Belletristik:Herz auf halbmast

Lesezeit: 4 min

Stefan Gärtner schickt in seinem Debütroman "Putins Weiber" einen glücklosen Helden auf eine sentimentale Reise.

Von Kristina Maidt-Zinke

Es dauert eine Weile, bis man merkt, warum man sich in diesem Roman prinzipiell angenehm aufgehoben fühlt, obwohl er von nichts Besonderem handelt und nicht einmal ein spektakuläres Pointenfeuerwerk zündet: Stefan Gärtner, geboren 1973, benutzt die vorreformatorische Rechtschreibung. Und zwar dergestalt, dass er nicht nur dem alten "daß" die Ehre erweist, sondern beispielsweise auch ganz selbstverständlich "morgen abend" schreibt, was erstens vollkommen korrekt und zweitens ästhetisch eine Wohltat ist.

Gärtner, der zehn Jahre Redakteur der Titanic war und bis heute für das Satiremagazin arbeitet, hat 2006 eine sprachkritische Hausputz-Anleitung veröffentlicht und 2014 den ersten und einzigen Eckhard-Henscheid-Ähnlichkeitswettbewerb gewonnen, dessen Namenspatron ja seinerseits als gnadenloser Geißler des Sprachverfalls gilt. In dieser Tradition verwurzelt, pflegt Gärtner einen unangestrengten Umgang mit der Hypotaxe, verwendet lustvoll Verbformen wie "lüde" und "glomm" und beherrscht die Zeichensetzung - die sinnvolle, die wir einmal gelernt haben - aus dem Effeff. Deshalb liest man sogar komplett redundante Sätze wie den folgenden noch gern: "Während Mareike ihm gegenüber Platz nimmt und sich geschäftsmäßig sortiert, muß Putin daran denken, daß das letzte, was er damals von ihr gesehen hat, ihr Ausschnitt war, und wie um den Kreis zu schließen, läßt er, während er versucht, durch ruhiges Atmen seinen Puls zu bremsen und so etwas wie Contenance zu gewinnen, den Blick auf ihrer Brust ruhen, von der er nur das obere Viertel kennt (na ja: mal gesehen hat) und die sich heute artig hinter einer zartrosa Bluse verbirgt."

Dieses Buch im Stil der Neuen Frankfurter Schule wirkt wie Henscheid mit Intimrasur

Mareike ist erstens eine Frankfurter Psychotherapeutin und zweitens eine Verflossene von Putin. Putin wiederum ist nicht der aktuelle Herrscher aller Reußen, sondern Gärtners Romanheld, dessen Persönlichkeit, so steht zu vermuten, der des Autors in jüngeren Jahren ein wenig ähnelt. Putin heißt eigentlich Waldemar Winkelhock, und dreimal darf der geneigte Leser raten, ob er es hier mit einem willensstarken, entschlussfreudigen Macher-Typen zu tun hat. Freundlich, wie es seine Art ist, liefert der Autor die Auflösung frei Haus: "Wie alle schwachen Menschen glaubt Putin an die Winke des Schicksals, denn was das Schicksal entscheidet, braucht nicht selbst entschieden zu werden."

Auch Bill Murray begibt sich im Film "Broken Flowers" auf die Suche nach seinen Exfreundinnen. (Foto: ARD Degeto)

So hat er sich denn auch seinen Spitznamen, abgeleitet von einem druckfehlerbedingten Zeitungsauftritt des russischen Ministerpräsidenten als "Waldimir Putin", mehr oder weniger widerstandslos zuteilen lassen. Eine halbherzige Autoren-Existenz als Gebrauchstexter und Fernsehkolumnist passt zu diesem weichgezeichneten Profil, ebenso die Tatsache, dass ausgerechnet ein schmierig-dubioser Dr. Raimund aus Wien, den wir nur telefonisch kennenlernen, immer wieder vergeblich versucht, den genialen Schriftsteller in ihm zu wecken.

