"Cheerleader" von OMI:Von wegen deutsch!

Omi

Der jamaikanische Sänger OMI freut sich über den Erfolg von "Cheerleader". Er sagt aber auch: "Gäbe es meinen Song nicht, gäbe es auch keinen Remix."

(Foto: Rebecca Cabage/AP)
  • Die Platzierung des Liedes "Cheerleader" auf Platz eins der amerikanischen Billboard-Charts wird als deutscher Erfolg gefeiert.
  • Allerdings kann der Song den Deutschen nur schwer zugeschrieben werden. Der Hamburger Felix Jaehn hat "Cheerleader" zwar remixt, aber er ist weder Sänger noch Komponist.
  • Der Fall ist ein weiteres Beispiel für die Aneignung schwarzer Musik durch Weiße.

Von Jan Kedves

In der zweiten Woche steht "Cheerleader" nun auf Platz eins der amerikanischen Billboard-Charts, und in Deutschland, wo der eingängige Song des jamaikanischen Sängers OMI bereits im Februar die Charts anführte, ist die Freude riesig: endlich mal wieder eine deutsche Nummer eins in den USA! So zumindest jubelt es quer durch die Presse, in Gala, Welt, Express und auch in der SZ, und nie fehlt der Hinweis darauf, dass es so etwas seit 1989 nicht mehr gegeben habe: seit Milli Vanillis "Blame It on the Rain".

Damals kam freilich heraus, dass die zwei Tänzer in Radlerhosen, die zu den Milli-Vanilli-Hits die Lippen bewegten, nicht die Sänger waren, die Frank Farian im Studio aufgenommen hatte. Und auch am Jubel um "Cheerleader" ist etwas faul - die Behauptung nämlich, "Cheerleader" sei vor allem der Hit von Felix Jaehn aus Hamburg.

Am vergangenen Wochenende war diese Behauptung etwa in dieser Zeitung zu lesen, in einem Profil über den 20-jährigen DJ und Produzenten. Es stimmt, dass Jaehn "Cheerleader" remixt hat, das heißt: Er hat dem Song neue, schnellere Beats verpasst. Aber reicht das, um "Cheerleader" als deutschen Erfolg zu verbuchen?

Felix Jaehn ist weder Sänger noch Komponist von "Cheerleader". Von ihm sind nur die Beats

Jaehn hat das bei YouTube inzwischen 194 Millionen mal angeklickte Stück nicht geschrieben - einer der vier jamaikanischen Autoren von "Cheerleader" ist Sly Dunbar, eine Hälfte des Produktions-Duos Sly & Robbie, das in den Achtzigern Grace Jones, Bob Dylan und Mick Jagger mit federnden Reggae- und Dancehall-Rhythmen belieferte.

Jaehn hat den Song auch nicht aufgenommen, sondern seinen Remix auf Grundlage der 2012 in Kingston aufgenommenen Originalversion erarbeitet. Erschienen ist die Single bei einem amerikanischen Label.

Jaehns Remix klingt auch nicht "deutsch" im Sinne von Humpta-Humpta oder nordfriesischem Volkslied: Er ist im international gerade angesagten Elektro-Stil gehalten, der "Deep House" genannt wird, auch wenn er viel reduzierter und eisiger klingt als jener von Jazz, R&B und Funk beeinflusste Deep House, der zu Beginn der Neunzigerjahre von afroamerikanischen Produzenten wie Chez Damier oder Romanthony entwickelt wurde.

Was also ist an "Cheerleader" deutsch? Deutsch ist vor allem, so scheint es, der Eifer, mit dem die Leistung der jamaikanischen Beteiligten kleingeredet und der Beitrag aus Hamburg aufgebauscht wird. Spiegel Online etwa schrieb letzte Woche, "Cheerleader" sei im Original eine "eher lahme Pop-Reggae-Nummer", doch OMI, der bürgerlich Omar Samuel Paisley heißt und 28 Jahre alt ist, könne sich glücklich schätzen, "dass sich im fernen Deutschland ein junger DJ des Songs annahm und einen Remix daraus formte, dessen Beats nun gerade waren".

