Frauen im Islamischen Staat:"Ihr seid Bettfutter und Kanonenfutter"

Frauen im Islamischen Staat: Die Paderborner Islamwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi warnt Frauen davor, schwärmerisch Richtung Syrien aufzubrechen.

Die Paderborner Islamwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi warnt Frauen davor, schwärmerisch Richtung Syrien aufzubrechen.

(Foto: Nina Stiller/OH)

Gerade junge Muslimas erhoffen sich vom Islamischen Staat eine ideale Gemeinschaft - und werden bitter enttäuscht.

Interview von Matthias Drobinski

Hundert Frauen sollen aus Deutschland in den angeblich heiligen Krieg in Syrien und im Irak gezogen sein. Ein Text gibt nun Einblicke in das Denken der Dschihadistinnen: "Die Frau im Islamischen Staat. Eine Botschaft und Erklärung der Brigade Al-Khanssaa" heißt es. Die Emanzipation bringt den Frauen Unglück, steht da; der Frau gemäß ist der Dienst am Mann, der Ganzkörperschleier und die Heirat ab neun Jahren. Die Paderborner Islamwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi hat das Dokument analysiert; ihr Buch erscheint an diesem Freitag.

SZ: Sie haben gezögert, das Manifest der Frauen zu kommentieren. Warum?

Hamideh Mohagheghi: Ich habe mich gefragt, ob es gut ist, dass es noch mehr verbreitet wird, und ob man nicht schon dadurch den Islamischen Staat aufwertet, indem man ihn kritisiert. Mein erster Impuls war: Das muss man ignorieren.

Al-Chansaa-Brigade

Der Screenshot eines Propagandavideos der IS-Miliz zeigt voll verschleierte Frauen mit Gewehren, die angeblich in der syrischen Stadt Al-Rakka operieren. Das Bild ist undatiert und kann nicht überprüft werden. Die Frauen gehören angeblich der Al-Chansaa-Brigade an. Es ist eine IS-Kampfeinheit, die nur aus Dschihadistinnen besteht.

(Foto: dpa)

Dann haben Sie es doch gemacht.

Die Schrift wird ja sowieso diskutiert in den entsprechenden Foren. Wenn ich sie ignoriere, ist sie nicht aus der Welt. Und ich wollte bewusst eine theologische Antwort geben, aus dem Islam heraus. So kann ich vielleicht Menschen erreichen, die anfällig für diese Ideologie sind.

Die Frauen im IS sollen nur das Nötigste lernen, ihrem Mann untertan sein, Kinder gebären, das Haus am besten gar nicht verlassen. So wünschte sich auch der deutsche Spießer in den Fünfzigerjahren die Gattin. Was soll daran attraktiv sein?

Das Manifest entwirft ein Gegenbild zur westlichen Welt. Dort leben die Frauen aus der Sicht der Autorinnen entfremdet von ihrer natürlichen, von Gott gewollten Rolle. Diese Welt erscheint als konsumorientiert, verlogen, gottlos und sexualisiert. Dagegen setzen diese Frauen eine idealisierte islamische Welt, wie sie zur Zeit des Propheten existiert haben soll, in der sie versorgt sind und in einer Gemeinschaft aufgehoben, in der sie sich nicht immer neu definieren müssen. Das kann durchaus attraktiv sein. Obwohl diese Welt eine Fiktion ist, die es im frühen Islam nie gab, und die mit der Realität des IS nichts zu tun hat.

Was der IS aber mit einigem Aufwand zu beweisen versucht.

Man nimmt sich halt, was man braucht, um die eigene Ideologie zu rechtfertigen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Glauben ist das natürlich nicht. Und wer wirklich den frühen Islam leben will, soll sich auch nicht der modernen Medien bedienen, um seine Verbrechen zur Schau zu stellen, keine Autos fahren und auch nicht mit modernen Waffen töten.

