Türkei:"Erdoğans Kampf gegen den IS erweist sich als Vorwand"

Turkey's President Tayyip Erdogan looks on durin his visit to Northern Cyprus

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan

(Foto: Harun Ukar/Reuters)
  • Deutsche Politiker kritisieren das Vorgehen des türkischen Militärs im Nordirak.
  • Türkische Kampfjets hatten dort Stellungen der Terrormiliz IS, aber auch Lager der türkischen Arbeiterpartei PKK angegriffen.
  • Die PKK hat daraufhin den mit Ankara mühsam ausgehandelten Waffenstillstand aufgekündigt.

Die Türkei geht nicht entschlossen genug gegen die Terrorkämpfer des Islamischen Staates (IS) vor - so lautete lange Zeit der Vorwurf aus den USA und der Europäischen Union in Richtung Ankara. Das hat sich geändert, seit ein IS-Kämpfer in der türkischen Grenzstadt Suruç 31 Menschen bei einem Anschlag tötete. Schon zum zweiten Mal greift das türkische Militär nun Stützpunkte des IS an. Außenminister Mevlut Cavusoglu bestätigte außerdem, dass sein Land der US-geführten internationalen Koalition Angriffe gegen den IS von türkischem Boden aus erlaube.

Angriff auf PKK-Lager - Arbeiterpartei kündigt Waffenstillstand auf

Doch nun gibt es neue Kritik. Denn die IS-Stellungen waren nicht das einzige Ziel der türkischen Kampfjets. Sie griffen auch Lager der kurdischen Arbeiterpartei PKK an, mit der Präsident Recep Tayyip Erdoğan eigentlich einmal die Aussöhnung suchte. Es ist das erste Mal, dass die Türkei Kurden im Norden des Irak attackiert, seit im Jahr 2014 ein Waffenstillstand zwischen Ankara und der Gruppe bekanntgegeben wurde. Als Reaktion auf die Luftangriffe hat die PKK ihren Waffenstillstand mit der türkischen Regierung aufgekündigt. Er sei nach den Angriffen bedeutungslos geworden, erklärte die PKK auf ihrer Internetseite. Bereits zuvor war es immer wieder zu einzelnen Verstößen gekommen.

In Deutschland wird Kritik laut

"Die türkische Politik scheint einmal mehr auf Abwegen", kommentierte der außenpolitische Sprecher der SPD, Niels Annen, das Vorgehen der türkischen Armee. Zwar sei zu begrüßen, dass Ankara nach Jahren des Wegsehens endlich gegen den IS vorgehe und den USA Militärbasen zur Verfügung stelle. "Doch die zeitgleiche Bombardierung von Stellungen der PKK zeigt, dass Erdoğans Prioritäten offensichtlich weiter nicht der Bekämpfung des IS gelten", kritisierte Annen. "Im Ergebnis birgt Erdoğans Politik die Gefahr, den Krieg auszuweiten."

Auch der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour kritisiert: "Erdoğans angeblicher Kampf gegen den IS erweist sich als Vorwand, um gegen die Kurden vorzugehen, die ihm eine empfindliche Wahlniederlage zugefügt haben", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Er scheint zur Vorbereitung der Neuwahlen sogar einen Bürgerkrieg in Kauf zu nehmen."

Die Rolle der Kurden

Der Hintergrund: Die prokurdische liberale Partei HDP hatte in den Parlamentswahlen in der Türkei erstmals die Zehn-Prozent-Hürde übersprungen und Erdoğans Machtbasis empfindlich erschüttert. Der für Sonntag geplante große "Marsch des Friedens" in Istanbul wurde von den Behörden verboten.

Am Freitagabend war es in Istanbul bei Protesten gegen die IS-Miliz zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die Einsatzkräfte gingen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Teilnehmer der Kundgebung vor. Diese verurteilten das Attentat in Suruç und warfen der Regierung vor, IS-Kämpfer in der Türkei zu tolerieren. Kurz nach dem Attentat hatten PKK-Kämpfer zwei türkische Polizisten ermordet, denen sie eine Zusammenarbeit mit dem IS vorwarfen.

In der Hauptstadt Ankara kam es auch am Samstag zu Gewalt. Die türkische Polizei ist mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Anti-Kriegs-Demonstranten vorgegangen. Die Sicherheitskräfte drängten so etwa 1000 Demonstranten zurück, die sich versammelt hatten, um gegen die Militäraktionen in den Nachbarstaaten Syrien und Irak zu protestieren.

Kurdische Kämpfer spielen eine große Rolle im Krieg gegen den Islamischen Staat. Die türkischen Angriffe werfen die Frage auf, welcher Stellenwert den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) - einer Schwesterorganisation der PKK - beigemessen wird. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu erklärte nach den jüngsten Angriffen, vom IS befreite Gebiete im Norden Syriens sollen "freie Zonen" werden.

Die kurdische Arbeiterpartei PKK kämpft für einen unabhängigen kurdischen Staat, ihr Hauptquartier liegt in den nordirakischen Kandil-Bergen, wo hauptsächlich Kurden leben. Die EU und die USA stufen sie ebenso als Terrororganisation ein wie die türkische Regierung, mit der sich die PKK seit 1984 einen Guerillakrieg liefert.

Bundesregierung reagiert zurückhaltend auf die jüngsten Angriffe

Das Bundesverteidigungsministerium äußerte sich zurückhaltend: "Wir schauen uns die Situation an und werden sie dann bewerten", sagte eine Sprecherin. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sprach von einem zwiespältigen Vorgehen. "Die Türkei verhält sich ambivalent und teilt den westlichen Kampf gegen IS nur zum Teil", sagte er Reuters.

Zuvor hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die militärische Beteiligung der Türkei am Kampf gegen den IS begrüßt. "Es ist wichtig, dass sich auch die Staaten der Region gegen den IS-Terror engagieren und sich über Religionsgrenzen hinweg gegen diesen barbarischen Terror stellen", sagte die CDU-Politikerin der Bild. Dieser Kampf sei sehr ernst und werde noch lange ausgefochten werden müssen.

Die Linke-Außenexpertin Sevim Dagdelen warf von der Leyen vor, einem "Täuschungsmanöver" der türkischen Regierung aufzusitzen. "Es ist zynisch zu behaupten, die Türkei bekämpfe jetzt endlich den islamistischen Terror, wenn Erdogan zeitgleich Stellungen der Kurden im Nordirak angreifen lässt. Erdogan nutzt die Offensive, um eine Vergrößerung der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete zu verhindern", sagte Dagdelen Spiegel Online.

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