Gedenken an Nazi-Opfer:Lasst die Münchner über Stolpersteine abstimmen!

Gedenken an Nazi-Opfer: Stolpersteine soll es in München nach der Entscheidung es Stadtrats nicht geben.

Stolpersteine soll es in München nach der Entscheidung es Stadtrats nicht geben.

(Foto: Robert Haas)

Die Debatte ist verzwickt, der Stadtrat hat Stolpersteine abgelehnt. Jetzt spräche einiges dafür, sie zum Thema eines Bürgerentscheids zu machen.

Kommentar von Kassian Stroh

Man könnte es sich einfach machen und sagen: Sieh an, fast überall in Deutschland werden Stolpersteine verlegt, um der Mordopfer der Nazis zu gedenken. Nur in München immer noch nicht, ausgerechnet in der von den Nazis so titulierten "Hauptstadt der Bewegung". Weil sie sich vor ihrer Verantwortung drückt, weil sie nicht an die eigene, tiefbraune Vergangenheit erinnert werden will. Aber so einfach ist es nicht.

In der in München seit 2003 geführten Debatte sind sehr gute Gründe genannt worden, die gegen Stolpersteine auf öffentlichem Grund sprechen. Weil es sehr viele Münchner gibt, namentlich in der Israelitischen Kultusgemeinde, die diese Form des Gedenkens tief verletzen würde. Sie argumentieren mit ihren Emotionen - genauso wie es auch viele Opfer-Angehörige tun, denen es dringender Wunsch ist, an ihre ermordeten Verwandten mit solchen Steinen zu erinnern. Und da beginnt das Problem.

Ein Kompromiss, der keiner ist

Das Gedenken an Nazi-Opfer ist generell ein derart sensibles Thema, dass oft gefordert wird, darüber müsse im Konsens entschieden werden. Das geht aber hier nicht. Es wird in München keinen Konsens zu den Stolpersteinen geben, weil man zwar über Regeln für die Verlegung verhandeln kann, es letztlich aber immer um die Frage gehen wird: ja oder nein? Und weil Bedenken, die in persönlicher Verwundbarkeit oder erlittenen Verletzungen gründen, nie argumentativ ausgeräumt werden können. Man kann sie nur abwägen und sich für die eine oder andere Seite entscheiden.

Deshalb ist es auch kein Kompromiss, was der Stadtrat beschlossen hat - auch wenn es die Mehrheit aus CSU und SPD so anpreist. Mit Tafeln an Hauswänden und einem zentralen Mahnmal lässt sie Formen des Gedenkens zu, die nie verboten waren, und führt eine neue Variante ein, die, weil sie teuer ist, nicht umgesetzt werden wird: Gedenkstelen vor den früheren Wohnungen der Deportierten. Faktisch ist dies ein "Nein" zu den Stolpersteinen. Es hätte eine Alternative gegeben, den Vorschlag des Kulturreferats, das die Steine zugelassen, ihre Verlegung aber an sehr kluge Kriterien gekoppelt hätte. Aber auch ein bedingtes "Ja" wäre ein "Ja" gewesen - und das hat der Stadtrat nicht gewagt.

Juristische Finessen werden der Sache nicht gerecht

Dass nun Stolperstein-Befürworter vor dem Verwaltungsgericht klagen wollen, mag sie vielleicht ihrem Ziel näherbringen. Es wird der Sache aber nicht gerecht, sie mit juristischen Finessen auszufechten. Die Stolpersteine sind eine politische Frage - und es spräche einiges dafür, sie zum Thema eines Bürgerentscheids zu machen. Das klingt heikel, ohne Frage.

Es gäbe in vielen deutschen Städten heute keine Erinnerungsorte an die Nazi-Diktatur, hätte man darüber in den vergangenen Jahrzehnten per Plebiszit befunden. Im Jahr 2015 aber ist Münchens Stadtgesellschaft reif dafür, Stolpersteine vernünftig zu diskutieren, ohne dass unüberbrückbare Gräben aufgerissen werden. Eine sachliche Debatte über Für und Wider, eine Frage, die am Ende jeder für sich beantwortet und entscheidet. Einen Konsens gibt es ohnehin nicht.

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