Karlsruhe kippt Betreuungsgeld:Auch Verlierer haben Glück

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Die CSU kann sich beim Betreuungsgeld zwar nicht durchsetzen. Trotzdem kann sie sich eigentlich freuen, denn die Richter folgen einem anderen Anliegen der bayerischen Staatsregierung.

Von Wolfgang Janisch

Wenn man einmal, nur für einen Augenblick, davon absieht, dass die bayerische CSU in Karlsruhe gerade eine krachende Niederlage eingesteckt hat, müsste man sagen: Eigentlich hat Bayern doch gewonnen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Föderalismus gestärkt, das Betreuungsgeld ist Ländersache. Kein anderes Land hat sich je so stark gemacht für den politischen Wettbewerb unter den Bundesländern, für ihre Eigenstaatlichkeit, für weitreichende Befugnisse bei der Gesetzgebung. Man nehme nur jene Vorschrift im Grundgesetz, an der das von Bayern durchgedrückte Gesetz soeben zerschellt ist: Artikel 72 Absatz 2 gewährt dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit nur, wenn das zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wirklich "erforderlich" ist, also zur Beseitigung "erheblicher Nachteile". So hat es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2002 festgestellt. Und wer hat das äußerst länderfreundliche Urteil damals erstritten? Wer hat's erfunden? Die bayerische Staatsregierung.

Darin liegt die Ironie des Karlsruher Urteils zum Betreuungsgeld. Die bayerische CSU hat in Karlsruhe verloren, weil das Gericht Bayerns Ruf nach einem starken Föderalismus ernst genommen hat. Nun werden die Bayern das verschmerzen können, weil es sich lediglich um eine juristische Niederlage handelt, die sich politisch womöglich in einen Sieg ummünzen lässt. Noch dazu eine, die, formal betrachtet, den Bundesgesetzgeber trifft, der das in der Bundesregierung ungeliebte Gesetz aus Koalitionsraison erlassen hat. Damit gibt das Verfahren auch Einblick in das Rechtsverständnis der CSU. Wenn es politisch nützlich ist, nimmt man schon mal einen Verfassungsverstoß in Kauf, der - siehe oben - von vornherein absehbar war.

Selbst mit Korrekturen wäre das Gesetz nicht mehr zu retten

Ein länderfreundliches Urteil also. Der Erste Senat des Gerichts - als Berichterstatterin war Gabriele Britz zuständig - hat deutlich gemacht, wo bei der Familienförderung die Grenzen zwischen Bundes- und Landeszuständigkeit verlaufen. Danach geht das Betreuungsgeld zwar als "öffentliche Fürsorge" durch. Der Bund kann dafür aber nur dann seine Zuständigkeit reklamieren, wenn er die Hürde des 1994 eingeführten Artikels 72 Absatz 2 überspringt. Dafür müsste eine gravierende Schieflage zwischen den Ländern bestehen, die nur durch ein Bundesgesetz wieder ins Lot gebracht werden kann. Oder, konkret ausgedrückt: Zwischen den besser ausgestatteten neuen und den bisweilen unterversorgten alten Bundesländern müsste sich bei den Kita-Plätzen eine tiefe Kluft auftun, die der Bund dringend mit staatlichen Leistungen überbrücken müsste. Dazu sagt der Senat im Grunde nur eines: Sollten diese Unterschiede wirklich so erheblich sein, trüge das Betreuungsgeld gar nichts zu deren Ausgleich bei.

Denn die Zahlung von monatlich 150 Euro ist allein an die Voraussetzung geknüpft, dass Eltern keinen öffentlich geförderten Kita-Platz in Anspruch nehmen. Auf die Behebung von Engpässen sei die Leistung überhaupt nicht ausgelegt, schreibt das Gericht: "Das Betreuungsgeld ist nicht als Ersatzleistung für den Fall ausgestaltet, dass ein Kleinkind keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung erhält." Hinzu komme, dass man Betreuungsplätze inzwischen vor Gericht einklagen könne. "Danach kann das Betreuungsgeld von vornherein nicht auf die Schließung einer Verfügbarkeitslücke gerichtet sein." Und dass, wie gern behauptet wird, das Betreuungsgeld nötig sei, um den Verzicht auf die öffentlichen Fördermittel auszugleichen, die in jedem Kita-Platz stecken, können die Richter ebenfalls nicht erkennen: "Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen" - eine Pflicht zur Kompensation gebe es nicht.

Und nun? Kita-Plätze sind begehrt. Experten erwarten aber nicht, dass der Wegfall des Betreuungsgelds zu einem weiteren Ansturm führt. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Als Bundesgesetz ist das Betreuungsgeld damit nicht mehr zu retten, auch nicht durch kleinere Korrekturen. Daran ändert auch ein Blick auf das - ebenfalls vom Bund gewährte - Elterngeld nichts. Das lässt sich nämlich auf die Bundeskompetenz zur Wahrung der Wirtschaftseinheit stützen, weil es den Eltern eine Auszeit vom Job erleichtert und damit einen Effekt auf den Arbeitsmarkt hat. Vom Betreuungsgeld ist dergleichen nicht zu erwarten, schreiben die Richter.

Die inhaltlich spannenden Fragen hat das Gericht gar nicht erst beantwortet

Das Verdikt der Kompetenzwidrigkeit fiel einstimmig aus. Die inhaltlich spannenden Fragen konnte das Gericht damit gänzlich unbeantwortet lassen. In der Beschwerdeschrift der klagenden Stadt Hamburg hatten die Professoren Arndt Schmehl und Margarete Schuler-Harms kritisiert, die sogenannte Herdprämie - die zu fast 95 Prozent von Müttern in Anspruch genommen wird - führe zu einer Verfestigung der überkommenen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen. "Kümmert es den Gesetzgeber, dass hier eine Schere auseinandergeht, die eigentlich geschlossen werden sollte?", wollte die Verfassungsrichterin Susanne Baer in der Verhandlung Mitte April wissen. Zudem würden vor allem die sozial schwachen Familien, für die 150 Euro viel Geld ist, zum Kita-Verzicht gedrängt, merkte damals der Richter Reinhard Gaier an. Zum Beispiel Migranten, deren Kinder vom Kita-Besuch besonders profitieren, weil sie dort nebenbei Deutsch lernen.

Nun ist es nicht ganz einfach, die Kritik an einer sozialpolitischen Fehlsteuerung des Gesetzes in ein verfassungsrechtliches Argument umzumünzen. Gewiss, auch die faktische Diskriminierung von Frauen kann eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sein - und vermutlich hätte der eine oder die andere aus dem Ersten Senat dazu ganz gern etwas gesagt. Aber damit hätte man verfassungsrechtliches Neuland betreten. Und ob die Richter, deren weltanschauliche Prägungen von christlich-konservativ bis genderpolitisch engagiert reichen, sich hier hätten einigen können, ist zweifelhaft. Schuler-Harms gab sich da nach der Urteilsverkündung keinen Illusionen hin: "Dass ein Bundesgesetz Unsinn ist, macht es noch nicht verfassungswidrig."

Bleibt die Frage, ob ein bayerisches Landesbetreuungsgeld, wie es nun eingeführt werden soll, auch in Karlsruhe landen könnte. Das wäre beispielsweise auf Klage der Bundesregierung oder eines Viertels der Bundestagsabgeordneten hin möglich. In Zeiten der großen Koalition ist das aber nur eine theoretische Möglichkeit.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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