Merck:Oh Baby, Baby

Merck: Bei der künstlichen Befruchtung werden Spermien des Vaters in eine Eizelle der Mutter injiziert. Ist die Befruchtung erfolgreich, teilen sich die Zellen und werden wieder in die Gebärmutter eingepflanzt.

Bei der künstlichen Befruchtung werden Spermien des Vaters in eine Eizelle der Mutter injiziert. Ist die Befruchtung erfolgreich, teilen sich die Zellen und werden wieder in die Gebärmutter eingepflanzt.

(Foto: imago stock&people/imago stock&people)

Der Pharmakonzern spielt im Geschäft mit der künstlichen Befruchtung eine führende Rolle. Dieser Markt wächst pro Jahr um sieben Prozent.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Bei der Polizistin Nina Z. tickt die biologische Uhr. Mit Ende 30 wünscht sie sich ein Kind, wird aber nicht schwanger. In einer Münchner Kinderwunschklinik entscheidet sie sich für eine künstliche Befruchtung. Ihr Mann Enzo zögert, denn dieses Verfahren geht mit einer Hormonbehandlung für Nina einher, die Nebenwirkungen haben kann. Aber Nina vertraut den Ärzten. Hauptsache, sie bekommt bald ein Baby.

Ein Schicksal unter vielen. Bei einem von sechs Paaren weltweit klappt es nicht auf natürlichem Weg mit dem Kinderkriegen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. Es liegt zu jeweils einem Drittel an der Frau, dem Mann oder an beiden. In den Industrieländern spielt das Alter der Frau eine entscheidende Rolle. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, insbesondere vom 35. Lebensjahr an, nimmt die Fruchtbarkeit rapide ab. Ausgerechnet in diesem Lebensabschnitt taucht der Kinderwunsch immer häufiger auf.

Das Geschäft mit den Hormonen ist lukrativ. Die Marge bewegt sich zwischen zehn und 15 Prozent

Die Hormone zur Stimulierung der Eizellenproduktion stammen in vielen Fällen aus Pharmawerken am Genfer See. Dort produziert auch das Darmstädter Unternehmen Merck. 2014 verkaufte es für 871 Millionen Euro Hormone und rechnet sich damit einen Anteil von 40 Prozent am globalen Markt aus. 2,3 bis 2,5 Millionen Babys habe man mit auf die Welt geholfen, berichtet Dorothea Wenzel, Leiterin der Geschäftseinheit Fertilität bei Merck. Die Hormone landeten in Spritzen, genannt Pens, über Kinderwunschzentren bei den Kundinnen. Pillen kämen nicht infrage, denn die Dosierung müsse genau stimmen.

Am häufigsten folgt auf die Hormonbehandlung die In-vitro-Fertilisation. Dabei reifen durch die Hormone Eizellen heran, die entnommen, in einer Petrischale mit Spermien verschmolzen und zurückverpflanzt werden. Die nicht benötigten Eizellen werden eingefroren.

Enzo kann es nicht erwarten, endlich Papa zu werden. Er ist der festen Überzeugung, dass es gleich beim ersten Mal klappt. Nina zügelt seine Euphorie. Tatsächlich folgt eine Enttäuschung. Nina bekommt ihre Tage. Die erste künstliche Befruchtung war ein Fehlschlag.

Merck hat das Geschäft mit den Hormonen nicht erfunden, sondern mit der 2007 gekauften Schweizer Biotechfirma Serono geerbt. Die Schweizer weisen eine lange Tradition in Sachen Fruchtbarkeit vor. Das Unternehmen Serono gehörte einst sogar dem Vatikan. Schon damals war bekannt, dass sich im menschlichen Urin, insbesondere dem von Frauen nach der Menopause, stimulierende Spuren finden. In der Hochphase der Produktion benötigte Serono 70 Millionen Liter Frauenurin, und bekam beachtliche Mengen aus italienischen Nonnenklöstern frei Haus geliefert. Noch heute soll bei Ferring, einem Merck-Konkurrenten mit Sitz ebenfalls in der Schweiz, der Urin eine Rolle spielen. Hauptwettbewerber im Hormongeschäft ist jedoch der amerikanische Namensvetter Merck, der außerhalb der USA MSD heißt, weil er ebenfalls eine Schweizer Firma mit dieser Expertise übernahm.

