Ladungssicherung im Auto:Koffer im Tiefflug

Der Kofferraum des Suzuki SX4 S-Cross.

So besser nicht: Gegenstände im Kofferraum eines Suzuki SX4 S-Cross.

(Foto: WGO)
  • Wegen schlecht gesicherter Ladung passieren in Deutschland jährlich 1700 Unfälle, viele davon mit Toten und Verletzten.
  • Bei einer Vollbremsung aus 50 km/h schleudern Gegenstände mit dem 40-fachen ihres Eigengewichtes nach vorne.
  • Experten empfehlen dringend den Einbau von Trenngittern oder -netzen, aber die kosten meist extra.

Von Christof Vieweg

"Verlorene Ladung", heißt es lapidar im Polizeibericht. Ein Lastwagen aus Bulgarien war ins Schleudern geraten und hatte tonnenschwere Kranteile auf die Gegenfahrbahn katapultiert. Die Insassen eines dort fahrenden Audi hatten keine Chance.

Laut einer Erhebung des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV) sind in Deutschland rund 70 Prozent aller Lkw-Ladungen nicht oder nur unzureichend gesichert. Jeder fünfte Unfall im Schwerlastverkehr sei auf mangelhafte Ladungssicherung zurückzuführen, melden die Versicherer.

Fast täglich weiß der Verkehrsfunk von Eisenstangen, Leitern, Holzteilen, Stahlplatten, aber auch Kühlschränken, Heizkörpern oder Fahrrädern zu berichten, die von Autos, Lastern oder Anhängern gefallen sind. Pro Jahr passieren dadurch mehr als 1700 schwere Unfälle, dabei werden 640 Menschen verletzt und getötet. Der Gesamtschaden wird auf rund 300 Millionen Euro jährlich geschätzt.

Unfallforscher sprechen von "gefährlicher Bequemlichkeit"

Das Thema Ladungssicherung geht aber nicht nur Brummi-Kapitäne an - auch Pkw-Besitzer sollten sich darüber Gedanken machen, wenn sie ihren Wagen vor der Urlaubsfahrt oder nach dem Einkauf beladen. Unfallforscher sprechen in diesem Zusammenhang von "gefährlicher Bequemlichkeit". Immerhin: Fast in jedem zweiten von insgesamt rund 15 000 Autos, die der Automobilclub Europa (ACE) an Baumärkten, Möbelhäusern und Einkaufszentren kontrollierte, hatten Autofahrer die Ladung nicht richtig gesichert. Dass ungesicherte Ladung mit einem Punkt in Flensburg und bis zu 75 Euro Strafe geahndet werden kann, wissen die wenigsten.

Die Fachleute des Automobilclubs warnen vor der "brachialen Gewalt", mit der ungesicherte Koffer, Taschen, Einkaufskörbe oder Getränkekisten beim Unfall nach vorne schleudern und die Autoinsassen verletzen können. "Wie ein Hammer schlagen die Gegenstände dann zu", berichten auch die Sicherheitsexperten des TÜV Süd.

Mit dem 40-fachen des Eigengewichts

Sie wissen, wovon sie reden: Während eines Auffahrunfalls mit Tempo 50 haben sie an der Ladung Verzögerungswerte von bis zu 40 g gemessen. Das entspricht dem 40-Fachen der Erdbeschleunigung. Anders gerechnet: Ein 15 kg schwerer Koffer entwickelt die Aufprallwucht von mehr als einer halben Tonne, wenn er mit dem 40-Fachen seines Eigengewichts nach vorne fliegt. Der Innenraum wird völlig demoliert und die Sitze von spitzen Gegenstände durchbohrt - mit gravierenden Folgen für die Wirbelsäule der Passagiere.

Doch auch weitaus kleinere Gegenstände können beim Unfall oder durch eine Vollbremsung verheerende Wirkung haben: Der zwei Kilo schwere Autoatlas auf der Hutablage zum Beispiel wird mit der Kraft von 80 kg zum gefährlichen Geschoss. Ein Regenschirm erreicht ein Aufprallgewicht von 25 kg und selbst das Smartphone kann die Insassen mit einer Wucht von sieben kg treffen.

Trennnetze meist nur gegen Aufpreis

Besonders groß ist das Verletzungsrisiko in Kompaktwagen, Kombis oder Offroadern, die keine stabile Trennwand zwischen Gepäck- und Passagierabteil haben. Hier empfehlen Experten dringend den Einbau von Trenngittern oder -netzen, die viele Autohersteller aber nur gegen Aufpreis liefern. VW verlangt dafür beim Golf Variant beispielsweise 240 Euro, Ford beim Mondeo Turnier 255 Euro und Opel beim Insignia Sports Tourer 305 Euro. Audi, BMW und Mercedes liefern das Trennnetz für ihre Kombis serienmäßig, bei anderen Modellen wie Audi A3, Mercedes B-Klasse oder BMW Zweier kostet ein solches Sicherheitsextra bis zu 390 Euro Aufpreis. Selbst Laderaumabdeckungen, die beim Crash ungesichertes Gepäck auffangen können, gehören in Kompaktwagen und Kombis nicht immer zur Serienausstattung. Doch die ADAC-Fachleute warnen: "Wenn die Ladung über die Rücksitzlehne hinausragt, muss unbedingt ein Trennnetz oder ein Trenngitter installiert werden."

Noch besser ist es, das Urlaubsgepäck im Kofferraum zusätzlich festzuzurren, sodass es beim Unfall nicht verrutschen kann. Dafür taugen aber keine einfachen Schnüre, denn sie halten den auftretenden enormen Kräften nicht stand. Notwendig sind stattdessen Spanngurte mit mindestens 700 Kilogramm Reißfestigkeit. Auch geprüfte Gepäcknetze, die über Koffer und Taschen gespannt werden, bieten guten Schutz - vorausgesetzt, dass es im Kofferraum des Autos stabile Verzurrösen zum Einhängen der Gurte und Netze gibt.

Beim Crashtest knickte die Lehne einfach um

Eine Einbaupflicht für solche Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Autoinsassen vor Ladung und Gepäck gibt es in Europa nicht. Rüstet der Autohersteller seine Modelle aber mit Verzurrösen und Trennnetzen aus, dann müssen sie strengen Anforderungen entsprechen. Dabei wird die Stabilität der Zurrpunkte beispielsweise mit einer Zugkraft von jeweils 350 Kilogramm gemessen.

Auch für die umklappbaren Rücksitzlehnen von Kompakt- und Kombimodellen gibt es Prüfvorschriften. Die Norm schreibt unter anderem vor, dass die Lehnen und ihre Verriegelungspunkte bei einem 50-km/h-Frontalcrash zwei jeweils 18 Kilogramm schweren Holzwürfeln standhalten sollen - recht wenig angesichts der weitaus höheren Zuladungskapazität moderner Kombis. Deshalb sieht die Wirklichkeit oft anders aus als die Ergebnisse der Normtests.

Was tatsächlich geschieht, wenn ein voll beladener Kombi verunfallt, zeigte ein Crashtest des TÜV: Bereits mit 48,7 km/h Aufprallgeschwindigkeit knickte die Rücksitzlehne unter der Last der Ladung einfach um. Kisten und Koffer aus dem Laderaum schlugen bereits nach 0,4 Sekunden wie Geschosse im vorderen Teil des Autos ein. Die Sitze bogen sich unter der Wucht wie Weiden im Sturm. Die Dummies wurden hart getroffen und unter Koffer, Sonnenschirm und Liegestuhl begraben. Zum Glück war es nur ein Test.

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