Tour-Sieger Christopher Froome:Buhrufe und Mittelfinger am Wegesrand

Le Tour de France 2015 - Stage Twenty

Steht ihm: Der Brite Chris Froome behält auch nach dem Anstieg nach L'Alpe d'Huez auf der vorletzten Etappe das gelbe Trikot.

(Foto: Doug Pensinger/Getty)
  • Zum zweiten Mal gewinnt Christopher Froome die Tour de France.
  • Längst nicht allen Fans gefällt das. Es könnte gut sein, dass das Patronat des Briten im Feld noch lange andauert.
  • Zu den Ergebnissen der Tour de France geht es hier.

Von Johannes Aumüller, L’Alpe d’Huez

Zwischendrin kommt Christopher Froome auf den Husten zu sprechen, kurz nur, aber die Art und Weise, wie er das tut, steht noch mal exemplarisch für die Tour de France 2015 und die ihr angeschlossenen Debatten. Der Brite sitzt auf dem Pressepodium, er lächelt viel, und mehr als einmal sieht es so aus, als gebe es gleich ein Tränchen. Es geht um seine Gefühle, um den Angriff des Kolumbianers Nairo Quintana in den finalen Kehren von L'Alpe d'Huez, bei dem Froome Angst hatte, seine Spitzenposition kurz vor Schluss der Tour doch noch einmal zu verlieren. Und zwischendrin also: der Husten.

Seit dem zweiten Ruhetag sei er leicht angeschlagen, berichtet Froome. Aber, fügt er gleich an, keine besonderen Medikamente, keine jener Ausnahmegenehmigungen, mit denen erkrankte Athleten eine Extraerlaubnis für ein normalerweise verbotenes Präparat erhalten können - und dabei lacht er, als sei es der absurdeste Gedanke der Welt, dass Froome und sein Sky-Team wegen ein bisschen Husten eine Ausnahmegenehmigung beantragen würden. Wer kommt denn auf so einen Gedanken?

Vielleicht alle diejenigen, die sich an die Tour de Romandie 2014 erinnern? Da machte Froome eine Bronchitis zu schaffen. Er nahm nach Erlaubnis des Rad- Weltverbandes ein entzündungshemmendes, eigentlich verbotenes Medikament, das die leistungsfördernde Substanz Kortison enthielt. Am Ende gewann er - und die Diskussionen waren da: über Froome, über Sinn, Unsinn und Missbrauch dieser Ausnahmegenehmigungen. Und jetzt lacht er also über dieses Thema.

Zum zweiten Mal nach 2013 ist Christopher Froome, 30, am Sonntagabend im Gelben Trikot auf die Pariser Prachtstraße Champs-Élysées eingefahren. Er will die beiden Jahre nicht vergleichen. Aber diesmal, sagt er, sei es schon etwas Besonderes. Wegen all der vielen Sachen, gegen die er habe ankämpfen müssen.

All die vielen Sachen, das meint aus seiner Sicht vor allem das Thema, bei dem ein kleiner Teil des Publikums am Straßenrand in der Tat nicht gut ausgesehen hat. Froome ist in seinen 15 Tagen im Maillot jaune mit einem Becher Urin beworfen worden, er ist angespuckt worden, er hat bei den Anstiegen manchen Mittelfinger gesehen und manchen Buhruf gehört.

Aber all die vielen Sachen, das meint eben auch das Thema, bei dem Froome und sein Sky-Team nicht gut ausgesehen haben. Es ist wichtig, noch einmal zwei Wochen zurückgehen, zum 14. Juli, der ersten Pyrenäenetappe hinauf nach La-Pierre-Saint-Martin, als Froome und Sky das Feld zerlegen wie weiland Lance Armstrong und US Postal in ihren besten Zeiten. Die Öffentlichkeit ist irritiert, sie will Erklärungen und Transparenz; Wissenschaftler fordern, dass Sky relevante Leistungsdaten wie Froomes VO2max-Wert veröffentlicht. Aber was machen Froome und Sky? Sie suggerieren nur ein wenig Transparenz, indem sie ein paar nicht belegbare und zudem wenig aussagekräftigen Daten präsentieren. Und Froome macht die Medien dafür verantwortlich, dass sich manche Zuschauer gegenüber ihm ungebührlich verhalten. Die Tour de France 2015, das ist eben auch eine Tour der Fragen. Und vor allem eine des Umgangs mit diesen Fragen.