Aber der Roman, Gärtners erster (auch er hat sich offenbar lange nicht getraut), heißt ja "Putins Weiber", was nahelegt, dass nicht Fragen des beruflichen Fortkommens im Zentrum der Handlung stehen, sondern vielmehr das, was hier im nostalgisch wiederbelebten Sound der Neuen Frankfurter Schule als "Damengedöns" bezeichnet wird. Im dezidiert uneigentlichen Vokabular jener Herren waren Frauen, je nach Perspektive und Pegelstand, entweder Damen oder Weiber. In Frankfurt hat auch Putin Winkelhock, zu dem dieser Jargon nicht recht passen will, vor seinem Umzug nach Bielefeld gelebt, und dort spielt der Teil der Geschichte, den Gärtner in der dritten Person berichtet, während die Bielefelder Episoden in der Ich-Form erzählt werden. Das ist nicht ganz leicht zu durchschauen, und es kommt sogar noch unübersichtlicher - doch eins nach dem anderen.

In Frankfurt also wird Putin von seiner Freundin Vera, mit der er sich in einer halbherzigen Beziehung eingerichtet hatte, unverhofft um eine Auszeit ersucht, verbunden mit der Lizenz zum Fremdgehen - aus Paritätsgründen, denn Vera hat es bereits getan. Freund Georg, Typ pragmatischer Lebenshelfer, empfiehlt dem Geschockten als Therapie die Suche nach der verlorenen Zeit, respektive nach verpassten Chancen in der Vergangenheit. Die infrage kommenden Frauen, es sind nur vier, tragen sämtlich Vornamen, die mit M beginnen: Manuela, Mareike, Marie und Mimi. Sind sie Inkarnationen einer Madonnen-Fantasie, der Vera, die Wahre, als Verkörperung der schwierigen Realität gegenübersteht? Wie dem auch sei, der Held begibt sich auf die Schwundstufe dessen, was im mittelalterlichen Epos die Queste gewesen wäre - und bleibt natürlich glücklos, was die Wiederbelebung alter Gefühle betrifft.

Die erste M-Frau lässt sich nicht orten, die zweite hat als Seelenklempnerin zu viel Durchblick, die dritte ist als Ehefrau und Mutter in der Eifel gelandet, die vierte zunächst auf einer Internet-Pornoseite und dann in Finnland. Auf seinem Recherchetrip zwischen Frankfurt, Prüm und Helsinki begegnet Putin, dessen Kolumnen-Redakteurin übrigens Maria heißt, auch noch einer netten Studentin namens Mona, aber die Vergegenwärtigung der Tatsache, dass das Wort auf italienisch "Möse" bedeutet, wäre für einen jungen Mann seines Schlages viel zu frivol, und so schweigt auch der Autor darüber.

Wie überhaupt die ganze Kneipen-Philosophiererei und Küchentisch-Plänkelei nach dem Vorbild der unsterblichen "Vollidioten" in diesem späten Neuaufguss irgendwie kraftlos, ja kastriert wirkt, obwohl an Geistreicheleien kein Mangel herrscht. An einer Stelle wird über Intimrasuren gescherzt, und sogleich denkt man: Ja, genau - hier haben wir eine Art intimrasierten Henscheid vor uns. Was als Fantasie schon wieder witziger ist als alles, was Gärtner an Szenen, Situationen und Dialogen aufbietet. Das liegt aber nicht nur am Epochenwandel, sondern auch daran, dass der Autor sein eigenes Projekt halbherzig betreibt: Er möchte einerseits satirisch schreiben, andererseits gepflegt sentimental, ein wenig poetisch gar und außerdem noch formal raffiniert - was ihn dazu drängt, die Erzählperspektive zwischendurch ziemlich sinnfrei an Vera in Berlin weiterzugeben oder, wie im Schlusskapitel, an einen eingeflogenen Finnen mit Kaurismäki-Allüre, der am Grab der früh verstorbenen Mimi auf Mareike trifft und sich zart mit ihr anfreundet.

Vieles deutet darauf hin, dass dieser Matti, der mit Putins Weibern den Anfangsbuchstaben teilt, auch so ein Zauderer ist wie Putin. Und wie Stefan Gärtner, der womöglich ein sehr guter Romanschriftsteller wäre, wenn er nur einen tragfähigen Stoff hätte und mehr Mut zum Risiko.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: