Mittwochsporträt:Der schnelle Mister Carney

New Bank Of England Governor Mark Carney Begins Tenure At BOE

Erst Investmentbanker, jetzt Notenbanker: Weggefährten bescheinigen Mark Carney einen ausgeprägten Veränderungswillen.

(Foto: Jason Alden/Bloomberg)

Der britische Notenbank-Chef gilt als Star der Zunft. Seine Behörde baut er kräftig um - und muss dabei manche Niederlage einstecken. Ehrgeizig war er schon immer.

Von Björn Finke und Markus Zydra

Das fängt ja gut an. Mark Carney schaut schon auf die Uhr, als er sich setzt. Eine halbe Stunde hat er für die Journalisten. Keine Minute mehr. "Ich bin pünktlich", sagt der Chef der Bank of England. Carney geht auch schnell. Zack, zack - schon hatte der Kanadier den Raum durchschritten. Ganz leicht nach vorne gebeugt, als ob es windig wäre. An diesem Tag in Frankfurt spricht der 50-Jährige aber nicht als britischer Währungshüter, sondern in seiner Rolle als Vorsitzender des Finanzstabilitätsrats (FSB), eines weltweiten Gremiums der wichtigsten Bankenkontrolleure, Notenbanker und Finanzminister (siehe Artikel rechts).

Carney möchte, dass der FSB wie "ein Polizist wirkt". Denn: "Das Fehlverhalten der Banken birgt Risiken für das Gesamtsystem." Er spricht akzentuiert und ziemlich schnell. Carney zählt - erstens, zweitens - die Gefahren für das Finanzsystem auf. Er wirkt dabei wie ein Leutnant, der seiner Truppe die Lage erklärt. Mit beiden Händen und einem Stift zwischen zwei Fingern unterstreicht er seine Aussagen. "Schattenbanken, Fondsindustrie, Staatsanleihen", das seien die entscheidenden Risiken, da müsse man etwas tun, sagt Carney. "Any questions?" Es gibt einige Fragen, und Carney beantwortet sie geduldig. Dann blickt er auf seine Armbanduhr. "Großartig", sagt er und verabschiedet sich. Nach 28 Minuten.

Carney steht für hohes Tempo und klare Ansagen - klar zumindest für einen Notenbanker, die sich ja traditionell gerne unverständlich-schwurbelig äußern. Auch das griechische Schuldendrama kommentiert er, selbst wenn die Briten das nur am Rande beobachten können: Eine Krise in der Euro-Zone würde auch Großbritanniens Wirtschaft belasten, sagt er. Die Bank of England werde alles machen, was nötig sei, um die Wirtschaft im Vereinigten Königreich zu schützen.

Er wird gefeiert als der "George Clooney unter den Notenbankern"

Aufs Tempo drückt Carney ebenso bei der altehrwürdigen Bank of England, der Old Lady of Threadneedle Street. Nach seinem Antritt als Gouverneur vor zwei Jahren verordnete er der 1694 gegründeten Notenbank die größte Umorganisation, seit diese 1997 Unabhängigkeit von der Politik erlangt hatte. Er änderte auch die Kommunikationsstrategie - und diese ist eine der schärfsten Waffen eines Notenbankers. Schließlich sezieren Finanzmarkt-Profis jeden Halbsatz und jedes Räuspern der obersten Währungshüter, um daraus abzuleiten, ob und wie die Notenbanken die Höhe der Zinsen ändern werden.

Doch musste der schnelle Mister Carney auch schnell Niederlagen einstecken - und erkennen, dass mancher Wandel wohl länger dauern wird als erhofft.

Der britische Schatzkanzler George Osborne nominiert ihn Ende 2012 für den Spitzenjob - als ersten Ausländer. Die Erwartungen sind riesig; britische Medien nennen Carney den "George Clooney unter den Notenbankern": wegen seiner auffallend weißen Zähne und schicken Anzüge. Andere bezeichnen den vergleichsweise jungen Chef der kanadischen Notenbank gar als Messias - er soll nach seinem Wechsel gen London mit weiter niedrigen Zinsen die damals lahme britische Wirtschaft in Schwung bringen. Zugleich soll er die Kontrolle der Banken verbessern, auf dass keine neue Krise entstehe.

Nachdem sich britische Institute wie die Royal Bank of Scotland oder Lloyds vor den Augen von Finanzaufsicht und Notenbank fast in den Ruin spekuliert hatten, baute die Regierung die Kontrolle der Branche um. Die Rolle der Währungshüter in der Bankenaufsicht wurde gestärkt - und Volkswirt Carney muss die 3600-Mann-Behörde entsprechend umorganisieren.