"Gäbe es den Song nicht, gäbe es auch keinen Remix"

Mit anderen Worten: Der Deutsche hat den Jamaikaner mal ordentlich auf Zack gebracht. OMI, der Jaehn noch nie getroffen hat und den Remix auch nicht selbst in Auftrag gegeben hat (so etwas machen meist Manager bei den Labels), sagte letzte Woche in einem Interview mit der New York Times: "Es war von Anfang an ein guter Song. Gäbe es den Song nicht, gäbe es auch keinen Remix."

Die Leistung der Beteiligten aus Jamaika wird kleingeredet und der deutsche Beitrag aufgebauscht

Man könnte nun vielleicht von einem ungewöhnlichen Einzelfall sprechen - doch dafür passt der Erfolg von "Cheerleader" zu gut ins Panorama der aktuellen Diskussionen in den USA um cultural appropriation, um Aneignung von Kulturgut. Die Geschichte der Rock- und Popkultur ist durchzogen von Aneignungsbewegungen, die meist entlang struktureller Diskriminierungen und Rassismen verliefen. Die Innovatoren blieben benachteiligt, berühmter wurden andere.

Rock'n'Roll wurde von weißen Stars groß gemacht, die erfolgreichsten Disco-Hits sangen ABBA und die Bee Gees. Irgendwann erschien das so normal, dass man sich darüber selbst in der afroamerikanischen Community kaum noch aufzuregen schien.

Vielleicht lag das auch daran, dass mit Hip-Hop in den Achtzigern dann erstmals ein Stil entstand, der auch nach seiner breiten Etablierung weiterhin vor allem den Schwarzen gehörte - Künstlern, Produzenten, Labelbossen.

Doch in letzter Zeit werden im schwarzen Amerika Fragen der kulturellen Aneignung wieder verstärkt diskutiert. Zum Beispiel wurde die weiße australische Rapperin Iggy Azalea, die sich einen afroamerikanischen Südstaaten-Akzent antrainiert hat, im letzten Jahr von Chuck D, dem Chefideologen der Polit-Rapper Public Enemy, angegangen, nachdem sie es für angebracht gehalten hatte, das hochtabuisierte Wort "Nigger" zu verwenden.

Und auch, dass Kylie Jenner, die jüngste Tochter von Caitlyn (ehemals Bruce) Jenner, vor Kurzem öffentlich "Cornrows" trug - eine afroamerikanische Spezialität der Haarflechtung -, sorgte in Teilen der Community für Unmut.

In den USA weiß kaum jemand, dass Techno und House eigentlich amerikanische Musikstile sind

Die Aneignung von House und Techno, jener einst in schwarzen Vierteln von Chicago und Detroit entwickelten Tanzmusikstile, findet noch einmal vor einem komplexeren Hintergrund statt: Amerikanische House- und Techno-Produktionen haben es in den USA nie in die Charts geschafft, sie blieben dort immer "underground".

Der Erfolg für die Produzenten kam erst über den Umweg über Europa, wo ihre Musik auf Raves und in Clubs begeistert aufgenommen wurde. Wenn jetzt ein in Deutschland angefertigter Deep-House-Remix in den USA auf Platz eins steht, erzählt das also eine geradezu bizarre, hochkomplexe Geschichte von Appropriation und Re-Import.

"Die Ironie ist, dass so vieles von dieser Musik tief in schwarzer amerikanischer Musik verwurzelt ist, und doch haben viele Amerikaner, die nicht Teil der Szene sind, keine Ahnung davon, dass es schwarze Musik ist - sie halten sie für europäisch", sagt der New Yorker Musikkritiker Michaelangelo Matos, der unter anderem für Village Voice schreibt und soeben bei Harper Collins mit "The Underground Is Massive" eine ausführliche Geschichte der Dance-Kultur in Amerika vorgelegt hat.

Matos' Einschätzung nach denken die meisten Amerikaner, die aktuell auf "Deep House" stehen - also etwa auf den Felix-Jaehn-Remix von "Cheerleader" -, eben nicht an Chicago und Detroit, sondern in ihrem Verständnis steht das Wörtchen "deep", so Matos, einfach für "nicht oberflächlich".

Dabei ist genau solch ein geschichtsvergessener Umgang mit über Jahrzehnte geprägten Musikstilen und Terminologien oberflächlich. So oberflächlich wie die Nachricht in den deutschen Medien, mit "Cheerleader" gebe es in den USA endlich mal wieder eine deutsche Nummer eins.

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