5000 Meter der Frauen:Jede Sekunde vorn

European Athletics Junior Championships - Day Three

Alina Reh, 18.

(Foto: Joosep Martinson/Getty)

Die junge Alina Reh entthront Sabrina Mockenhaupt. Die 18-Jährige von der Schwäbischen Alb ist in vielen Punkten das genaue Gegenmodell zu der 34 Jahre alten, einstigen Seriensiegerin.

Die neue deutsche Meisterin trudelte ins Ziel, und dann stand die Mittelstreckenläuferin Alina Reh, 18, etwas ratlos auf der Bahn. Was sollte sie jetzt anfangen mit dem Applaus, der ihr da entgegenwehte? Irgendwann kam die Zweitplatzierte ins Ziel. Sabrina Mockenhaupt weiß, wie man die Zuschauer unterhält, nach 40 deutschen Meistertiteln hat man sich gewisse Grundfertigkeiten angeeignet. Mockenhaupt nahm Reh also an die Hand, reckte den Arm ihrer Konkurrentin nach oben, wie ein Boxer, der nach dem Kampf die Überlegenheit des Gegners preist.

Der 5000-Meter-Lauf der Frauen war das, was in der Fachsprache gerne als "Generationenduell" verhandelt wird. In der einen Ecke Alina Reh vom TSV Erbach, 18 Jahre alt, aufgewachsen in Laichingen auf der Schwäbischen Alb, seit einer Woche zweimalige U20-Europameisterin, rotblonde Locken. In der anderen Ecke Mockenhaupt, 34, bekannt für ihr forsches rheinisches Gemüt, im Frühjahr wurde sie am Fuß operiert, den Titel über 5000 Meter hatte sie aber noch immer mitgenommen, ununterbrochen seit 2001. Bis zu diesem Samstag. Da gewann Reh, in 15:51,48 Minuten. Sie hatte nicht nur Mockenhaupts Sieger-Abo beendet, sie hatte auch ihren eigenen deutschen Jugendrekord verbessert. Und: Sie hatte jede Sekunde des Rennens an der Spitze verbracht. Reh schwäbelte: "Ich kann halt am beschten, wenn ich von vorne laufe."

Mit der Mittel- und Langstrecke ist es kompliziert in Deutschland. Athleten für höhere Weihen lassen sich kaum auftreiben, man muss nicht nur mit Talent gesegnet sein, sondern auch Erfahrung besitzen. Auf dem mühevollen Weg an die Spitze biegen viele vorher um. Erschwerend kommt hinzu, dass der Deutsche Leichtathletik-Verband bis heute kein einheitliches Konzept anbietet. 2014 putschten 30 Kaderathleten gegen den Führungsstil ihres Vorgesetzten, Bundestrainer Wolfgang Heinig. Geändert hat sich wenig. Es sitzt immer noch jeder in seinem Verein und werkelt vor sich hin, wie er es für richtig hält. Über richtig und falsch gibt es dabei ungefähr so viele Auffassungen wie Dörfer auf der Schwäbischen Alb. Es ist wenig verwunderlich, dass auch Reh in ihrem Kosmos reifte, fernab der Leistungszentren.

Reh ist geprägt von der Alb. Das Wetter ist schroff, die Menschen sind naturverbunden, bodenständig. Die Mutter brachte Reh zum Laufen, gab sie in die Obhut von Michael Schwenkedel, einem Realschul-lehrer, der sie bis heute betreut. Schwenkedel sagt: "In Alina steckt ein enormer Wille." Reh sagt: "Wenn Ruhetag isch, denk' ich: Oooh, wie bring ich den Tag jetzt rum?" Vor allem steckt in ihr eine recht genaue Vorstellung, was ihr gut tut und was eher nicht. Leben an einem Stützpunkt? "Ich bin sehr heimatverbunden", sagt sie, "ich glaube, mir würde schnell das Umfeld fehlen." Höhentraining? "Ich trainier erstmal nur bei mir, da bin ich schön allein in meinem Wald." Studium? Duale Karriere? Reh hat im März ihr Abitur hinter sich gebracht, seit zwei Monaten wird sie im Supermarkt im Ort ausgebildet, ihre Mutter führt das Geschäft. "Ich hab' halt ein besonderes Verhältnis zu meiner Arbeitgeberin", sagt Reh, "wenn ich will, stellt sie mich frei."

Manchmal entfacht die Freude am Sport einen Sog, der den Athleten einfach mitzieht, so sehr, dass manche Beobachter in Nürnberg sich ein wenig sorgten. Reh hatte vor Nürnberg noch die U20-EM in den Knochen, sie gewann sowohl über 3000 als auch über 5000 Meter, das war ein zehrendes Programm. "Wir haben lange drüber gerätselt", sagt Reh, aber wenn sie auf Schwäbisch über Wettkampfstress plaudert, klingt selbst das strammste Programm angenehm. "Die Belaschtungsverträglichkeit hab' ich", sagt sie. Sie macht sich nicht allzu viele Gedanken über ihre Zukunft im Profibetrieb, über die Erwartungen, die sie jetzt umgeben, die Mittelstrecke bringt ja selten vergleichbare Talente hervor. Alina Reh würde sich nie als "Nachfolgerin" Mockenhaupts bezeichnen (Quelle: Mockenhaupt). Die Spiele in Rio kommen zu früh, und bis nach Tokio 2020, sagt Reh, "ist es noch ein weiter Weg". Nürnberg könnte ein erster Schritt gewesen sein.

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