Brandenburg:Linker Realo

Koalitionsverhandlungen Brandenburg

Eher der Typ kumpelhafter Antreiber: Der ehemalige Sportlehrer und heutige brandenburgische Landesvorsitzende der Linken, Christian Görke.

(Foto: picture alliance / dpa)

Christian Görke ist der einzige Finanzminister der Linkspartei. Im überalternden Brandenburg sieht er sich zu harten sozialen Einschnitten gezwungen und mutet den Genossen dabei viel zu.

Von Jens Schneider, Potsdam

Christian Görke lehnt sich in seinem Stuhl zurück und grinst in Erwartung seiner nächsten Sätze. "Wir sind ja 'ne Partei mit reiferen Jahrgängen", sagt er inmitten seiner Genossen. Zwei junge Praktikanten aus der Geschäftsstelle der Linken sitzen dabei. Für alle anderen passt die Beschreibung als reifer Jahrgang gut, einige sind längst Rentner. Das ist typisch für die alternde Partei, auch für weite Teile Brandenburgs. "Aber man hat ja auch Kinder, Enkelkinder", sagt Görke weiter, "und die Lebenserwartung nimmt zu. Es gibt immer mehr Hundertjährige." Da nicken die Älteren und grinsen ebenfalls - das klingt ja nach einer Menge Zukunft.

Darum geht es dem Minister. Seine Partei hat zu einer Regionalkonferenz eingeladen nach Kleinmachnow, das liegt im Berliner Speckgürtel. Überall in Brandenburg bietet sie in diesen Monaten Konferenzen an. Sie will sich zeigen, ihren Wählern und Mitgliedern erklären, wozu sie regiert, und der 53-Jährige hat sich in die Arbeitsgruppe mit dem sperrigsten Thema gesetzt. Es geht um die umstrittene Verwaltungsreform, ein Projekt für die nächsten Jahrzehnte, für eine Zukunft auch mit Einschnitten und harten Wahrheiten.

"Das ist erst mal nicht fürs Herz", sagt Görke den Genossen. Eine Verwaltungsreform gewinne keine Wahlen. Da sollen Ämter zusammengelegt und aufgelöst werden, damit die Verwaltung billiger und effizienter wird. Die Bevölkerungszahl in Dörfern und Städten schrumpft, je weiter man von Berlin wegkommt, wo es im Speckgürtel boomt. "Wir müssen Brandenburg darauf vorbereiten, dass es in einigen Regionen immer weniger Menschen geben wird", sagt Görke.

"Bei mir hinten in Rathenow wird im Jahr 2030 im Vergleich zu heute jeder fünfte Einwohner fehlen", erzählt er aus seiner Heimatstadt, und er hat noch eine Reihe anderer Beispiele parat. "Wir können also nicht so weitermachen. Wir müssen Aufgaben bündeln, und das mache ich lieber in der Regierung als in der Opposition."

Christian Görke ist Finanzminister des Landes Brandenburg und als solcher ein Unikat. Der frühere Lehrer für Sport und Geschichte aus Rathenow an der Havel ist der einzige Minister der Finanzen, den die Linkspartei stellt. Görke ist seit jungen Jahren bei den Sozialisten. Während sein Vater in der CDU war, wie die meisten seiner Verwandten, trat er mit 23 Jahren in die SED ein. Er blieb der Partei treu, weil, wie er sagt, auch vieles wieder in Ordnung gebracht werden musste, was in der DDR falsch lief - und er an den Sozialismus glaube. Der heutige Landesvorsitzende der Linken ist einer von denen, die damals eine bessere DDR wollten.

Er will Markus Söder zeigen, dass der Länderfinanzausgleich nicht verschwendet wird

Wer drei Jahrzehnte später in Potsdam mit Politikern über die Besonderheiten des linken Finanzminister sprechen will, erntet irritierte Blicke, als wäre der Ansatz absurd: Wieso denn? Besonders? Links? Vor allem normal sei der Görke, sagt eine einflussreiche Sozialdemokratin: "Sie wissen doch, dass der mal Sportlehrer war. Damit ist er beschrieben. Ein typischer Sportlehrer." Was wohl heißen soll: Beflissen, zupackend. Görke erscheint dabei eher als Typ kumpelhafter Antreiber, weniger als Schleifer. Und links? Bei der oppositionellen CDU mokiert sich ein Spitzenmann darüber, dass dieser Linke ja nicht besonders viel für seine linke Klientel getan habe. "Es sagt doch viel, dass die Schulden hier in einer Zeit gemacht wurden, als die Linke nicht an der Regierung beteiligt war", fällt Görke dazu ein. "Wir zeigen hier, dass wir Verantwortung für das Land übernehmen und solide mit Geld umgehen. Wir können Finanzpolitik mit sozialem Augenmaß."

Die rot-rote Regierung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat seit 2011 keine neue Schulden aufgenommen, zuletzt sogar 291 Millionen Euro getilgt, ein ausgeglichener Haushalt gilt als selbstverständlich. Die Konjunktur ist günstig, es gibt zudem noch immer Hilfen aus dem Solidarpakt für Brandenburg. Es werde auch weiter Hilfen für den Osten geben müssen, sagt Görke seinen Genossen. "Aber es wird nicht üppig." Also wirbt er für die Reformen. "Wir müssen uns die Karten legen und zusehen, wie wir da durchkommen." Das bedeutet, dass Kreise zusammengelegt werden und überschuldete Städte ihre Eigenständigkeit verlieren könnten, weil ihre Verwaltung zu groß ist für ihre schrumpfende Finanzkraft. "Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen Aufgaben bündeln, mit den Kreisen auch Ämter und Behörden fusionieren, ohne die Servicequalität zu verschlechtern."

Es ist eine ziemlich hohe Dosis Realpolitik für seine Leute. Vielleicht ließe sich anhand der Geschichte der Linken, die früher PDS und vorher die SED war, einmal besonders gut erzählen, wie der Osten als politische Dimension nach und nach verschwindet. Angefangen hat die PDS mal als Wärmestube einer abgelösten Generation von Herrschenden und ihren Parteigängern. Manche fühlten sich behandelt wie Aussätzige, viele fremd im neuen Land. Ihre Wahlerfolge erzielte die PDS lange als Fürsprecherin von Menschen, die sich benachteiligt fühlten. Nun suchen sie ihre Rolle als Regierungspartei in einer Zeit, in der es nicht mehr wie vor zwanzig Jahren darum gehen kann, möglichst viele Sozialprojekte und ABM-Stellen zu schaffen. Auch in Brandenburg sinkt die Arbeitslosenzahl seit Monaten, viele Firmen suchen Nachwuchs.

Görke reist als Minister viel übers Land. Im Wahlkampf vor einem Jahr hat ihm eine Sommerreise als Minister peinliche Schlagzeilen eingebracht, weil diese Minister-Reise zu sehr nach Wahlkampf aussah. Es war eine schwierige Wahl für die Linke. Sie verlor acht Prozentpunkte. Sie habe zu wenig eigenes Profil in der Regierung gezeigt, hieß es hinterher, vielleicht das falsche. Görke hatte stolz mit seiner soliden Finanzpolitik geworben.

Der linke Minister besucht nun gern Unternehmen, sie dürfen auch gern erfolgreich sein. In Neuruppin hält er ein Grußwort zum zehnten Jubiläum eines boomenden Start-ups. Der Gründer hat ein junges Team um sich geschart und produziert Maschinen in Spezialanfertigungen. Fast alle sind unter 40. Görke fällt in seiner Rede dazu ein, dass man früher in diesem Zusammenhang von einer Jugendbrigade gesprochen hätte. Das sei bestimmt nicht despektierlich gemeint, setzt er hinzu. Einige lachen. Das verstünden hier alle, sagt er später, mit Linkssein habe das wenig zu tun. Es klingt wie ein Stück Brauchtumspflege.

Nach der letzten Wahl hat die SPD einen Moment mit dem Gedanken gespielt, lieber mit der CDU zu regieren, aber sie blieb dann doch mit der Linken zusammen. Die seien leichter zu handhaben, spottet man bei der CDU. Görke und seine Genossen unterstreichen nun oft, dass von dieser Regierung mehr als tausend neue Lehrer eingestellt werden, mehr Geld in die Kitas geht. "Linke Finanzpolitik ist für mich beides: Solide haushalten und zugleich dort Mittel einsetzen, wo es für die Menschen gebraucht wird." Zum 1. Mai hat er einen Mindestlohn von zehn Euro gefordert.

Und Görke meldet sich zunehmend zu Wort, wenn über den Länderfinanzausgleich gestritten wird. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) würde er gerne in die Uckermark einladen, um ihm zu zeigen, dass sie in Brandenburg nicht auf bayerische Kosten in Saus und Braus leben.

Vor seinen Genossen will er keine Illusionen nähren. "Das ist eine komplexe Sache, dafür brauche ich die Partei", wirbt er für die Verwaltungsreform. Einer der Älteren hält Görke entgegen, dass da ja Leute entlassen werden müssten: "Das gibt ja wieder Ärger." Görke schüttelt den Kopf. In den nächsten Jahren würden so viele aus der Verwaltung ausscheiden, sagt er. "Die meisten sind über 50. Ich suche jetzt schon händeringend Leute für die Verwaltung." Die Welt, so erklärt er kurz darauf, verändere sich jeden Tag.

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