Dass es eine ideale islamische Gesellschaft gibt, die dem verlotterten Westen moralisch überlegen ist, klingt für viele Muslime attraktiv.

Ja. Das ist auch eine Anfrage an uns, die wir so stolz auf unsere Werte sind: Was läuft da schief? Was bieten wir an Orientierung und Bindung? Was sind unsere menschlichen Werte? Wir sind ja eine Gesellschaft, in der der Gewinn und der Konsum zählen. Was wir lieben, was uns interessiert, was unser Herz bewegt, kommt danach. Das kann man schon mal verlogen finden.

"Der Islam muss in Deutschland eine Stimme haben, die gehört wird"

Sie erzählen, dass Sie, als Sie das Manifest lasen, spontan dachten: Das hat doch mit meinem Glauben nichts zu tun. Doch kann man das einfach trennen: Hier der gute Islam, da der böse, gewalttätige IS?

Nein. Es gibt Koranverse, Traditionen und Verhaltensweisen im Islam, die fragwürdig sind. Man kann mit ihnen militante Positionen begründen. Dem müssen wir uns stellen, das müssen wir theologisch reflektieren. Wir können nicht sagen: Das mit der Gewalt steht so nicht im Koran - es gibt Stellen, die als gewaltbejahend ausgelegt werden können. Nicht nur die salafistischen Gruppen, auch andere konservative Strömungen verstehen den Koran als Ganzes für alle Zeiten wortwörtlich. Reflektierte Auslegung lassen sie nicht zu.

Gehört das nicht zu den Glaubensgrundsätzen im Islam, dass der Koran wörtlich von Gott gegeben ist?

Wir müssen lernen, mit dem Koran, mit Gottes Wort hermeneutisch umzugehen und die Bedeutung über den Buchstaben hinaus zu begreifen.

Es gibt die These, dass der IS auf eine unheimliche Weise modern ist, weil er eine globale Ideologie als eigene Form der Globalisierung entwirft.

Das kann man insofern so sehen, als dass der IS eine totalitäre Ideologie ist, und das Totalitäre ist ein Kind der Moderne. Die makabre Inszenierung ist modern, das Spiel mit der Gewalt. Aber im Grunde ist das doch eine brutale Diktatur. Ich verstehe auch nicht, wie die Frauen die Propaganda von der heilen islamischen Welt mit den Mordvideos zusammenbringen.

Wie kann man sie da rausholen, davon abhalten, nach Syrien zu gehen?

Ich hoffe sehr auf die enttäuschten Rückkehrerinnen - sie sollen die Möglichkeit bekommen über ihre Erfahrung offen zu sprechen. Man muss sie natürlich erst einmal auffangen, ihnen Halt geben, man darf sie auch nicht instrumentalisieren. Aber wir werden diese Erzählungen brauchen, um die Augen der anderen zu öffnen: Ihr kommt nicht in den idealen Staat. Ihr seid Bettfutter und Kanonenfutter.

Beendet das die Unterwerfungsfantasien der Frauen?

Das berührt generell das Geschlechterverhältnis. Die Emanzipation, wie wichtig sie auch für Frauen ist, hat auch dahin geführt, dass die Frauen viel Verantwortung zu tragen haben: Sie sollen Karriere machen, gute Mutter sein, gute Hausfrau, gut gebildet, alles muss nach Plan laufen. Das könnte manche Frauen überfordern.

Ein Thema also für die ganze Gesellschaft.

Ja. Es ist Aufgabe der Muslime, die theologische Debatte zu führen. Es ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, jungen Muslimen einen Halt zu geben. Und es ist die Aufgabe der Politik, den Islam nicht auszugrenzen, zu sagen: Er bringt sowieso nur Gewalt hervor. Der Islam muss eine Stimme haben in Deutschland, die auch gehört wird. Sonst haben es diejenigen leicht, die sagen: Der Staat ist sowieso gegen uns.

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