Sachverständigenrat:Wirtschaftsweise streiten über Zukunft des Euro

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Die Fünf Weisen mit ihrem Chef Christoph Schmidt (Mitte). (Foto: imago/IPON)
  • Europa müsse aus Griechenland lernen, und Wirtschaftliches gemeinsam politisch regeln, etwa mit einem Euro-Finanzminister - so die Forderung von Finanzminister Schäuble.
  • Vier der Wirtschaftsweisen warnen vor dieser Idee. Nur einer, Peter Bofinger, glaubt dass die Währungsunion eine politische Führung braucht.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wie weiter mit Griechenland und der Euro-Zone? Über diese Fragen streiten nicht nur die 19 Euro-Staaten, sondern auch die Sachverständigenrat der Bundesregierung, die Wirtschaftsweisen.

Das Team der fünf Top-Ökonomen präsentierte sich am Dienstag bei der telefonischen Vorstellung seines Sondergutachtens "Konsequenzen aus der Griechenland-Krise für einen stabileren Euro-Raum" nicht nur gespalten in der Ansicht über die Ausrichtung Europas und der Wirtschafts- und Währungsunion, sondern auch mehrheitlich in einer Außenseiterposition.

Vier der fünf Wirtschaftsweisen warnten ausdrücklich "vor weiteren, voreiligen Integrationsschritten wie die Einrichtung einer Fiskalkapazität, einer europäischen Arbeitslosenversicherung oder einer Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum". Die Übertragung potenzieller Kosten auf die Gemeinschaft ohne einen entsprechenden Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten führe kurz- oder mittelfristig "zu erhöhter Instabilität".

Damit lehnt der Sachverständigenrat mehrheitlich ab, was Finanzminister Wolfgang Schäuble und zuletzt Frankreichs Staatspräsident François Hollande nachdrücklich fordern: die weitere politische Integration interessierter Euro-Länder, die in einer Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone mündet, inklusive Euro-Finanzminister, Euro-Budget und Euro-Parlament. Der fünfte Wirtschaftsweise, Peter Bofinger, distanzierte sich von den Kollegen. "Das Gutachten geht in die falsche Richtung", sagte er. "Ohne politische Integration bleibt die Euro-Zone ein instabiles Gebilde".

Wann ist eine Union stabil?

Im Kern streiten die fünf Professoren - genau wie die verantwortlichen Politiker - um eine Weichenstellung: Soll die Europäische Union, deren Grundlage der europäische Binnenmarkt ist, von rein marktwirtschaftlichen Faktoren wie Wettbewerbsfähigkeit oder Fiskalität dominiert werden? Oder soll sie politisch gestaltet werden?

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Der Abweichler Bofinger geht davon aus, dass die Wirtschafts- und Währungsunion nur stabil agieren kann, wenn sie politisch geführt wird. Er teilt damit die Mehrheitsmeinung in Deutschland. Bofinger argumentiert, dass die jetzige Konstruktion der Euro-Zone faktisch keine Stabilität bieten kann, weil der gemeinsamen Geld- und Währungspolitik 19 nationale Haushaltpolitiken entgegenstehen. Dass die Währungsunion dennoch hält, sei der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken, die mit unorthodoxen Maßnahmen wie Aufkaufprogrammen von Staatsanleihen in den Markt eingreift - und damit die Aufgabe erledigt, die sich Politiker scheuen anzupacken.

Bofinger meint: Wer fordere, dass die EZB die Eingriffe in den Markt beende "und nicht dauerhaft die Ausputzerrolle übernimmt", müsse auch sicherstellen, dass die Politik beginne, die Integration voranzutreiben. Das bedeute, es müssten nationale Kompetenzen europäisch gebündelt werden. Es müsse einen Finanzminister mit Durchgriffsrechten geben, einen Haushalt und demokratische Kontrolle.

Jenseits von Bofinger argumentieren die Wirtschaftsweisen streng marktkonform. Sie regen an, der Währungsunion einen langfristigen Ordnungsrahmen zu geben, "der dem Leitgedanken der Einheit von Haftung und Kontrolle folgt". Die Top-Ökonomen wollen unter anderem einen Mechanismus für geordnete Staatsinsolvenzen einführen. Investoren müssten sich im Fall einer Staatspleite an den Verlusten beteiligen - und würden gezwungen, das Ausfallrisiko von Staatsanleihen vorher genauer abzuschätzen. Als letzte Möglichkeit sollten Staaten die Währungsunion verlassen müssen. Christoph Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen, glaubt, dass dadurch die Euro-Zone sicherer wird.

Investoren seien eher die Ursache, nicht die Lösung von Krisen

Bofinger geht vom Gegenteil aus. Eine Insolvenzordnung für Staaten mache die Gemeinschaft instabiler, weil Investoren kaum mehr Anleihen jener Länder kauften, die schwächer seien. Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der nicht zu den Fünf Weisen zählt, bezeichnete die Forderung nach der Insolvenzordnung für Staaten als "überraschend und wenig realistisch". Die europäische Krise der vergangenen Jahre habe gezeigt, "dass Investoren und Finanzmärkte eher die Ursache und nicht die Lösung von Finanzkrisen sind".

Fratzscher kritisierte zudem die Forderung nach einem Austrittsmechanismus aus dem Euro als "höchst gefährlich und kontraproduktiv". Er würde den Euro "in nicht viel mehr als ein System fixer Wechselkurse verwandeln". Die spekulativen Attacken auf Italien und Spanien 2012 hätten gezeigt, wie kostspielig und schädlich es ist, wenn Finanzmärkte auf einen möglichen Austritt einzelner Länder spekulieren."

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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