Viele wichtige Fragen blieben unbeantwortet

Sportfachlich ist es durchaus bemerkenswert, wie Froome und Sky den Erfolg herausgefahren haben. Denn neben dem Anstieg nach La-Pierre-Saint-Martin war im Rückblick vor allem die erste hochgebirgslose Woche entscheidend. Allein auf der Wind-Etappe in Holland gewann Froome mehr Zeit gegenüber Quintana als die 1:12 Minuten, die er letztlich übrig hatte. Es dürfte nicht der letzte Triumph gewesen sein in Froomes verblüffender Vita. In Kenia wuchs er auf, für Kenia fuhr er seine ersten Rennen, ehe er die britische Staatsbürgerschaft der Eltern annahm. Erst mit 16 oder 17 habe er in einer Bar in Südafrika zum ersten Mal TV-Bilder von der Tour gesehen, berichtete er am Samstag. Er sattelte vom Mountainbike aufs Rennrad um, war ein Hinterherfahrer, litt an einer schweren Blutkrankheit. Als er davon genesen war, entwickelte er sich trotz unüblicher Maße (1,86 Meter/zirka 67,5 Kilogramm) zum Top-Klassementfahrer: Tour-Zweiter 2012, Tour-Siege 2013 und 2015.

Le Tour de France 2015 - Stage Twenty

Schwere Etappe für den Briten Chris Froome.

(Foto: Bryn Lennon/Getty)

Froome ist eine ungewöhnliche Figur. Einerseits tritt er meist sehr höflich auf, sehr ruhig, fast schon wie ein Gentleman. Nie würde er vor laufender Kamera in ein solches Gossenjargon verfallen, wie es sein einstiger Kapitän Bradley Wiggins beim Toursieg 2012 angesichts ähnlicher Transparenzdebatten tat. Aber andererseits hat er schon etwas von dem an sich, das bei früheren Spitzenfahrern zum Beinamen "Patron" führte. Das gilt im Verhältnis zu denen, die kritische Fragen stellen, aber auch im Feld.

Als Froome auf dem Weg nach La Toussuire technische Probleme hatte und Vincenzo Nibali just in diesem Moment attackierte, nahm er sich im Ziel den Italiener zur Brust - mit Worten, die hinterher niemand mehr zitieren wollte. Seine Zeit an der Spitze des Pelotons dürfte noch lange nicht vorbei sein. Wer weiß, wie lange er noch fahren wird, räsonierte Froome, der bald zum ersten Mal Vater wird, vielleicht gar noch mit 36, 37 oder 38 Jahren.

Irgendwann ist die Pressekonferenz in L'Alpe d'Huez vorbei, die Journalisten erheben sich, da ergreift Froome noch mal das Mikrofon. Hey guys, sagt er, noch ein Satz, da gebe es noch jemandem, dem er zu danken habe und das seien die Medien für die Arbeit: "Ihr wart schließlich auch drei Wochen weg von zu Hause." Da gibt's tatsächlich manche Reporter, die anfangen zu klatschen. Wer hätte das vor zwei Wochen gedacht, dass diese Tour so zu Ende geht? Ohne dass Sky irgendetwas neues offenlegt.

SZ Espresso Newsletter

Auch per Mail bestens informiert: Diese und weitere relevante Nachrichten finden Sie - von SZ-Autoren kompakt zusammengefasst - morgens und abends im SZ Espresso-Newsletter. Hier bestellen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: