Vaterstetten:Allein gelassen mit der Krankheit

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Das Zentrum für Akutgeriatrie und Frührehabilitation im Klinikum Neuperlach nimmt keine demenzkranken Reha-Patienten aus dem Landkreis mehr auf. Der Grund: Überfüllung

Von Mariel Müller, Vaterstetten

Friedrich Haacke ist verzweifelt. Seine demenzkranke Frau Helga hatte noch im vergangenen Jahr gute Fortschritte gemacht, nachdem sie einen vierwöchigen Reha-Aufenthalt im Zentrum für Akutgeriatrie und Frührehabilitation im Klinikum Neuperlach hinter sich hatte. "Danach kam sie wie ein neuer Mensch zurück", erzählt ihr Mann. "Auch für mich als Pflegenden war das erheblich erleichternd." Nach dem Besuch sei ihr versichert worden, sie würde nach neun Monaten wieder einbestellt werden, berichtet Friedrich Haacke. Das geschah jedoch nicht. Der Grund: Die Tagesklinik hat ihren Einzugsbereich auf die Stadt und den Landkreis München eingeschränkt und nimmt Patienten aus anderen Landkreisen nicht mehr an. Helga Haacke hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich, die 2002 mit einem Hydrocephalus, einem sogenannten "Wasserkopf", begann. Nach mehreren Klinikaufenthalten wegen diverser Probleme, die mit Altersdemenz einhergehen, kam sie im vergangenen August ins Neuperlacher Klinikum. Hier gelang es den Ärzten während zwei teilstationärer Aufenthalte in der Tagesklinik, den Zustand der demenzkranken Patientin zu stabilisieren.

Dass die Klinik keine Patienten mehr aus anderen Landkreisen aufnehme, liege daran, dass die Einrichtung schon längst an Kapazitätsgrenzen gestoßen sei, erklärt Dr. Wilfried Wüst, Chefarzt des Zentrums für Akutgeriatrie und Frührehabilitation, in einem Schreiben. Von Trägerseite müsse man da nun entgegensteuern. "Diese Entscheidung ist nicht nur ökonomisch begründet", schreibt Wüst, "sondern begrenzt auch die Transportwege und -zeiten für die Patienten auf ein akzeptables Maß". Darüber hinaus versuche man, die inzwischen "im Bereich zwischen zwei und drei Monaten liegenden Wartezeiten kontinuierlich zu verkürzen", so Wüst weiter. Er verstehe die persönliche Enttäuschung von Friedrich Haacke, bitte aber um Verständnis, dass man zu dieser Maßnahme gezwungen sei, "um für die große Mehrheit unserer Tagesklinikpatienten eine Verbesserung der Situation herbeizuführen". Nur einzelne Personen habe man bisher nicht aufnehmen können, "persönlich bedauere ich das", so Wüst in Bezug auf Helga Haackes Situation. Aber ihm seien die Hände gebunden.

Tageskliniken, die eben dieses Angebot für akut geriatrisch zu behandelnde Patienten wie Helga Haacke bereitstellen, seien ein Überbleibsel und würden in Zukunft von den vielen vollstationären Einrichtungen ersetzt werden. "Glücklich bin ich nicht damit", schreibt Wüst. Die teilstationäre Reha hält er für bestimmte Patientengruppen für die ideale Versorgungsform, weil so der Kontakt nach Hause und zu den Angehörigen möglichst groß bleibt. Ein vergleichbares teilstationäres Angebot gibt es neben der Neuperlacher Klinik noch zweimal in ganz Bayern: in Regensburg und Nürnberg.

Auch CSU-Landtagsabgeordneter Thomas Huber, der zugleich demografiepolitischer Sprecher der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag ist, sieht diese Entwicklung kritisch. In den vergangenen 30 Jahren sei das Durchschnittsalter im Landkreis für Männer von 72 auf 78 und für Frauen von 79 auf 83 gestiegen. Mit dem Steigen der Lebenserwartung werde auch die Zahl der Demenzkranken kontinuierlich zunehmen: Von den deutschlandweit rund 1,5 Millionen Demenzkranken lebten im Jahr 2013 rund 3100 im Landkreis Ebersberg. Bis ins Jahr 2033 ist mit einem Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen auf etwa 5100 zu rechnen. Huber plädiert deshalb für einen Ausbau von Pflegestützpunkten, in denen pflegebedürftige Menschen flexibel betreut werden können. "Das wäre eine echte Entlastung für viele, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen", sagt der Landtagsabgeordnete. Das trifft auf immerhin zwei Drittel aller Pflegebedürftigen zu.

So auch auf Helga Haacke. "Persönlich sehe ich aufgrund der demografischen Entwicklung und ganz besonders in Anbetracht der im Fall der Familie Haacke geschilderten neuen Begrenzung des Einzugsbereiches durch die Klinik ein Defizit und einen offensichtlich steigenden Bedarf an Reha-Plätzen - auch für Demenzkranke", sagt Huber. "Ich sehe hier die absolute Notwendigkeit, dieses Problem, welches offenbar eine Lücke im System darstellt, anzugehen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen."

Ihre Goldene Hochzeit hätten sie vor ein paar Tagen gehabt, erzählt Haacke. Trotz eigener gesundheitlicher Probleme - vier Wirbelsäulenoperationen - war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, seine Frau von Anfang an zu pflegen. "Ich liebe meine Frau, ich möchte sie gerne noch die letzten Jahre bei mir haben. Die Reha in Neuperlach hat ihr zweimal mindestens ein Jahr gesundheitlich Ruhe verschafft. Es war wundervoll."

Friedrich Haacke und seine Frau Helga haben sich nun für ein vollstationäre Pflegeeinrichtung im Kolbermoor entschieden, in der Nähe der Tochter. Einen Probemonat wird Helga Haacke dort verbringen und dann entscheiden, ob sie dort bleiben wird. Die Ideallösung ist es nicht für Friedrich Haacke. Er ist unzufrieden mit der Pflegesituation für Demenzkranke im Umland Münchens. "Ich fühle mich hier ein bisschen allein gelassen als grauer Panther. Ich bin 80 Jahre alt. Ich hätte mir gewünscht, dass meine Frau noch mal zu mir nach Hause kommen kann, sodass ich sie in einem verbesserten Zustand weiterpflegen kann. Das ist leider jetzt nicht mehr möglich."

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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