Kommentar:Mehr Qual als Wahl

Peking oder Almaty? Für den IOC-Chef Bach ist das keine Frage von Menschenrechten. Wenn Diktaturen zwei Wochen Demokratie spielen, ist das fürs IOC schon okay.

Von Claudio Catuogno

Die Wege des IOC sind unergründlich, aber eines darf man behaupten im Lichte der aktuellen Olympia-Debatten: Nie waren die Chancen so gut, die Spiele nach Deutschland zu holen! Aber, ach, München ist ja leider nicht mehr im Rennen für den Winter 2022. Das Volk wollte nicht. Weshalb es korrekterweise heißen muss: Nie wären die Chancen so gut gewesen, die Spiele nach Deutschland zu holen. Stattdessen hat die Ringe-Bewegung am Freitag nun mehr die Qual als die Wahl: Peking oder Almaty? China oder Kasachstan?

Auch für den deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach ist das eine "sehr schwierige Wahl". Nicht wegen des Menschenrechtsdingsbums, das die Vergabe an autokratische Regime mit sich bringt - sondern weil, wie er sagt, "zwei unterschiedliche Konzepte" angeboten werden. Die Chinesen wollen die Sportstätten der Sommerspiele 2008 wieder herrichten, bloß mit Eis auf dem Fußboden, das klingt nach Nachhaltigkeit und verträgt sich gut mit Bachs "Agenda 2020". Dafür fällt im Großraum Peking so gut wie nie Schnee, aber das kriegt man ja problemlos mit Schneekanonen hin. In Almaty wiederum würde ein traditionsreiches Winter-Resort "neu belebt". Gut, es gäbe wohl viel zu bauen und zu modernisieren, aber das muss man ja nicht gleich so vermasseln wie 2014 in Sotschi, wo viele Hotels schon baufällig waren, bevor sie überhaupt eröffneten.

Putin empfiehlt Blatter für den Nobelpreis - warum nicht Bach?

Menschenrechtsfragen hingegen sind in Bachs olympischer Weltsicht traditionell nicht so das Problem. Auch seinem reformierten IOC reicht es, wenn Diktaturen mal für zwei Wochen Demokratie spielen. Das klingt dann so wie in Bachs jüngstem Interview mit der dpa: "Die Olympische Charta und der Gastgebervertrag müssen vollumfänglich für die Dauer der Spiele Anwendung finden. Dies gilt für alle Teilnehmer und im Zusammenhang mit allen direkt Olympia-bezogenen Aktivitäten." China und Kasachstan hätten das "garantiert".

So lange Olympia sich diese Widersprüche leistet, bleibt es schwierig, die freie Welt für die Spiele zu begeistern. In Boston kippte die Stimmung zuletzt auch deshalb, weil bekannt wurde, was ein ehemaliger Gouverneur für Lobbyarbeit bekommen sollte: 7500 Dollar pro Tag. Kostspielige Landschaftspflege schienen sie selbst beim Favoriten Boston für nötig zu halten - allen IOC-Reformen zum Trotz. Und trotzdem hat Bach natürlich recht, wenn er den Eindruck zurückweist, dass sich nur noch Diktaturen für Olympia interessieren: Paris, Rom, Hamburg, Budapest, Toronto, Los Angeles, das ist nun der illustre Interessentenkreis für 2024. Von Sommerspielen erhoffen sich immer noch viele Städte einen Entwicklungsschub.

Das widerspricht aber nicht dem Eindruck, dass der Sport sich ein Paralleluniversum geschaffen hat, in dem er seine Werte meistbietend verschachert. Russlands Präsident Wladimir Putin hat Fifa-Chef Sepp Blatter gerade für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und das nicht als Witz gemeint. Da wäre es doch gelacht, wenn sich in Peking oder Almaty nicht jemand fände, der bald auch Thomas Bach für die Ehrung ins Spiel bringt.

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