Merck stellt die Hormone längst komplett mithilfe von Eiweiß-Molekülen künstlich her. Gonal heißt das am meisten verkaufte Produkt, das einmal die Milliardenschwelle an Umsatz einbringen könnte. Insgesamt umfasse die Palette sechs verschiedene Hormonvarianten, sagt Wenzel. Diese ließen sich für jede Phase des Reproduktionszyklus einsetzen, von der Entwicklung der Eizelle bis ins Frühstadium der Schwangerschaft. Für Merck eine lukrative Angelegenheit: die Marge bewegt sich zwischen zehn und 15 Prozent.

Wenzel sieht noch große Wachstumschancen. "Wir wollen ein umfassender Anbieter von Medikamenten und Technologien für das Labor werden", sagt sie. Zwar gebe es im Kerngeschäft kein großes Entwicklungspotenzial mehr: "Hormone sind eben Hormone". Aber die Arbeit in den Laboren erfordere viel Erfahrung. Es gebe einen großen Bedarf an hochwertigen Geräten. Die will Merck nicht selbst herstellen, vertreibt sie aber neuerdings für die australische Firma Genera, darunter einen ausgefeilten Brutschrank und einen Apparat zum Einfrieren der Eizellen. Im Laborgeschäft kennt sich Merck bestens aus, beliefert doch der Bereich Millipore und auch der US-Zukauf Sigma-Aldrich die Diagnostik-Sparte.

Nina und Enzo wollen den Traum vom Baby nicht aufgeben. Beim dritten Mal klappt es tatsächlich, Nina ist schwanger. Die beiden können ihr Glück kaum fassen. Nach der zwölften Schwangerschaftswoche geht es zur Frauenärztin. Sie sind gespannt auf das Ultraschallbild. Stattdessen folgt der Schock: Es sind keine Herztöne mehr zu hören. Der Fötus ist tot. In tiefer Trauer ziehen sich Nina und Enzo zurück. Ist der Traum vom gemeinsamen Kind endgültig ausgeträumt? Das Paar hatte eine klare Abmachung: drei Versuche per künstlicher Befruchtung. Enzo bittet Nina, das noch einmal zu überdenken. Nina weiß nicht, ob sie einen vierten Versuch packen würde.

Finanziell sind drei Versuche der künstlichen Befruchtung in Deutschland tragbar, denn die Krankenkassen erstatten 50 Prozent der Behandlungskosten, einige auch mehr. Das gilt für Frauen zwischen 25 bis 40 Jahren, beim Mann bis 50 Jahren, und das Paar muss verheiratet sein. In den USA dagegen erstatten nur wenige Bundesstaaten die künstliche Befruchtung. Für Selbstzahler ist die Behandlung fünf- bis zehnmal so teuer wie in Europa. Deshalb verkaufen Pharmaunternehmen in den USA nur ein Zehntel ihrer Hormone, bei anderen Medikamenten sind es meist 40 Prozent. "Nach den USA ist China der zweitwichtigste Einzelmarkt für uns", betont Wenzel. Jede Familie wolle dort das eine zugelassene Kind auch haben. Bis zu zwei Jahresgehältern an Krediten würden aufgenommen, um den Traum vom eigenen Baby zu finanzieren.

In den Industrieländern geht das Nachhelfen beim Kinderwunsch einher mit der Konjunktur

Europa ist mit einem Anteil von einem Drittel ein sehr großer Markt. In allen Industrieländern geht das Nachhelfen beim Kinderkriegen einher mit der Konjunktur. Es fehlt in der Krise nicht nur das Geld, auch der Kinderwunsch schwindet in schlechten Zeiten. Aber insgesamt wächst der globale Markt für die künstliche Befruchtung von einer Jahresbasis von 2,2 Milliarden Euro Jahr für Jahr um sieben Prozent. Darin sind die Leistungen der Labore und Ärzte nicht einmal enthalten.

Die mit der Behandlung verbundenen psychischen Belastungen und die Enttäuschungen, wenn es nicht klappt, sind groß und belasten viele Paare, nicht nur Nina und Enzo. Die beiden sind aber keine realen Personen, sondern Figuren aus der Lindenstraße, einer Fernsehserie, die in München spielt und in Köln gedreht wird.

Manche raten zu mehr als drei Versuchen, falls die Beziehung das aushält. Andere glauben, es mangele an Aufklärung darüber, dass die Chancen auf ein Baby bis zum 35. Lebensjahr realistischer sind als danach. Auch Stress, übermäßiger Alkohol- und Kaffeegenuss, eine ungesunde Lebensweise, Rauchen, psychische Aspekte, Über- oder Untergewicht und auch bestimmte Medikamente können einen negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit haben. Nicht zu vergessen ist auch die Umweltverschmutzung. Die ist beispielsweise in China heute noch ein Tabuthema.

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