"Anne Will" zur Flüchtlingsproblematik:Reem hätte in Bayern keine Chance

Der CSU-Politiker Thomas Kreuzer erklärt bei "Anne Will" die bayerische Flüchtlingspolitik.

Der CSU-Politiker Thomas Kreuzer erklärt bei "Anne Will" die bayerische Flüchtlingspolitik.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Bei "Anne Will" soll es um Flüchtlinge in Deutschland gehen. Betroffene kommen aber nicht zu Wort. Da fällt dem CSU-Mann der Vorwurf des Asylmissbrauchs leicht.

TV-Kritik von Antonie Rietzschel

Früher gab es in der Sendung von Anne Will diese Couch. Ein Schicksalssofa, auf dem Normalos Platz nahmen, um passend zum Talk-Thema ihre Situation zu schildern: Ein Pfleger sprach über die Lage im Krankenhaus, Sportler über den Boykott der Olympischen Spiele in China. Das ist lange her. Die Couch ist abgeschafft. Ihr Verlust schmerzt an diesem Mittwochabend besonders, als es um das Thema geht: "Merkel und das Flüchtlingsmädchen - ist Deutschland zu unbarmherzig?" Der erste Teil klingt wie der Titel eines Romans, im zweiten aber steckt der Stoff für eine emotionale Debatte.

Tatsächlich diskutieren die Gäste erhitzt über den aktuellen Vorschlag Bayerns, die Asylverfahren für Flüchtlinge aus den Balkanstaaten zu beschleunigen. Es geht um überfüllte Heime und Quoten. Doch mit Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Thomas Kreuzer (CSU) sind vor allem Politiker zu Gast, die ihre Sicht der Dinge mitteilen. Es fehlen die Betroffenen.

Es fehlt die 14-jährige Reem, die wegen der drohenden Abschiebung vor Kanzlerin Merkel in Tränen ausgebrochen war und eigentlich auch Anlass der Talkrunde ist. Statt Reem hätte aber auch ein anderer Asylbewerber dort sitzen können. In Deutschland gibt es Tausende. Sie könnten von ihrer Flucht oder ihren Anlaufschwierigkeiten hier in Deutschland berichten.

Es reden die Falschen

Stattdessen reden mal wieder andere für, gegen und über sie. Es scheint, als sei man dem Hinweis von Thomas Kreuzer gefolgt, der während der Sendung immer wieder betont, man könne mit Betroffenheitsgesprächen nichts erreichen. Für Politiker mag das ein Stück weit stimmen. Sie sind in ihrem Amt gefangen und können nicht wegen eines Einzelschicksals Gesetze übergehen - das hat Merkels Umgang mit Reem gezeigt. Doch jegliche Empathie zu verweigern, bedeutet, sich nicht ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Außerdem geht diese Einstellung an der Lebensrealität in der Bevölkerung vorbei.

Ja, es brennen Flüchtlingsunterkünfte. Es gibt Menschen, die voller Hass gegen die Ankömmlinge sind und jede Hemmung fallen lassen. Aber es gibt auch Beispiele, wo Misstrauen durch persönliche Begegnung ausgeräumt werden konnte. Die Hilfsbereitschaft vieler Menschen beruht darauf, dass sie sich von Schicksalen haben berühren lassen. Doch allein die Opferperspektive reicht nicht aus. Das betont vor allem der Aktivist Elias Bierdel, der sich mit seiner Organisation Borderline Europe für Flüchtlinge unter anderem in Griechenland einsetzt. "Diese Menschen sind eine Chance für dieses Land", sagt er. Auch Armin Laschet betont, man müsse zeigen, dass gut ausgebildete Flüchtlinge willkommen seien.

Reem hätte in Bayern keine Chance

Schon jetzt gibt es jede Menge Erfolgsgeschichten, die man erzählen könnte - aber leider passiert das nicht in der Runde. Anderthalb Jahre nach dem CSU-Slogan "Wer betrügt, der fliegt" scheint die Politik zumindest in Bayern nicht weitergekommen zu sein. Von Abschreckung spricht Thomas Kreuzer nicht, wenn es um die aktuellen Vorschläge geht, für Flüchtlinge aus den Balkanländern spezielle Aufnahmestellen einzurichten und die Asylverfahren zu beschleunigen. Aber die Absicht ist herauszulesen. "Die Menschen werden lediglich Sachleistungen erhalten", sagt er. Es könne ja nicht sein, dass die mehr Geld zur Verfügung hätten als ein Arbeiter in der Heimat. Und überhaupt hätten sie keinen Grund zur Flucht, sie verfolgten lediglich wirtschaftliche Interessen.

Anne Will grätscht an der Stelle dazwischen. "Nach ihrer Logik wäre Reem in eines ihrer Auffanglager gekommen und abgeschoben worden. Sie hätte keine Chance." Reem hat einen libanesischen Pass. Das Land gilt nicht als Bürgerkriegsland, weshalb sie wenig Hoffnung auf Bleiberecht hat. Nach einem Einspieler hatte Kreuzer gesagt, er finde das Mädchen, dass mehrere Sprachen spricht, großartig. Jetzt weicht er aus. "Ich kenne den Einzelfall nicht", sagt er. Außerdem könne man nicht jedem sagen, der sich in wirtschaftlicher Not befände, er könne nach Deutschland kommen. Nein, Reem hätte in Bayern keine Chance.

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