Das Deutsch des aus Tuxpan im Bundesstaat Veracruz stammenden Jürgen Damm kommt etwas rostig daher. Aber warum nörgeln? "Meine Name ist Jürgen Damm", sagt er auf Bitten einer charmanten mexikanischen TV-Moderatorin namens Karen Manzano ("kannst du uns was auf Deutsch sagen?"), ehe er sich, grammatikalisch korrekt, vom Publikum verabschiedet: "Auf Wiedersehen!"
Andererseits: Ein "Gestatten, Damm. Jürgen Damm" wäre viel angebrachter gewesen. Erstaunlicherweise kann der Profi des mexikanischen Erstligisten Tigres UANL noch immer als ein gut gehütetes Geheimnis der Fußballwelt durchgehen - obwohl er diverse Superlative für sich in Anspruch nehmen und womöglich, mit gerade einmal 22 Jahren, Geschichte schreiben kann: Für Tigres steht an diesem Mittwoch die erste von zwei Finalpartien der Copa Libertadores an. Sollte der Klub zum ersten mexikanischen Sieger der Historie werden - bislang hat das nordamerikanische Land bei dem ursprünglich für südamerikanische Teams reservierten Wettbewerb nur zwei Finalisten hervorgebracht -, wäre Damm nach Recherchen des iberoamerikanischen Statistikpapstes Mr. Chip der erste Libertadores-Gewinner mit deutschem Pass.
Tigres empfängt in der südamerikanischen Variante der Champions League zunächst den argentinischen Kult-Verein CA River Plate, der den Wettbewerb bereits zwei Mal (1986, 1996) gewann. Das Rückspiel findet kommende Woche im Monumental von Buenos Aires statt, einer von Gegnern überaus gefürchteten Stätte. Gleichwohl sagt Tigres-Präsident Alejandro Rodríguez: "Wir sind die Favoriten."
Zu den Faktoren, die den Optimismus der sogenannten Katzen aus dem Bundesstaat Nuevo León begründen, zählt der Halbfinalsieg von Tigres gegen Internacional de Porto Alegre aus Brasilien, wo der alternde argentinische Regisseur Andrés D'Alessandro (ehedem Wolfsburg) das Trikot mit der Nr. 10 trägt und der auch von Bayer Leverkusen umworbene Chilene Charles Aránguiz zu einem von Europas Topklubs begehrten Leistungsträger gereift ist. Nach einer 1:2-Niederlage in Brasilien konterte Tigres, auch dank Damm, der beim 3:1 an allen drei Toren beteiligt war.
Damm rief damit in Erinnerung, dass er schon länger als große Hoffnung der Mexikaner gilt. Der Rechtsfuß ist so etwas wie die mexikanische Antwort auf den Waliser Gareth Bale. Einer mexikanischen Studie zufolge, die mit Unterstützung des Weltverbandes Fifa zustande kam, ist der Profi von Real Madrid der einzige, der mit dem Ball am Fuß schneller ist (36,9 km/h) als Jürgen Damm (35,23 km/h). Der beste Bundesligaprofi war angeblich Franck Ribéry (30,7 km/h). Der 1,87 Meter große Deutsch-Mexikaner Damm darf also als der gegenwärtig schnellste Rechtsaußen der Welt durchgehen - Bale ist Linksfuß.
Einmal lief er schon für Mexikos Nationalelf auf
Die andere angebliche Rekordmarke ist seine Ablösesumme: Zu Beginn des Jahres soll Damms damaliger Verein Pachuca acht Millionen US-Dollar ausgeschlagen haben, die der italienische Serie-A-Klub AS Rom für Damm geboten haben soll. Der Grund: Dank der millionenschweren Finanzspritzen von Cemex, der größten Zementfabrik Lateinamerikas, konnte Tigres die Italiener in Grund und Boden bieten und zahlte letztlich zehn Millionen Dollar - mehr als je für einen mexikanischen Spieler in Mexiko bezahlt wurde.
Derlei ist unter anderem deshalb möglich, weil Mexiko Firmen anbietet, namhafte Sponsoren-Beträge von der Steuer abzusetzen - bei einem multinationalen Konzern wie Cemex, der 2014 mal eben 15,7 Milliarden US-Dollar umsetzte, kommt da ein größerer Betrag zusammen. Erst vor wenigen Wochen rieb sich die Fußballwelt deshalb verwundert die Augen, als plötzlich der französische Nationalspieler André-Pierre Gignac, 29, bei Tigres anheuerte. Er hatte in der vergangenen Saison immerhin 21 Tore für Olympique Marseille erzielt und schoss nun bei seinem Libertadores-Debüt gegen Internacional Porto Alegre prompt sein erstes Tor für Tigres, nach einer Flanke des überaus freundlichen und wissbegierigen Herrn Damm.
Denn auch wenn er den üblichen Impulsen junger Fußballprofis folgt und X-Box spielt, Hip-Hop hört und Filme schaut: Seit er drauf und dran war, den Fußball aufzugeben, studiert er mit großem Fleiß Betriebswirtschaft. Man wisse ja nie, was da kommt. Einer der großen mexikanischen Klubs, Atlas, hatte ihm bescheinigt, keine Zukunft als Profi zu haben, sein Erstliga-Debüt feierte er daher spät, vor knapp zwei Jahren, bei Estudiantes Tecos.
Mittlerweile hat er den selben Manager wie Chicharito Hernandez, den er mal besuchen durfte, als dieser noch bei Manchester United und nicht wie jetzt bei Real Madrid spielte; die Briten hatten Damm zu einem zweiwöchigen Probetraining eingeladen. Seit diesem Jahr hat er auch seinen ersten Länderspieleinsatz hinter sich. Mexikos Trainer Miguel Herrera schickte ihn bei einem Freundschaftsspiel gegen Ecuador aufs Feld. Für Damm selbst war immer klar, dass er für Mexiko spielen würde.
Er hat zwar einen deutschen Pass, sein Großvater wurde in Berlin geboren und wanderte vor Jahrzehnten nach Mexiko aus, wo er Damms Großmutter heiratete. "Aber ich fühle mich zu hundert Prozent als Mexikaner. Mein Traum war es immer, das grüne Shirt der Mexikaner zu tragen", hat Jürgen Damm immer wieder gesagt.
So gesehen ist es nicht ganz so schlimm, dass er nie vom DFB kontaktiert wurde, wie in seinem Umfeld zu hören ist. Den Scouts des DFB kann man deshalb freilich wenig vorwerfen: Damm wurde nie in eine mexikanische Jugendnationalelf berufen - er durfte sich ja auch erst mit 17 Jahren einem Fußballklub anschließen. Er sollte sich auf die Ausbildung konzentrieren, forderten die Eltern. Nun steht er an der Schwelle zu einem unerhörten Erfolg.