Tennis:Wie vor Beckers Zeiten

ATP-Turnier in Hamburg

Nächste Enttäuschung: Deutschlands noch bester Profi Philipp Kohlschreiber unterliegt beim Hamburger Turnier dem Franzosen Benoit Paire.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Die Etablierten kämpfen um Form und Fitness, bei den Jungen drängt sich außer dem 18-jährigen Alexander Zverev keiner auf.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Wie tief das deutsche Tennis gesunken ist, wurde vor rund einer Woche publik. Erstmals seit dem 13. Mai 1985 gab es keinen Deutschen mehr unter den Top 40 in der Welt. Bester Mann war damals ein gewisser Hansjörg Schwaier auf Rang 48 der Weltrangliste. Zwei Monate später war alles anders: Boris Becker stieg mit dem ersten Wimbledon-Sieg von Platz 53 auf 31, es folgten jene Jahre, in denen Tennis zum Volkssport in der Bundesrepublik wurde. Nun, beim Turnier am Hamburger Rothenbaum, waren es nur noch drei Deutsche, die sich unter die 32 Profis mischten. Philipp Kohlschreiber, 31, derzeit 40. in der Welt, ist aktuell der Beste. Ähnlich wie Florian Mayer, 31, der wegen einer Schambeinentzündung mehr als ein Jahr nicht spielen konnte, geht er aber langsam dem Ende seiner Karriere entgegen; wobei Mayer am Montag immerhin die erste Runde mit einem 4:6, 6:2, 6:2-Sieg über den spanischen Qualifikanten Albert Montanes überstand. Nur der Hamburger Lokalmatador Alexander Zverev, 18, ist einer, der mittelfristig für ein neues Hoch sorgen könnte. Im vergangenen Jahr kam er in seiner Heimatstadt überraschend ins Halbfinale.

Kohlschreiber und Zverev scheitern in Hamburg schon in der ersten Runde

Doch am Dienstag ging es zunächst mal weiter abwärts. Für Kohlschreiber, der zuletzt mit schweren Losen in Australien, Paris, Wimbledon und auch in Halle nie über die zweite Runde hinauskam, war Schluss, bevor die Kämpfe richtig losgingen. Und diesmal war es kein Großer, an dem er scheiterte: Der Franzose Benoit Paire, 26, liegt gerade mal auf Rang 285 der Welt. Allerdings hat Paire offenbar einen Lauf. Beim Turnier in Bastad (Schweden) siegte er gerade im Finale 7:6, 6:3 gegen den 21. der Weltrangliste, Tommy Robredo (Spanien). Und weil der Franzose auch in Hamburg "aggressiv und couragiert spielte, mit dem einen oder anderen Stöppchen", so Kohlschreiber, hatte der inzwischen in Kitzbühel lebende Profi es schwer, sich als "sehr solider Spieler" zu präsentieren. Als solchen hatte ihn mal der frühere Davis-Cup-Teamchef Niki Pilic gelobt. In einer Stunde und 33 Minuten machte Kohlschreiber so viele Fehler, dass er sang- und klanglos ausschied, 3:6, 6:3, 1:6. Oder, wie er selbst sagte: "Ich habe ihm geholfen."

Selten hat der Rechtshänder ein so schlechtes Timing gehabt wie in Hamburg. Und das hatte nichts damit zu tun, dass mal wieder das Dach auf dem Centre Court zugezogen wurde, weil es regnete. Ein Thema, dass besonders Turnierdirektor Michael Stich regelmäßig auf die Nerven geht. Kohlschreibers Versuch, mit seinem Manager, Trainer und Freund Stephan Fehske seine Karriere noch mal neu durchzuchecken - von den Schlägersaiten bis zur glutenfreien Ernährung und seinen Schlägen - hat bislang nicht gefruchtet. Der Weltranglistenplatz 16, den er 2012 belegte, ist inzwischen wesentlich weiter weg als ein Rothenbaum-Turnier ohne Regen. Immerhin bekräftigte Kohlschreiber, dass er sein Ende im Tennis noch nicht sehe. Noch immer, verriet er, habe er den Ehrgeiz, noch mal zu den Top Ten zu gehören und sämtliche deutsche Turniere zu gewinnen; es fehlen noch Stuttgart und Hamburg. Womöglich hat der sonstige Realist Kohlschreiber nur Träume beschrieben, die nicht mehr wahr werden.

Der Anfang einer großen Karriere, die ihm zumindest der ehemalige Weltranglisten-Erste Rafael Nadal aus Spanien zutraut, ist aber auch für Alexander Zverev mit Hindernissen verbunden. In Hamburg hatte er wenig Glück mit der Auslosung: Er traf in der ersten Runde auf den Spanier Robredo, dem er bereits im Halbfinale von Bastad unterlegen war (3:6, 4:6). Am Dienstag verlor Zverev erneut, diesmal immerhin erst nach drei Sätzen, 7:6, 4:6, 2:6. Der 1,98-Meter-Schlaks musste gegen den Sandplatzspezialisten über kraftraubende Grundlinienrallyes gehen, "im zweiten Satz bin ich müde geworden", gab Zverev zu. Im Gegensatz zum Vorjahr, als er unbekümmert ins Halbfinale vorgedrungen war, kennen ihn die Gegner nun auch. Dennoch hat das in der Weltrangliste auf Rang 98 angekommene Talent gute Perspektiven. Er findet selbst, er sei "physisch stärker und konstanter". Es spricht viel dafür, dass er dauerhaft der Nachfolger des Hamburgers Tommy Haas wird.

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