Studium:Wie Unis Studienabbruch vermeiden wollen

Studium: Studenten brechen ihr Studium aus den verschiedensten Gründen ab.

Studenten brechen ihr Studium aus den verschiedensten Gründen ab.

(Foto: SZ-Grafik)
  • Laut Studien des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) bricht jeder Dritte Bachelor-Student sein Studium ab.
  • Viele Initiativen versuchen, die Abbrecherquote zu senken. Baden-Württemberg meldet nun erste Erfolge.

Von Ralf Steinbacher

Hanna Krause hatte nach dem Abitur nicht die leiseste Ahnung, was sie studieren sollte. In Chemie, Physik und Mathematik hatte sie gute Noten, aber Geschichte machte ihr genauso viel Spaß. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr war ihr zumindest klar, in welche Richtung es eher nicht gehen sollte. Da kam der Stuttgarterin das Angebot der Hochschule Offenburg gerade recht. Im Orientierungssemester "StartING" lernen junge Leute hier zwölf Ingenieursstudiengänge kennen. Ideal für Krause, die sich nie einfach so in ein technisches Fach eingeschrieben hätte, wie sie sagt. Heute studiert sie Verfahrenstechnik.

Das Offenburger Projekt ist eines von zehn "Studienmodellen individueller Geschwindigkeit", die vom Land Baden-Württemberg gefördert werden. Zum Beispiel die Hochschule Esslingen erlaubt es Studenten, das Studium zur Mitte des Bachelor zu strecken, wenn sie glauben, dass sie den Anforderungen nicht gewachsen sind; junge Eltern können an der Uni Heidelberg in Teilzeit studieren; an den Hochschulen Karlsruhe und Stuttgart kann das erste Semester ein ganzes Jahr dauern - so sollen Wissenslücken, womöglich in Mathematik, frühzeitig entdeckt werden.

Mehr Beratung und individuelle Angebote zu Studienbeginn, um das eine oder andere aufzuholen, das gibt es auch andernorts im Südwesten. Zusammengefasst: Studenten sollen sich besser orientieren können, um das passende Fach zu wählen, umfangreicher betreut werden und bei Bedarf auch länger Zeit haben. So sollen dann weniger Hochschüler das Studium abbrechen.

Die Quote der Scheiternden treibt Hochschulen in der ganzen Bundesrepublik um: Gut jeder dritte Student gibt im Bachelor auf, an den Fachhochschulen etwas weniger. Auf bis zu 40 Prozent belaufen sich die Anteile in Naturwissenschaften und Technikfächern. Das zeigen Studien des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), erschienen 2014. Die Gründe sind vielfältig, meist liegt es am Fach und an den Anforderungen - oder an falschen Vorstellungen bei den Studenten (siehe Grafik). Gegensteuern will man inzwischen vielerorts, quer durch die Hochschullandschaft wird nach den besten Ideen gegen Abbruch gefahndet, werden Projekte aufgelegt. Die Frage aber: Wirken sie denn?

Die baden-württembergischen Modelle hat das DZHW näher untersucht, erste Ergebnisse liegen nun vor. Die Forscher können einen Zwischenstand melden und sind "optimistisch": Orientierungsphasen und bessere Betreuung zu Beginn des Studiums seien der richtige Weg, heißt es, Freiräume ermöglichten es Studenten, besser mit dem Pensum fertig zu werden. Und die Abbrecherquote? Bei zwei von drei Programmen in Baden-Württemberg, für die ausreichend Daten vorliegen, zeigt sich, dass Teilnehmer seltener aufgeben: Das gilt für die Hochschule Karlsruhe, wo das erste Semester zwei dauern kann, und für Offenburg. Zwar hätten auch 24 Prozent der StartING-Teilnehmer bis zum vierten Semester abgebrochen; in einer Vergleichsgruppe (Studienanfänger 2011) seien es allerdings noch 37 Prozent gewesen.

Bummeln ist keine Schande

Exakt im vierten Semester ist jetzt Hanna Krause, ans Aufhören denkt sie nicht. Das Projekt habe sie gut vorbereitet. "Am Anfang ging es mir wie vielen anderen: Wir waren uns nicht sicher, ob wir uns ein technisches Studium zutrauen können." Doch Übungen in Mathe, Physik und Elektrotechnik nahmen ihr die Zweifel. Nun studiert sie Verfahrenstechnik, ein Fach, von dem sie zuvor gar nicht gewusst hatte, dass es existiert. Es beschäftigt sich mit der Optimierung von Prozessen. Krause erklärt das am Beispiel einer Kläranlage: Ein Verfahrenstechnik-Ingenieur versteht einerseits etwas von Wasser und Schadstoffen, andererseits etwas von der Anlage. Die junge Frau interessiert sich sehr für erneuerbare Energien.

Auch zeigt sich, dass das Offenburger Projekt überdurchschnittlich vielen Frauen ein technisches Studium schmackhaft machen kann. Der Anteil weiblicher Teilnehmer, sagt Projektleiter und Professor Tobias Felhauer, betrage 20 bis 25 Prozent. Das ist interessant vor dem Hintergrund, dass Politik und Wirtschaft seit Jahren mit vielen Initiativen versuchen, mehr Frauen für sogenannte Mint-Fächer zu gewinnen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), und in Disziplinen wie Elektrotechnik und Maschinenbau der Frauenanteil nur gut zehn Prozent beträgt.

Zeit zur Orientierung

Auch die Hochschule selbst hat Daten erhoben: Alle Teilnehmer, die nach zwei Semestern gefragt worden seien, ob sie ihr Fach wieder wählen würden, hätten die Frage bejaht. Bei einer Vergleichsgruppe seien sich dagegen 28 Prozent unsicher gewesen, so Felhauer. Besonders wichtig seien den Studenten zum Beispiel Exkursionen oder Diskussionen mit Ingenieuren. Und das Semester ist nicht verloren: Teilnehmer könnten auch hier schon Credit-Punkte erwerben, die Währung im Bachelor.

Noch einen Schritt weiter geht die Uni Ulm. Dort sollen Studenten die Zeit, die sie zum Studium brauchen, "ganz nach ihren Fähigkeiten bestimmen können". Kurzum: Bummeln ist keine Schande. Um die Orientierung zu erleichtern, hat die Uni zudem ein virtuelles Schnupperstudium aufgelegt - sowie ein vierwöchiges Trainingscamp, in dem nicht nur Mathe geübt wird, sondern auch selbständiges Arbeiten. Es sei wichtig, den jungen Leuten Zeit zu geben, um sich zu orientieren oder gegebenenfalls umzuentscheiden, sagt der Ulmer Professor Ulrich Stadtmüller: "Es kommt auch heute beim Berufseinstieg nicht darauf an, dass man nur mit dem Alter punktet. Da hat auch in den Personalabteilungen der Unternehmen ein Umdenken stattgefunden."

Uni-Städte in Deutschland

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: