Flüchtlinge aus Balkanstaaten:Länder setzen auf schnellere Abschiebung

  • In einigen Bundesländern wächst die Bereitschaft, auch Länder des Westbalkans zu "sicheren Herkunftsstaaten" zu erklären, um so den Zustrom zu verringern.
  • Die Bundesländer drängen auch darauf, die Asylverfahren für Flüchtlinge aus diesen Ländern zu verkürzen, um eine schnellere Abschiebung zu ermöglichen.
  • In Sachsen sollen Flüchtlinge, die eine geringe Chance auf Aufnahme haben, gar nicht erst auf die Kommunen verteilt werden.

Report von Jan Bielicki, Josef Kelnberger, Cornelius Pollmer und Peter Burghardt

Die bayerische Regierung ist mit ihrem Plan, Asylsuchende aus den Balkanstaaten in eigenen Aufnahmezentren unterzubringen und ihre Anträge im Schnellverfahren zu behandeln, in Berlin zwar auf viel Kritik aus Opposition und Teilen der SPD gestoßen. In den Bundesländern aber können die Bayern durchaus mit Verständnis rechnen. Fast überall in Deutschland fühlen sich Bürgermeister und Landräte von der Zahl der ankommenden Flüchtlinge überfordert und machen Druck auf ihre Landesregierungen.

So erklärte sich nun auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann grundsätzlich bereit, über die Ausweisung weiterer Balkan-Länder als "sichere Herkunftsstaaten" zu reden. Er verwies aber auf einen einstimmigen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz: Die Bundesregierung muss demnach erst eine Evaluation vorlegen zur Frage, wie sich die Regelung für Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ausgewirkt hat. "Die Landesregierung ist für alles offen, was mit den Grundsätzen unserer Verfassung vereinbar und sinnvoll ist", sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart.

Aber solche Maßnahmen müssten "mehr bringen als nur Ärger für mich". Kretschmann hatte sich im vergangenen Herbst den Unmut von Teilen seiner Partei zugezogen, als er im Bundesrat der Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als "sichere Herkunftsstaaten" zustimmte.

Vor allem die CSU-Regierung Bayerns fordert seit Langem auch Albanien, Kosovo und Montenegro in diese Kategorie aufzunehmen. Aus den sechs Nicht-EU-Staaten Südosteuropas kommen etwa 40 Prozent aller Menschen, die in Deutschland Asyl suchen.

Für "sichere Herkunftsstaaten" wird angenommen, dass Menschen dort nicht politisch verfolgt und diskriminiert werden. Asylbewerber müssen deshalb besondere Umstände geltend machen, wenn sie anerkannt werden wollen. Ziel der Einstufung ist es, Verfahren zu beschleunigen und potenzielle Flüchtlinge abzuschrecken. Ministerpräsident Kretschmann bezweifelt aber, dass solche Schritte wirklich dazu führen, dass aus diesen Ländern weniger Flüchtlinge kommen. So seien die Zahlen im Fall Kosovos nach einer Aufklärungskampagne massiv gesunken. Aus Serbien und Mazedonien aber würden neuerdings wieder mehr Menschen Asyl beantragen.

Baden-Württemberg: Kapazität von Erstaufnahmestellen verzehnfacht

Baden-Württembergs grün-rote Regierung hat seit Sommer 2014 die Kapazität seiner Erstaufnahmestellen verzehnfacht, von 900 auf 9000. Dennoch sind diese Einrichtungen massiv überbelegt. Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) räumte am Dienstag ein, die Stimmung in den betreffenden Städten sei fragil, viele Bewohner fühlten sich belästigt: "Ich hoffe nur, dass Fehlverhalten von Flüchtlingen nicht dazu führt, dass die Stimmung kippt." Am Wochenende wurde in Remchingen ein Haus, das als Flüchtlingsunterkunft geplant war, in Brand gesteckt.

In Karlsruhe hat man zuletzt bevorzugt die Anträge von Asylbewerbern aus Kosovo bearbeitet. Das führte zu schnelleren Verfahren, aber auch dazu, dass andere Anträge liegen blieben. Der Schlüssel, um die Antragsflut zu bewältigen, ist nach Ansicht Kretschmanns mehr Personal vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Aber in der Frage habe der Bund wertvolle Zeit vergeudet. Asylverfahren in nur zwei Wochen abzuschließen, wie vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) angepeilt, sei illusorisch. "Wir wären schon froh über drei Monate", sagte Kretschmann.

Die Verfahren für Asylbewerber vom Balkan auf drei Monate zu verkürzen, ist ja auch das Ziel, das sich Bund und Länder bei einem Spitzentreffen vor einem Monat gesetzt hatten. Damals kamen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten überein, stärker zwischen Flüchtlingen zu unterscheiden, die Aussicht auf Asyl in Deutschland haben, und solchen Asylbewerbern, "die keine Bleibeperspektive haben", wie Merkel sagte - und wie es Bayern nun vorhat. Asylbewerber aus den Balkanstaaten sollten nach dieser Übereinkunft für die Dauer ihres Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder unterkommen.

"Clustern" nannte Merkel dieses Zusammenlegen, das die Asylverfahren verkürzen soll - und Abschiebungen erleichtern. Derzeit dauert es im Schnitt etwas mehr als zwei Monate, bis ein Asylbewerber aus Kosovo den - in der Regel ablehnenden - Bescheid des BAMF in Händen hält, bei Antragstellern aus Mazedonien sind es fast fünf Monate. Auch die SPD-Ministerpräsidenten stimmten dem zu - im Norden Deutschlands stehen Städte und Gemeinden vor denselben Problemen, die wachsende Zahl von Flüchtlingen unterbringen zu müssen.

Nach NRW kommen mehr Flüchtlinge pro Woche als nach Frankreich

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) klagte bereits im Februar darüber, dass die zunehmende Zahl von Flüchtlingen aus Balkanstaaten die Aufnahme schutzbedürftiger Syrer und Iraker erschwere, und setzte sich für schnellere Asylverfahren ein. Das forderte nun auch sein Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. "Wir haben eine Gruppe, deren Asylantrag mit 99-prozentiger Sicherheit abgelehnt werden wird, und eine andere Gruppe, die zu 99 Prozent Asyl bekommt", sagte er: "Aber wenn beide Gruppen zwei Jahre auf ihren Bescheid warten, dann läuft etwas grundsätzlich falsch im System."

Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz sprach sich am Wochenende im Hamburger Abendblatt ebenfalls dafür aus, die Länder des Westbalkans zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären und den Zustrom zu beschränken. "Diese Staaten streben in die EU", so Scholz: "Aus solchen Ländern kann es keine Flüchtlinge geben. Sonst dürften sie nicht in die EU."

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hatte erst zu Beginn des Monats ein neues Konzept für Erstaufnahmestellen vorgestellt, mit dem der Freistaat auf die wachsende Zahl von Flüchtlingen reagieren will. Demnach wird die Zahl der Plätze bis spätestens Ende 2016 auf 5000 ausgebaut. Das ist nahezu eine Verdopplung der aktuellen Kapazitäten. Dauerhaft sollen davon knapp 2400 Plätze in den Kernstandorten Dresden, Leipzig und Chemnitz (mit Außenstelle Schneeberg) eingerichtet werden. Auch, weil es von den urbanen Zentren Sachsens aus logistisch leichter sei, Bewerber abzuschieben, wenn ihr Antrag nicht bewilligt wird.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Dienstag, man sei "bemüht, künftig Asylbewerber aus Staaten mit geringer Anerkennungsquote insbesondere sicheren Herkunftsstaaten bis zur Ausreise nach Ablehnung in der Erstaufnahme zu halten und nicht auf die Kommunen zu verteilen". Mit Blick auf die hohen Zugangszahlen stoße eine solche Regelung aber auf praktische Grenzen.

Das rot-rot regierte Thüringen plant dagegen keine speziellen Maßnahmen für Flüchtlinge vom Balkan. Allerdings sollen aufgrund der erhöhten Prognosen des BAMF zwei neue Landesaufnahmestellen entstehen.

Die nordrhein-westfälischen Bezirksregierungen wollen den Flüchtlingsandrang bis Ende des Jahres mit bis zu zusätzlich 5000 Plätzen abfedern, teilte ein Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg am Dienstag mit. Die Bezirksregierungen haben kürzlich die kreisfreien Städte aufgefordert, auch Turnhallen für Flüchtlinge freizumachen. In Nordrhein-Westfalen kommen derzeit pro Woche 5000 Flüchtlinge an - "mehr als in Frankreich", zählt man im Düsseldorfer Innenministerium. Vom Vorgehen Bayerns hält man im Haus von Innenminister Ralf Jäger (SPD) trotzdem wenig. "Man kann auch klaren Kurs fahren", so ein Sprecher, "ohne die Flüchtlinge zu verschrecken."

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