ARD-Radiofestival:Freunde der Nacht

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Eine achtteilige Feature-Reihe über das Leben nach Sonnenuntergang: Die Erkundungstouren führen etwa in ein Stahlwerk, ein Flüchtlingsheim und einen "Späti" in Berlin-Neukölln. Eine Kundin beschwört das Dunkel als Gleichmacher.

Von Jens Bisky

Die Nacht birgt viele Versprechen, allen Arbeits- und Amüsierroutinen zum Trotz verheißt sie Abenteuer, Absturz, Gemeinschaft. Die Nacht ist ein Rätsel, das sich immer nur vorläufig lösen lässt. Daran glauben zumindest viele der Kunden des "Späti International" in Berlin-Neukölln, die Annelien Van Heymbeeck für ihr Feature befragt hat. Die Spätverkaufsstelle mit ein paar alten Sesseln im Hinterraum zieht Leute aus vielen Milieus und Ländern an. Die einen kommen vorbei, um den plötzlichen Heißhunger auf Süßes zu stellen, einer braucht Eis am Stiel für sich und sein Mädchen; zwei haben die letzten Euro für 'ne Flasche Wein zusammengekratzt; eine beschwört das Dunkel als Gleichmacher: Klamotten, Einkommen, Herkunft spielen keine Rolle, man trifft sich, will Leben spüren, andere treffen.

Acht nächtliche Erkundungstouren hat die ARD für ihre Sommerfestival-Reihe Nachts um halb elf . . . produziert. Besucht werden etwa ein Stahlwerk in Saarbrücken, ein Flüchtlingsheim in Baden-Baden, ein Fischkutter auf hoher See oder die Stadt Zittau im Dreiländereck. Der Stand-up-Migrant Abdelkarim führt durch Duisburg, Jugendliche rasen nach dem Tanzen und Trinken über die "Todesstrecke zwischen München und Passau".

Die Features folgen der Dramaturgie nächtlicher Begegnungen, dem Dreischritt aus Treffen, Kennenlernen, Entschwinden. Sie bieten mal Stimmengewirr, mal eine knappe Lebensgeschichte.

Am Anfang steht Viktor Hacker, der vor der Tür des Hamburger Clubs "headCrash" für Ordnung sorgt. Wer "zu besoffen oder zu unfreundlich ist", kommt nicht rein; auch darf man nicht zu jung sein, nicht eigene Getränke mitbringen wollen oder den Türsteher "Digga" nennen. Das mag er nicht, da reagiert er empfindlich drauf.

Seit 25 Jahren macht Viktor Hacker diesen Job auf St. Pauli, die Flaschensammler kennt er persönlich und weiß im Feature von Elise Landschek auch sonst eine Menge zu erzählen, über Kiezgrößen von einst, über Gewalt und klassische Mucki-Buden und darüber, wie man auf seine eigenen Vorurteile reinfällt. Kurz, er klingt wie ein Mann von sehr entschlossener Freundlichkeit.

Schlafen sei Faulheit, Hängenlassen, behauptet einer der Neuköllner Späti-Kunden. Allen, die zu oft zu früh schlafen gehen, bietet "Nachts um halb elf" unaufgeregte Einblicke in das ganz normale Leben nach Sonnenuntergang. Ein Versprechen halten diese Nächte gewiss: Die Menschen reden offener, freundlicher, heiterer, wenn es dunkel ist.

Nachts um halb elf, bis 6. September, sonntags, 22.30 Uhr. Alle Sender: ardradiofestival.de.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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