Schon direkt zum Start in London bricht der Harvard-Absolvent und frühere Banker bei Goldman Sachs mit lieb gewordenen Gewohnheiten der Währungshüter. Statt über die zukünftige Zinshöhe zu schweigen oder allenfalls Geheimnisvoll-Unkonkretes hinauszublasen, veröffentlicht er eine Handreichung zur Zinspolitik. Er legt sich fest, dass die Zinsen so lange auf ihrem Rekordtief bleiben, bis die Arbeitslosenquote auf sieben Prozent gesunken ist. Damit will er Firmen und Verbrauchern signalisieren, dass Kredite noch lange Zeit billig sind.

Doch diese Transparenz-Offensive geht gründlich daneben. Die Arbeitslosigkeit fällt viel schneller als vorhergesehen, deswegen muss Carney seine Handreichung wieder einkassieren. Bei seinem Umbau der Bank stärkt der vermeintliche Messias daraufhin die Forschungsabteilung, auf dass die Prognosen besser werden.

Unangenehm für den Kanadier ist auch die Verquickung der Notenbank in den Skandal um manipulierte Wechselkurse: Mitarbeiter der Bank of England erhielten offenbar schon früh Hinweise darauf, dass sich Bankhändler bei Devisengeschäften untereinander zulasten ihrer Kunden absprechen - und behielten dieses Wissen vornehm für sich. Damals war Carney zwar noch nicht im Amt, dennoch musste er dem Parlament Rede und Antwort stehen. Er gab sich angemessen zerknirscht. Das sei "ein Schlag für den Ruf der Bank", sagte er. Und: "Kulturwandel braucht Zeit."

Andere Notenbanker sind voll des Lobes für Carney: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sagt, er beeindrucke ihn "mit seiner Professionalität und seinem profunden Wissen über Geldpolitik und Finanzstabilität". Obendrein sei "er eine sehr sympathische und humorvolle Person".

Geboren wurde der Kanadier in den dünn besiedelten Nordwest-Territorien des Landes. Sein Vater war Schuldirektor, der Sohn erinnert sich daran, dass seine Mutter aus Fellen Parkas machte.

Cricket? Zu elitär. Der Kanadier lässt auf dem Sommerfest lieber Brennball spielen

Carney studiert in Harvard und promoviert in Oxford, wo er seine britische Frau Diana kennenlernt. Heute hat das Paar vier Töchter. Der junge Carney gilt als extrem fleißig, Studenten-Partys sind nicht seine Welt. Eine umso bessere Figur gibt er auf dem Eis ab. Carney ist Torhüter des Eishockey-Teams der Universität Oxford und wird 1992 zu so etwas wie einer lokalen Sportlegende. Im Spiel gegen den Rivalen Cambridge hält er 40 Schüsse - das Spiel geht allerdings trotzdem 1 : 3 verloren.

Er fängt bei der US-Investmentbank Goldman Sachs an, arbeitet zunächst in London, später in Kanada. Doch im Jahr 2003 beendet er seine lukrative Karriere in der privaten Bankenbranche, um Vize-Gouverneur der Bank of Canada zu werden, also der Notenbank. Ex-Goldman-Kollegen sagen, Carney habe immer in den öffentlichen Dienst gewollt, um etwas zu bewegen, etwas zu verändern. Die Hochachtung vor dem Staatsdienst habe er von seinem Vater geerbt, heißt es. Doch zu Studentenzeiten war das Geld knapp. Da halfen die Posten bei Goldman Sachs zunächst, die Schulden wegen des teuren Studiums in Harvard zu begleichen.

Von der kanadischen Notenbank wechselt Carney ins Finanzministerium. 2008 geht es wieder zurück - als Chef der Bank of Canada. Damit ist er damals der jüngste Chef einer Zentralbank in den Industriestaaten. Dem Volkswirt ist es aber wichtig, nicht abgehoben zu wirken. Einem kanadischen Journalisten, der sich mit ihm in einer Sushi-Bar treffen will, sagt er, das sei unangemessen - und schlägt eine Burger-Bar vor. Und seine erste Dienstfahrt zur Bank of England inmitten Londons Finanzviertel absolviert er nicht in einer Limousine, sondern mit der U-Bahn.

Die Ausgaben für das traditionsreiche Sommerfest der Notenbank kappt er. Zudem ändert er das Sportprogramm der Feier: Früher spielten die Währungshüter Cricket, aber das findet er zu elitär. Carney ordnet an, auf Brennball umzusteigen. Daneben stehen Fußball und Eierlöffellaufen auf dem Programm. Neue Zeiten für die altehrwürdige Notenbank.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: