstinenten nennt, noch größer.

In Japan verdienen sich die Drogisten dafür mit Heuschnupfen-Mitteln eine goldene Nase. Ein Drittel aller Japaner niest von der Pflaumenblüte im Februar bis zur Regenzeit im Juni. Jährlich geben sie umgerechnet etwa 100 Millionen Euro für Atemmasken und 400 Millionen für Anti-Allergie-Medikamente aus. Und niesen und tränen dennoch weiter.

Noch mehr Geld setzt eine andere Branche um, die vor allem Hoffnung auf Besserung verspricht: die privaten Sprachschulen. Wenn Japaner die Schule abschließen, haben sie sechs bis acht Jahre Englisch gelernt. Oft bei Muttersprachlern, die vom Staat nach Japan geholt werden. Gleichwohl kann man selbst auf dem Campus der Universität Tokio, der Prestige-Hochschule des Landes, nur wenige Studenten auf Englisch nach dem Weg fragen. Die meisten anderen werden nur rot, stottern und möchten am liebsten fliehen.

Der Parlamentsabgeordnete Taro Kono, der eine Kommission leitet, die der Regierung Sparvorschläge machen muss, forderte deshalb kürzlich, der Staat solle alle ausländischen Englischlehrer entlassen. Es sei offenkundig, dass sie nichts bewirkten. Kein anderes Volk in Asien kann schlechter Englisch als die Japaner, auch dafür gibt es Statistiken - welche die Nordkoreaner allerdings nicht berücksichtigen.

Japans Eltern wissen, dass ihre Kinder in der Schule nicht genug lernen. Sie schicken diese deshalb abends in die "Juku", in private Nachhilfe-Schulen, im Durchschnitt etwa sechs Stunden pro Woche. Dort wird ihnen der Prüfungsstoff für Mittel-, Oberschul- und Uni-Aufnahmeprüfungen eingepaukt - auch englische Grammatik. Viele Familien lassen sich das 400 bis 500 Euro pro Kind und Monat kosten. 2013 gaben Japaner allein für außerschulische Sprachkurse insgesamt 823 Milliarden Yen aus, fast sechs Milliarden Euro. Mehr als jedes andere Land. Der Markt ist hart umkämpft, die Lehrer werden schlecht bezahlt. Gleichwohl gingen bereits mehrere große Englisch-Schulen pleite. Wie das angesichts der großen Nachfrage möglich ist? Das ist eines der vielen Rätsel der japanischen Wirtschaft.

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